~~~ Die Reisenden - Reiseberichte von Darius DeSalle

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~~~ Die Reisenden - Reiseberichte von Darius DeSalle

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PROLOG: Damals

02.10.1463 NGZ
Das war es also?
Einfach so? Nach zehn Jahren?
Ein knappes »Ich werde unseren Ehekontrakt nicht verlängern«?
Keine Vorwürfe? Keine Szenen? Keine Tränen?
Seltsam, ich rege mich gar nicht darüber auf.
Vielleicht, weil ich es geahnt habe?
Vielleicht, weil sie Gesprächen über Kinder immer ausgewichen ist? Wir gehen beide auf die Vierzig zu, da mache ich mir langsam Gedanken über die Zukunft.
Vielleicht, weil der Stress im Job alles erstickt?
Ich habe das Gefühl, dass ich ersticke.
Muss raus …

03.10.1463 NGZ
Mann, bin ich gestern … heute morgen abgestürzt.
Nach Loreens Eröffnung hab ich es in unserer gemeinsamen Bude – noch! – nicht mehr ausgehalten. Ich hab Jennifer, Kurth und Ismail aus der Inneninstallationsgruppe angerufen, die einem Zug durch die Gemeinde nicht abgeneigt waren.
Von den Touren des InInst-Teams hatte ich ja schon gehört, aber dass das so ausartet …
Vielleicht ist das deren Art, mit dem Stress in dieser Drecksfirma umzugehen.
Hätte ich viel öfters machen sollen. Hatte aber immer Skrupel. Immerhin saß ja Frauchen zuhause und wartete auf mich.
Jetzt wartet niemand mehr.
Kurth und Ismail haben sich irgendwann verkrümelt – wusste gar nicht, dass die was miteinander haben, - und mich mit Jennifer sitzen gelassen.
Wir haben viel gelacht. Sie ist ›ein echter Kumpel‹. Das Niveau unserer Witze sank, wie unsere Hemmschwelle.
Irgendwann legte sie ihre Hand auf meinen Oberschenkel.
»Didi«, sagte sie, »keinen Beziehungsstress! Lass uns einfach Spaß haben!«
Den hatten wir … glaub’ ich … so weit ich mich erinnern kann.

16.10.1463 NGZ
Das ist definitiv nicht meine Woche.
Der Umbau der Werfplattform für diesen Möchtegern-Mehandor-Schnösel ist nicht mal ansatzweise abgeschlossen, da drückt uns die Geschäftsführung zwei neue Projekte aufs Auge.
Für einen Prospektor sollen wir eine demilitarisierte Korvette der Phobos-Klasse auf Fernerkunder und Materiallabor umrüsten. Und dieses abgehalfterte Starlet von Luna Leisure TriVi möchte ihre 300-Meter-Yacht in ein fliegendes Wellnesshotel umbauen.
Natürlich das alles „bis gestern“. Ich habe nichts gegen Stress und Arbeit. Aber irgendwann ist Schluss. In dem gesetzten Zeitrahmen kann mein Team das nicht schaffen.
Da hat die GF wieder Aufträge angenommen um des Annehmens willen.

PS.: Ich hab diesen Laden so satt.
PPS.: Loreen möchte in eine eigene Wohnung ziehen. So weit sind wir also schon.

3.11.1463 NGZ
Jetzt reicht’s! Ich glaub, ich sollte mir einen anderen Job suchen!
Heute hab ich mich mit Koifer angelegt. Hab ihm mein DataDisp vor die Füße geschmissen.
Gab einige böse Worte:
Ich hab schließlich die Verantwortung für mein Team. Tezlav geht vor Mehrarbeit schon auf dem Zahnfleisch.
Die Stimmung in der Firma ist gereizt wie nie. Wir hudeln nur noch. Für die notwendige Dokumentation der Umbaumaßnahmen haben wir gar keine Zeit mehr. Ich gehe jetzt schon hin und mache Photos! Bilder, um Umbauten zu dokumentieren! Da fasst man sich doch an den Kopf!
Die Technik für das Miniagravarium für die TriVi-Schnepfe ist vier Wochen zu früh geliefert worden und steht überall im Weg herum.
Vielleicht sollte ich das Agravarium in meiner Wohnung installieren. Platz genug ist ja da – jetzt, wo sie weg ist.
Bin stinksauer! Auf alles!
Und jeden.
Selbst auf mich.

9.11.1463 NGZ
Ich komme vor lauter Arbeit gar nicht mehr dazu, mein Tagebuch zu führen.
Was ist das für ein Leben?
Morgens früh aufstehen. Bis spät abends malochen. Während des Abendessens durch das TriVi zappen, dann wie tot ins Bett fallen.
Und keiner, der mich tröstet.
Fühle mich so ausgebrannt.
Zwar ist Jessica vorgestern mal wieder zu mir mit gekommen, aber das war nur Sex. Wissen wir beide.
Aber ein Spruch von ihr hat mir zu denken gegeben. Sie sagte: »Du hast innerlich gekündigt.«
War mir gar nicht bewusst. Aber sie hat recht.


12.11.1463 NGZ
Schluss! Aus! Sense!
Wen einen etwas stört, muss man es ändern. Wenn man das nicht ändern kann, muss man die Konsequenzen tragen.
Habe ich heute getan!
Ich habe mein Profil im JobNet geaddet.
Fühle mich gut dabei. Befreit.
Andererseits: Was mache ich, wenn ich keine ansprechenden Jobangebote bekomme?
Immer diese Selbstzweifel.


13.11.1463 NGZ
Na bitte geht doch!
Gleich acht Stellenangebote.
Raumschiffingenieure werden anscheinend immer noch gesucht.


15.11.1463 NGZ
Heute kam ein merkwürdiges Stellenangebot herein. Klingt alles etwas geheimnisvoll:
Teamleiter Umrüstung für ein Großbauprojekt (m/w/e)
Ist Dir kein Raumschiff zu groß?
Bist Du bereit, ein Team im Team zu führen.
Willst Du Teil eines Projektes sein, das Geschichte schreiben wird?

Ganz schön vollmundig. Aber alles ist besser als mein jetziger Job.

... und ab mit der Bewerbung!
*
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Kapitel 1. Ein schöner Held

5.9.1469 NGZ
Eliza stand neben mir. Und ich sah, wie sie starb.
Ich studierte gerade die Kraftflussdiagramme im Tragwerksplan der Ebene E24 rot 344, als sich das Diagramm auf der Oberfläche des DataDisps wie unter einer Störung verzerrte.
»Meine Anzeige spinnt. So was hab …«, brummte ich, da bemerkte ich den violetten Schein, der sich auf der Oberfläche spiegelte.
Ich sah auf und verschluckte den Rest.
Eliza Korkankorkmaz stand, zwanzig Meter von mir entfernt, unnatürlich verkrampft an einer Konsole, über die sie die Sensoren in der Tragkonstruktion überprüfte. Eine violett schimmernde Aureole umgab ihren pummeligen Körper. Ich warf das DataDisp auf eine Kiste mit wer-weiß-was und spurtete zu ihr.
Sie riss den Mund auf, während das Muskelspiel ihrer Wangen mehr nach Zubeißen aussah.
Dabei stöhnte die etwas, das wie ›Sohn‹ oder ›so’n‹ klang.
Dann brach sie zusammen. Sie schlug schwer mit dem Gesicht auf, dass ich meinte, den Schmerz selbst spüren zu können. Ich warf mich auf die Knie und beugte mich über sie.
»Eliza! Eliza?«
Keine Reaktion – von ihr. In mir köchelte die Panik hoch. Ich hatte zwar die regelmäßigen Ersthelferschulungen besucht, aber Theorie und Ernstfall waren zwei Paar Schuhe.
›Kontrolle der Vitalfunktionen‹, schrie es in mir.
Ich brachte mein Gesicht an ihrs, zwang meinen keuchenden Atem zur Ruhe, um ihren überhaupt wahrnehmen zu können.
Nichts! Ich suchte ihren Puls. Wieder nichts. Meine Panik wuchs. Wir waren allein in der Halle, in der man ein Stadion unterbringen könnte. In wenigen Stunden sollten noch ein paar Waren ankommen – auf den letzten Drücker – für den Transport nach Anthuresta. Es gehörte eigentlich nicht zu meinen Aufgaben, Vor-Ort-Begehungen durchzuführen, aber ich nahm gerne jede Gelegenheit wahr, um aus meinem Büro rauszukommen. Und dies sollte meine Abschiedstour durch die BASIS sein.
Ihr Glück! Ich wusste nicht, ob die bordinternen Sensoren sie so schnell gefunden hätten.
»Notfall! Ich brauche Hilfe! Meine Kollegin ist kollabiert. Ursache unbekannt. Habt ihr meine Position?«, brüllte ich mein Armbandcom an.
»Bestätige«, brummte mir eine souveräne Stimme entgegen. »Darius DeSalle. E24, rot. Richtig?«
Ich nickte.
»Terranoid oder wird eine zusätzliche Einheit für extraterrestrische Physiologie benötigt?«
»Sie ist Terranerin! – Glaub ich jedenfalls.«
Mir wurde bewusst, wie lächerlich die Antwort war. Für die Notversorgung war es egal, ob sie auf Terra oder auf einem anderen Planeten geboren worden ist.
»Hilfe ist unterwegs. Eine Erstversorgungsdrohne müsste jeden Moment eintreffen. Zeigt die Person Vitalfunktionen?«
»Negativ! Negativ!«
»Ihr habt beide keinen SERUN an?«
Ich sah an mir herunter. Dann an ihrem, der leblos neben mir lag, und schüttelte den Kopf.
»Dann musst du pumpen, Junge!«
»O.K.«, hauchte ich und wandte mich Eliza zu. Die Verbindung ließ ich offen.
Sie lag halb auf der Seite mit dem Gesicht auf dem Boden. Blut lief aus ihrer Nase. Ich stutze. Ein kleiner, blauer Kristall stach aus der roten Lache hervor.
Egal, später!, schrie ich mich an.
Ich zog das unten liegende Knie hervor und benutze es als Hebel, um ihren massigen Körper auf den Rücken zu wuchten. Dann, nach einem Moment des schamvollen Zörgerns, riss ich ihren Overall auf und begann mit de Herzmassage. Ich hatte vielleicht eine Minute gepumpt, da erschien, begleitet vom blauen Warnlicht eines Notfallsignals, die Erstversorgungsdrohne, ein schwebender Torus, dem etwa ein Achtel des Umfangs fehlte mit einer Kugel im Zentrum des Kreisrings. Aus der Kugel schossen Kabel und Tentakel, die sich in Elizas Haut zu bohren schienen.
»Bitte tritt zur Seite!«, forderte mich eine männliche Stimme mit Bestimmtheit auf. »Ich übernehme jetzt.« Ich rutsche auf Knien ein Stück fort.
Plötzlich bäumte sich ihr Körper auf, zuckte unter den Stromschlägen der Kardiostimulation.
In diesem Moment kam das eigentlich Notfallpersonal – zwei Mediker und eine Medoeinheit – im Laufschritt heran.
Wortfetzen drangen wie durch Watte zu mir.
»Situation TEZA IV. Stimulation erfolglos. Hirnpotentiale im Abklingen.«
»Adrenalin?«
»Wenig erfolgversprechend.«
»Trotzdem! Injektion initiieren.«
»Ausgeführt. Erneute Stimulation. Bitte beiseitetreten.«
»M***. Nichts.«
»Gleiche Symptomatik wie bei den anderen.«
Wie bei den anderen? Ich sah die Ärzte verblüfft an. Einer, ein Bulle von einem Mann, bemerkte meinen Blick. Er stand auf, hob mich mit sanfter Gewalt an und bugsierte mich in Richtung Ausgang der Halle.
»Wie nah stan … stehst Du zu ihr?«
»Sie ist eine Kollegin … aus meinem Team …«
»Dann gehst Du gehst besser. Hier kannst Du nichts machen. Deine Daten haben wir.«
Und sein Blick sagte ›Verschwinde!‹.
*
Wie betäubt stolperte ich aus der Halle, irrte durch Gänge und Räume.
Ich sah an mir herunter. Blut klebte an meinen Händen. Und … auf dem Handrücken der linken Hand glitzerte es blau.
Noch so ein Kristall?, dachte ich, bestrebt, nicht an die tote Frau zu denken.
Wohl daher, als ich sie auf den Rücken gedreht hab’.
Ich streifte ihn mit dem Zeigefinger von der Haut, besah ihn mir von Nahem. Das konnte alles sein, von Kobalt bis blauem Mivelium. Gedankenlos strich ich den Splitter in einer Außentasche meiner Kombination ab.
Eliza war tot! Dabei wollte sie so gerne die Ringgalaxie Anthueresta sehen.
Ich hatte außer beruflichen Kontakten, nichts mit ihr zu tun gehabt. Und nun lag sie auf dem kalten Boden der Lagerhalle in einer trocknenden Lache aus Blut.
Rudy hat recht gehabt: Wo Rhodan auftaucht, sterben die Menschen.
Rhodan!
Vor wenigen Stunden war er mit diesem merkwürdigen Obeliskenraumer MIKRO-JON auf der BASIS angekommen. Meine Kollegen hatten an den Bildschirmen der Bordinformation gehangen und seiner Ankunft wie der eines Messias entgegengefiebert.
Ich konnte darauf verzichten.
Weder er, noch seine Perle mit ihrem Schoßhündchen hatten mich davon abgehalten, meine Sachen zu packen und einen letzten Rundgang vor meiner Abreise zu machen. Denn ich würde diese Reise bestimmt nicht mitmachen!
Und … Eliza auch nicht mehr!
*
Ich weiß nicht, wie lange ich herumirrte. Irgendwann bemerkte ich, dass ich in stärker frequentierte Bereiche der BASIS kam.
Die Gedanken wie in Watte gepackt, registrierte ich die Veränderungen zuerst nicht. Ich wollte nicht angesprochen werden und gleichzeitig wollte ich, das die Welt meine Trauer teilt.
Voller Scham wurde mir bewusst, dass meine Kleidung mit Blut besudelt war. Doch niemand beachtete mich. Keiner zeigte auf mich.
Die Menschen und Außerirdischen standen reglos herum. Bleich, stumm starrten sie auf die Bilder des Intercoms, auf dem so etwas wie eine Berichterstattung ablief. Einige drückten sich, wie Halt suchend, aneinander. Vereinzelt sah ich Tränen kullern. Das konnte doch nicht die Nachricht über den Tod Elizas sein. Es war schrecklich, was mit ihr passiert war, aber in den fünf Jahren des Umbaus der BASIS war es zu mehreren Arbeitsunfällen und tödlichen Unglücken gekommen oder waren Menschen auf mysteriöse Weise verschwunden.
Ich trat an die Gruppe heran, hin und her gerissen von Neugierde und der Scham über die beschmutzte Kombination.
Ich wollte die Frau, die so klischeehaft Schutz bei einem Mann suchte, an der Schulter berühren, dann fiel mein Blick auf meine Hände. Mittlerweile braun verkrustete Ränder um das Nagelbett und unter den Fingernägeln. Die Zeichnung der Hautporen wie eine Landkarte aus Mäandern von getrocknetem Blut.
Voller Ekel über mich selbst, zog ich die Hand zurück.
Doch sie hatte die Bewegung bemerkt. Sie drehte sich um, sah auf meine Hände …und schrie nicht. Es schien ihr gar nicht aufzufallen. Ihr Blick suchte meinen, und ging dann durch mich hindurch. Sie wirkte wie unter Drogen. Und den Umstehenden schien es nicht anders zu gehen.
»Was ist passiert?«, krächzte ich mit belegter Stimme.
»Die … die Erde!«, stammelte sie. »Das Solsystem … weg! Einfach … weg!«
*
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Ich hielt es für einen – schlechten! – Scherz.
Und wahrscheinlich ging es Milliarden Menschen, Menschabkömmlinge und Extraterrestrier die an das galaxisweite Nachrichtennetz angeschlossen waren, nicht anders.
Doch dieser Sender, der dort auf dem Bildschirm lief, war für seriöse Berichterstattung bekannt, nicht für drittklassische Sensationsmache oder Schlüssellochvoyeurismus.
Ich kam mir vor, wie in einem Trividschinken oder in einem zweitklassigen XMPL-Szenario, – wie ein Statist in einem avantgardistischen – und geschmacklosen – Laientheaterstück.
Erst die Ankunft Rhodans, die mir den Abschied von der BASIS verdarb, dann der schockierende Tod meiner Kollegin und nun das:
Um 18.31 an diesem schicksalhaften 5. September 1469 NGZ sollte jemand das Solsystem ausgeknippst haben. Der große Retuscheur hatte sein ›Hintergrund-Radierwerkzeug‹ ausgepackt und Sol und seine Trabanten aus dem Hintergrund der Sterne gelöscht.
Was überschlugen sich die Meinungen der Umherstehenden und der eilends vorgeführten Experten im TriVid nicht mit Theorien. Von einer Spätwaffe TRAITORS war da die Rede; von einer Rache der Kosmokraten – wahlweise der Chaotarchen, der Arkoniden, der Akonen, der Illuminaten oder des militärisch, industriellen Komplexes.
Die Druuf, die Laurin, die MDI, MATERIA oder die EXPO-Factory wurden, je nach Belieben, als Schuldige ausgemacht.
Einerseits wollte ich lachen, über die absurde Situation und die lächerlichen Kommentare der Menschen um mich. Gleichzeitig stieg ein Gefühl in mir hoch, das mich dazu treiben wollte, die Beine in die Hand zu nehmen und so weit wie möglich wegzulaufen – wenn nötig millionenjahreweit.
Ich wollte mich gerade abwenden, um endlich das Blut und die schreckliche Erinnerung abzuwaschen. Plötzlich durchzog das Heulen von Sirenen den Korridor. Nach einigen Aufmerksamkeit heischenden Sekunden wurde der Alarmton leiser, um einer befehlsgewohnten, weiblichen Stimme Platz zu machen.
»Achtung! Dies ist eine wichtige Durchsage! Es ist an mehreren Stellen der BASIS zu Strangeness-Fluktuationen gekommen. Bitte begebt euch ruhig und ohne Tumult in die ausgewiesenen Sicherheitsräume. Es besteht kein Grund zur Panik!«
Da brach Panik aus.
*
»Jetzt sind wir dran!«
»Sicherheitsräume?«
»So etwas haben wir?«
»Wo sind die?«
»Wir sind die Nächsten.«
»Vhrato steh’ uns bei! – Ich will noch nicht sterben!«
Einige wenige strebten zielbewusst den Korridor entlang, die meisten traten unschlüssig auf der Stelle.
Sie taten mir leid.
Zieh ihnen den Boden unter den Füßen weg und sie hängen in der Luft, dachte ich.
»Ich kenne mich aus!«, versuchte ich den Lärmpegel zu übertönen, erntete aber nur mäßige Reaktionen.
»Hallo!«, brüllte ich so laut ich konnte – und stand schlagartig im Mittelpunkt des Interesses.
Jetzt erst schien ihnen meine blutbesudelte Kombination aufzufallen. Misstrauische Blicke taxierten mich von oben bis unten. Eine See aus Gesichtern in der das Löwengesicht eines recht klein geratenen Gurrads und der Tellerkopf eines Jülziish hervorstachen.
»Ich kenne mich aus!«, wiederholte ich. »Ich bin mit der Konstruktion der BASIS vertraut.«
Das war ich in der Tat. Schließlich hatte ich die Umbaumaßnahmen des ehemaligen Trägerschiffes in den letzten Jahren begleitet. Wir hatten dabei Räume entdeckt, die in keinem Bauplan verzeichnet waren.
Die Sicherheitsräume, in die man uns schickte, waren besonders verstärkte Zellen in der Wabenstruktur des Schiffes.
Und natürlich wusste ich, wo der Nächste dieser Räume war. Das ergab sich schon aus der konstruktiven Logik des Schiffsaufbaus. Meistens dort, wo Flächen so zusammenstießen, dass sie einen statisch stabilen Tetraeder bildeten.
Bei der manchmal recht chaotischen Deckstruktur, die nur durch die allenorten vorhandenen Gravoschleusen erträglich war, gab es davon reichlich.
Wild gestikulierend gab ich die Richtung vor, wühlte mich durch die Menschentraube, die sich plötzlich um mich bildete, und setzte mich an deren Spitze.
Wir waren kaum zehn Meter weit gekommen, da verwandelte sich die Welt in ein violettes Flimmern.
Sind das diese Strangeness-Fluktuationen?, schoss es mir durch den Kopf. Werden wir jetzt sterben? Wie Eliza?
Dann kam die große Übelkeit.
*
Ich war nicht der Einzige, der sich übergeben musste. Das ärgerte mich. Bei den vielen Gravoschleusen an Bord der BASIS, mit ihren abrupt wechselnden Schwerkraftvektoren, sollte sich mein Magen in den letzten Jahren eigentlich eine festere Konstitution angewöhnt haben.
Doch die Augen sahen etwas anderes als, die Signale des Vestibularorgans im Ohr aussagten. Die Welt sah nach links gekippt aus, aber sie ›fühlte‹ sich nach rechts geneigt an. Und im nächsten Moment stand die Welt kopf oder drehte sich wie in einem Vollrausch.
Der Ärger und das Peinliche der ›Kotzparty‹ um mich herum, trieben mich an. Ich riss mich zusammen.
»Komm hoch!«
Ich fasste den zu kurz geratenen Gurrad unter seinem Arm und zog ihn auf die Beine. Seine Löwenmähne kitzelte meine Nase. »Es ist nicht mehr weit.«
Als hätte es eines Halts für die Menge bedurft, richtete sich viele Augen auf mich. Doch auch gekrümmte, würgende Körper richteten sich auf, unterstützt – gestützt von denen, die anscheinend nicht so empfänglich für die ›große Übelkeit‹ waren.
Blass und mit angewidertem Blicken wich unsere, rund zwanzigköpfige Gruppe den Lachen auf dem Boden aus.
Wir schleppten uns mehr, als dass wir gingen, die Korridore der BASIS entlang.
»Was war das?«
Ich drehte mich um und blickte in das besorgte, faltige Gesicht einer Frau hinunter. Ihr mittelgroßer Busen war durch den tonnenförmig vorgewölbten Brustkorb so weit von ihrer Schwerpunktachse entfernt, dass der Ingenieur in mir sich unwillkürlich fragte, wie sie bei dieser Anatomie das Gleichgewicht hielt.
Die Marsianerin – wie ihr Phänotypus vermuteten ließ – schien in mir einen Leitwolf zu sehen, eine Rolle, die ich absolut nicht bereit war einzunehmen.
»Du hast die Durchsage gehört. Ich kann auch nur vermuten, dass es eine Auswirkung dieser Strangeness-Fluktuationen ist.«
»Aber Strangeness ist doch ein Maß für den Unterschied zu anderen Universen!« Ich konnte den Sprecher nicht erkennen, doch die Panik in seiner Stimme war unverkennbar.
»Beim Transport über die Teletransweiche ins Stardust-System gab es damals auch Strangenesseffekte, obwohl Stardust in unserem Universum liegt.«
Das sagte eine Frau, die ich spontan als Kolonialarkonidin einordnete. Die roten Augen sprachen eine zu deutliche Sprache, doch ihr robuster Körperbau hatte nichts mit dem Habitus des arkonidischen Hochadels gemein. »Vielleicht haben wir – ohne es zu merken – in den Handelsstern JERGALL eingeschleust, und werden nun per Polyport nach Anthuresta geschossen.«
»Ich will nicht nach Anthuresta«, zwitscherte der Jülziish.
Sch*****, nein!, fluchte ich lautlos. Das will ich definitiv auch nicht.
»Das können wir gleich noch diskutieren!«, fauchte ich aggressiver als beabsichtigt.
Soviel zu den Führungsqualitäten deines Leitwolfs, dachte ich verärgert über mich selbst.
»Wenn wir erst einmal im Schutzraum sind. Noch zwei Quergänge!« Das hatte mir ein Blick auf den DataDisp bestätigt.
Dann, gerade als wir die mit Leuchtfarbe markierte Zugangstüre zum Schutzraum sahen, begegneten wir dem Grauen.
*
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Sie sahen lächerlich aus. Wie die Karikatur eines vom Alter gebeugten Großmütterchens, einschließlich der prähistorischen Lesebrille, wie sie sich immer noch im Klischeefundus der täglichen Space Soap Operas hielt. Mehrere dieser skurrilen Gestalten erschienen am Ende des Ganges, der in den Verteilerknoten vor uns mündete. Sie wurden begleitet – umringt – von fassähnlichen Robotern, die offensichtlich nach dem Vorbild einer weiteren Gruppe von Fremdwesen geschaffen waren, die die Großmütterchen umwuselten.
Im gleichen Moment schrillte ein Alarm durch die Gänge und Hallen der Basis. Und wie so oft bei etwas, was nie oder selten benutzt wird, wussten wir nicht, was diese spezielle Signalfolge bedeuten sollte.
»Was ’n das jetzt für ’n …«
Die dröhnende Durchsage der Internkommunikation beendete nicht nur die Frage des Gurrads: »Invasionsalarm! Wir werden geentert. Zivilisten suchen die Schutzräume auf. Militärisch ausgebildete Personen rüsten sich beim nächsten, erreichbaren Depot aus. Verriegelungen sind desaktiviert. Dies ist keine Übung!«
»Sch*****!«
Ich wusste nicht, wer da geflucht hatte, doch eine athletisch gebaute Dunkelhäutige mit einem streng nach hinten gekämmten Haarzopf, reagierte schneller auf das Offensichtliche. Sie hechtete in den Gang zurück, aus dem wir in den Verteilerknoten getreten waren, und rannte zu einer nun grell leuchtenden Markierung an der Wand. Sie presste ihren Daumen auf eine Stelle. Eine Klappe fuhr auf und präsentierte eine ganze Batterie von Handfeuerwaffen. Sie zog einen Gürtel aus einem Fach und schlang ihn hektisch um ihre Hüften. Dann grabschte sie nach einem Strahlenkarabiner, riss ihn aus der Halterung und machte ihn mit routiniert aussehenden Bewegungen schussbereit.
»Nun kommt da endlich weg!«, schrie sie uns entgegen, die wir zum Teil noch immer unschlüssig an der Mündung des Ganges standen und den Fremden zusahen, die in einer Seelenruhe in den Verteilerknoten spazierten.
Sollten das wirklich Invasoren sein? Diese bizarren Gestalten? Überhaupt: Dies war die BASIS, nicht irgendein Raumhabitat am Rande der Unendlichkeit. Wie konnte irgendetwas das ehemalige Trägerschiff entern?
Bis sich die Erkenntnis in mir durchgesetzt hatte, dass die Schiffführung nicht leichtfertig einen Invasionsalarm ausrufen würden und diese Wesen dort vor uns durchaus die angekündigten Invasoren sein könnten, hatten sich bereits eine handvoll Personen aus unserer Gruppe ausgerüstet.
Die letzte Notfallübung lag Jahre zurück und meine militärische Ausbildung beschränkte sich auf die freiwillige, dreiwöchige Grundausbildung nach meinem Studium. Die Frau dort vorne und die Männer und Frauen, die sich um sie geschart hatten, hatten eindeutig die größere Kompetenz.
Grund genug, ihren Anweisungen Folge zu leisten.
Ich fluchte über mich selbst und stürmte zum Magazin.
Rechts und links von mir bauten sich die ersten Blasen von Schutzschirmfeldern auf und auch ich schlang mir in aller Eile einen der Gürtel mit den Projektoren um die Hüften. Dann griff ich nach etwas, in dem ich einen Desintegrator zu erkennen glaubte.
Ein eindrucksvoll gebauter Hüne stürmte vor zur Gangmündung, die Waffe wie ein Profi im Anschlag.
Er starb als erster.
*
Mehrere der flimmernden Strahlen aus den übermannsgroßen, schwebenden Fässern vereinigten auf seinem Schutzschirm. Zuerst perlten sie daran ab, wie Regen auf einer Glasitscheibe. Dann kräuselte sich der Schirm, bildeten sich Wellen, die seine Gestalt wie unter einer Wasseroberfläche verzerrten.
Plötzlich verfärbte sich der Schirm. Blitze, feurige Lohen, energetische Tsunamis rasten über die Oberfläche. Im nächsten Moment implodierte die verformte Sphäre und hinterließ ein qualmendes Etwas.
Die athletische Frau und die anderen Kämpfernaturen kamen zu spät. Was sich vor meinen Augen wie die Zeitlupenaufnahme in einem Actiontrividstreifen ausgebreitet hatte, schien nur Sekunden gedauert zu haben.
Doch nun breitete sich ein Strahlengewitter vor uns aus – und die Hitze eines Vulkans. Das war der Grund, warum ich den Desintegrator gegriffen hatte. Thermostrahler, Blaster, Strahlenkarabiner – sie alle heizten das sie umgebende Medium auf, just so, wie es die Schussbahnen mit der Luft vor uns taten.
Fast kam ich mir wie ein Feigling vor, wie ich mich da ›in zweiter Reihe‹ hinter den Kämpfern hielt, die sich an der Gangmündung ein Feuergefecht mit den Invasoren lieferten.
Doch die Selbstsicherheit, mit der die ›Großmütterchen‹ unsere Gegenwehr mehr als halbherzig erwiderten, machte mir Angst.
Anscheinend nicht nur mir. Unsere Gruppe hatte sich zerstreut. Während die einen – die Bewaffneten – an die Mündung zum Verteilerknoten geeilt waren, hatten die anderen, zum Teil schreiend, das Weite gesucht.
Ich wollte gerade meine Furcht bekämpfen, da lernte ich wirkliche Angst kennen: Hosen vollscheißende, Eingeweide zerfetzende, kreatürliche Angst.
Sie kam über mich, wie ein Raubtier, das mich unerwartet im Dunkeln anspringt. Sie war furchtbarer als ein Zimmer voller Spinnen, entsetzlicher als der Blick in bodenlose Tiefen, schrecklicher als jeder Nachtmahr in fiebergespeister Nacht.
Um mich herum brachen die ›harten Kerle‹ heulend zusammen, egal welchen Geschlechts.
Frauen erbrachen sich vor Furcht, Männer krümmten sich winselnd wie Föten zusammen, Kinder schrieen ihr Grauen in den Hades des Ganges hinaus.
Wie die Schaumreste in einer gerade entleerten Badewanne klebten die Seifenblasen unserer Schutzschirme in den Ecken und Winkeln des Ganges. Darin gefangen, wanden sich Menschen und Fremdwesen in Agonie. Unfähig den Invasoren entgegenzutreten, die nun – ohne uns mehr als oberflächliches Interesse entgegen zu bringen – den Verteilerknoten in einem Gang in Richtung der Bugsektion der Basis verließen.
Nur zwei der Fassroboter postierten sich an der Gangmündung, wo sich diejenigen, die sich – vor wenigen Minuten noch – den Invasoren so mutig entgegengestellt hatten, wie eine Traube Gewürm unter einem angehobenen Stein, vor Furcht wanden.
Eine Frau, die mir vage bekannt vorkam, schien ihre Furcht bekämpfen zu können. Sie kämpfte sich auf ihre Knie, hob den, wie es anmutete, zentnerschweren Blaster auf und legte an. Noch bevor sie einen Schuss abgeben konnte, sprühten Strahlen aus dem kristallenen Band um die Mitte der Fässer – und äscherten die couragierte Frau ein.
Wieder musste ich würgen. Doch gerade diese Ekel war es, der mich die Angst niederkämpfen ließ.
Sie sind es! , schoss mir durch den Kopf. Sie verursachen diese Angstzustände. Dadurch brauchen sie sich kaum auf Kämpfe einzulassen. Die Angst lähmt ihre Gegner!
Ich konzentrierte mich auf meinen Ekel, mein Entsetzen. Meine Gedanken wurden klarer.
Es muss eine Art Strahlung sein, vielleicht ein Psi-Effekt. … Egal! … Wir müssen hier weg, bevor sie doch noch auf die Idee kommen, uns abzupflücken, wie Schnecken von einem Blatt.
Meine Hand tastete zum Gürtel. Ein Druck und der Schirm brach zusammen. Heiße Luft – und der Gestank von verkohltem Hühnchen – nahmen mir den Atem und brachten neues Würgen.
Idiot! Wieso hast du daran nicht gedacht! Wenn die Umwälzanlage nicht anscheinend einen Großteil der Hitze des Gefechts abgesaugt hätte, wärst du nun auch durch.
Ich rappelte mich auf die Knie. Die Waffe ließ ich am Boden liegen. Die Härchen in meinem Nacken stellten sich auf. Ich fühlte mich von den Kristallbändern angestarrt. Jeden Moment mochte eine Feuerlohe auch mich zu einem Haufen Schlacke, zu totem Fleisch machen.
Wie Eliza! – Ihr Götter! War das wirklich erst wenige Stunden her?
*
Ich stand auf meinen zitternden Beinen. Und ich lebte noch.
Mit Gewalt musste ich den Blick von den Robotern losreißen. Wenn sie auf mich schießen würden, wäre ich tot, bevor der Impuls der Sehnerven mein Gehirn erreichen würde.
»Kommt hoch!«, krächzte ich. »Schaltet die Schirme aus! Lasst die Waffen liegen! Wir müssen hier weg!«
War das wirklich meine Stimme? »Sie tun uns nichts, wenn wir uns nicht wehren!«
Ich wollte nach einem Arm in meiner Nähe greifen, doch der Schirm um dessen Träger stieß mich ab.
Idiot!, schrie ich mich an. Wäre das ein HÜ-Schirm, könntest du dich von deiner Hand verabschieden!
Die Furchtstrahlung, die Panikwellen beeinträchtigten immer noch mein Denken.
Doch da erlosch die energetische Seifenblase neben mir. Ich sah in das von Tränen verschmierte Makeup einer zierlichen Frau, die für den Stereotyp eines ›blondes Dummchen‹ Modell stehen könnte, wenn … ja, wenn nicht die Angst und die Verzweiflung ihr Gesicht verzerrt hätten und die Spuren von Erbrochenem in ihrem Mundwinkel dieses Bild verhöhnen würden.
Erneut griff ich nach ihrer Hand und zog die Frau hoch. Mit einem ängstlichen Blick zu den Robotern ließ sie es mit sich geschehen.
»Sollen die kämpfen, die etwas davon verstehen«, ergänzte ich.
Als wäre dies das Signal gewesen, fielen um uns herum die ›Seifenblasen‹ in sich zusammen. Ich half hier und dort beim Aufstehen.
Aus der Gruppe derjenigen, die sich den Invasoren entgegen gestellt hatten, erhob sich die Dunkelhäutige als anscheinend einzig Überlebende. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt, ihr Haarzopf halb verschmort und ihre linke Schulter sah nach einer schweren Verbrennung aus. Mit erhobenen Händen, die wohl ihre Harmlosigkeit verdeutlichen sollten, entfernte sie sich, langsam rückwärts humpelnd, von den Robotern.
Immer mehr Personen um mich herum kamen auf die Beine. Ein Paar flüchtete, nachdem es erst seine Angstlähmung überwunden hatte, in Panik vor den Robotern.
»Bleibt … Verdammt! … Lasst uns zusammenbleiben!«, brüllte ich hinterher – erfolglos.
Langsam, jede hastige oder aggressive Geste vermeidend, gaben wir der immer noch herrschenden Angststrahlung nach, die uns von den Robotern forttrieb.
Ich war bestimmt nicht der Einzige, der jeden Gedanken an die Toten, die wir zurückließen, verdrängte.
Immer wieder warf der eine oder die andere einen ängstlichen Blick zu den schwebenden Fässern. Doch sie hielten ihre Stellung und kein terminaler Feuerschlag beendete unsere Existenz.
»Was sollen wir tun?« Die Blonde blickte mich flehend an. Und nicht wenige Blicke folgten ihr.
Verdammt, was tust du da?, ich musste schlucken. Sie erwarten von dir, dass du sie führst. Du, der Sesselpupser.
Ich suchte den Blick der Frau, die sich als Kämpferin hervorgetan hatte. Sie erschien mir als Führerin viel geeigneter als ich. Doch sie taumelte mehr, als dass sie, gestützt von dem Gurrad, ging.
Na gut! Du kennst die Baupläne der BASIS. Spiele den Führer und führe sie in den nächsten Schutzraum. Die Schiffsführung wird sich schon etwas ausdenken, um uns zu retten.
Ich räusperte mich.
»Ihr habt die Durchsage gehört. Leider blockieren diese Roboter den Weg zum nächstgelegenen Schutzraum. Wir müssen uns also zu einem anderen durchschlagen. Dann los!«
*
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Re: ~~~ Die Reisenden - Reiseberichte von Darius DeSalle

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Wir mochten eine Gruppe von rund zwanzig Personen sein, die durch die Gänge der BASIS schlichen. Die Angst – ob nun von außen induziert oder aus unserem Innern kommend – trieb uns an. Seltsame Geräusche begleiteten uns wie eine unheimliche Musik: Die BASIS knirschte und ächzte, wie unter großer, mechanischer Belastung, untermalt von unserem eigenen Stöhnen und Schluchzen.
Immer wieder ließ ich mich zurückfallen und versuchte die Nachzügler anzutreiben, doch es schien, als hätte sie ihren Lebensmut verloren, als wären sie Vieh, dass nicht mehr die Kraft hatte, vor der Schlachtbank zu fliehen.
Wir durchquerten zwei Gravoschleusen, jene Stellen der BASIS, wo sich die Orientierung der Decks und damit auch der Schwerkraftvektor änderte. Nur ein Kind und ein grauhaariger Mann zeigten dabei die Unsicherheit derjenigen, die sich noch nicht lange an Bord des ehemaligen Trägerschiffes aufhielten.
Der Anzeige in meinem DataDisp nach waren es noch 200 Meter zum nächsten Schutzraum, da forderte ein Signalton unsere Aufmerksamkeit.
»Perry Rhodan an alle!«, dröhnte es aus den Lautsprechern des Interkoms. »Hiermit befehle ich, die BASIS zu räumen! Alle Besatzungsmitglieder begeben sich so schnell wie möglich zu den Beibooten und Rettungskapseln. Ich wiederhole, wir verlassen das Schiff!«
Pause.
Nicht Wenige hielten die Luft an, andere atmeten geräuschvoll ein.
»Die, denen die Flucht gelingt, gehen nach dem festgelegten Evakuierungsplan vor«, fuhr die Stimme, die jeder Terraner kannte, fort. »Um die, denen die Flucht gelingt, werden wir uns so schnell wie möglich kümmern. Wir vergessen keinen, lassen niemanden im Stich. Euch allen viel Glück«
»Rhodan wird uns retten!«, hauchte die Blonde hinter mir.
Ich drehte mich um. »Rhodan wird erstmal genug damit zu tun haben, seinen eigenen Arsch zu retten!«, blaffte ich sie an … und bereute es in dem Moment, als ich sah, wie ihr Tränen in die Augen schossen.
Soviel zu deinen Führungsqualitäten, du Held!
»Ihr habt es gehört«, sagte ich laut. »Wir haben ein neues Ziel. Zum Glück sind die Öffnungen der Pneumoröhren zu den Rettungskapseln dichter gesät, als die Schutzräume.«
Mit einem Schaudern erinnerte ich mich an den Vorfall in meinen ersten Wochen an Bord der BASIS, als Frejüs da Orcast bei einer Funktionsprüfung nach dem strukturellen Umbau in einer solchen Röhre beinahe umgekommen war.
Schon nach wenigen Metern erreichten wir eine runde, etwa einen Meter große Öffnung in der Wand. Ein umlaufendes, grüngelb fluoreszierendes Leuchtband machte den Eingang zur Fluchtröhre von weitem sichtbar.
Ich lief zur Öffnung, überprüfte mit einem Blick die Funktionsfähigkeit der Pneumoröhre, dann winkte ich die anderen heran.
»Los! Griffe oberhalb der Öffnung anpacken! Füße hoch und mit Schmackes hinein!«
Während sich die ersten in die Öffnung schwangen, stellten sich die hinteren erstaunlich diszipliniert in einer Reihe auf.
»Bleibt zusammen!«, sprach ich das Pärchen an, das auf unserer Flucht mehrmals Händchen gehalten hatte. Ein kleiner Junge stand zwischen den beiden in der Schlange. Ich schob ihn um eine Position nach vorne, sodass das Paar nun wieder zusammen stand. »Umso größer ist die Chance, dass ihr zusammen in einer Kapsel landet.«
Als Letztes half ich der verletzten Dunkelhäutige in die Öffnung, dann schwang ich mich hinterher.
*
Eine rasende Fahrt durch eine enge Röhre – der Alptraum jedes Klaustrophoben.
Damals, nach den Umbauten waren die ›Funktionsprüfungen‹ der Fluchtröhren der Höhepunkt eines Arbeitstages gewesen: erwachsene Männer und Frauen, die sich wie Kinder auf einer Retro-Achterbahn benahmen.
Die war kein Spaß, dies war der Ernstfall. Und nun war es blanker Horror. Die Leuchtelemente, die das Innere der Röhre erhellten, verwischten vor meinen Augen zu einem Streifen stroboskopartigem Flackern.
Weichen und Verzweigungen, die für die Verteilung auf die einzelnen Kapseln sorgten, strapazierten Magen und Vestibularorgane. Zug- und Pressorfelder, die uns voran trieben, walkten uns wie eine Massage – für Ertruser.
Dann war ich durch.
Einer Sturzgeburt gleich, schoss ich aus der Öffnung im Boden der Kapsel. Prallfelder rissen mich aus diesem engen Geburtskanal in das grelle Licht der kleinen Welt einer RESCUE POD, und schoben mich unsanft – so schnell, dass ich es kaum mitbekam – in den nächsten freien Sitz, und pressten mich fest in das weiche Polster.
Benommen von der Tortur, registrierte ich nur am Rande, dass sich die Sitze in dem engen Rund rasch füllten.
Ich erkannte das Pärchen aus der Schlange vor der Pneumofluchtröhre.
Die markante Gestalten eines Jülziishs und eines Gurrads fielen ins Auge. Dass es dieselben waren, wie vorhin, konnte ich nur vermuten. Dafür waren sich diese Extraterrestrier für mich jeweils zu ähnlich. Auch die verletzte Dunkelhäutige und das ›blonde Dummchen‹ erkannte ich. Letztere hing mit ihren Augen an mir, wie an einem Ritter, der sie vor dem Drachen gerettet hatte. Ich sah schnell weg.
Trotz Andruckabsorber und Prallfelder spürten und hörten wir den Schlag, mit dem sich die Kapsel aus den Andockklammern löste und durch den kurzen Fluchttubus ins All katapultiert wurde.
Vor meinem inneren Auge sah ich die Kapsel durchs All trudeln. Durch die Andruckabsorber merkte man keine Beschleunigungen und die kleinen Luken waren von meinem Platz aus nicht einsehbar.
Erst als sich seitlich aus meinem Sitz das Brett einer Steuertafel schob und sich über meinem Schoß positionierte, erkannte ich, dass die Steuerpositronik mich in den Sitz des Piloten bugsiert hatte.
Als musste ich die Person mit den geeignetsten Vorrausetzungen für diese Funktion sein.
Natürlich waren uns ID-Chips beim Sprung in die Röhren erfasst worden.
Die Positronik, die die Evakuierung steuerte, hatte uns nicht einfach zur nächsten Kapsel verfrachtet, sondern dabei auch Einfluss auf die Zusammensetzung der ›Passagiere‹ genommen.
Darum war der Junge von vorhin auch nicht bei uns. Vermutlich saß er mit seinen Eltern zusammen in einer Kapsel.
›Fluchtprogramm läuft! Von manueller Einflussnahme wird dringend abgeraten!‹, leuchtete es in Signalfarbe auf dem Steuerbrett. Ich zog meine Finger von den Kontrollen zurück.
Ein Bild baute sich auf, dass die Situation draußen zeigte – gnädig aufbereitet und in gesichtslose Piktogramme verpackt.
Wie ein Schwarm aufgescheuchter Mücken, flohen grüne Punkte vor dem Symbol, das für die BASIS stand. Doch die Frösche lauerten schon.
Ich tippte auf eins der roten Piktogramme und sogleich poppte ein Fenster auf, dass die feindlichen Raumschiffe in natura und als – hochgerechnete – Risszeichnung zeigte.
Jemand hatte sie ›Tannenzapfen-Raumer‹ genannt. Für mich, den Ingenieur, sahen sie eher wie der Kopf einer archaischen, mechanischen Fräsmaschine aus.
Das faltenübersäte Gesicht einer Frau schob sich von rechts in mein Sichtfeld. Sie beugte sich so weit zu mir her, dass Ihr großer Busen, der durch ihre tonnenförmig vorgewölbte Brust noch weiter vorstach, mir die Sicht auf die Anzeigen nahm.
»Sie schießen auf die Fluchtkapseln!«, kreischte sie panisch, den Blick auf meine Anzeigen gebannt. »Sie schießen auf uns
Die mutmaßliche Marsianerin hatte recht!
Dort draußen – und wir mittendrin – geschahen Gräuel, die gegen alle Konventionen der Kriegsführung verstießen.
Zuhauf spritzen runde, rote Flecken über die Anzeige – dehnten sich aus und zogen sich wieder zusammen.. Dort, wo sie die kleinen grünen Piktogramme überdeckten, blieb nichts Grünes zurück, als die Kleckse kleiner wurden. Menschen starben.
Panik brach um mich herum aus. Alle schrieen durcheinander.
»Sie knallen uns ab!«
»Die Fremden veranstalten Tontaubenschießen!«
»Wir werden sterben!«
»Ich will nicht!«
In diesem Moment wäre es mir lieber gewesen, könnte ich den Schrecken dort draußen mit eigenen Augen sehen . Ich kam mir wie jemand vor, der mit einer Augenbinde auf das Erschießungskommando wartete.
Jeden Augeblick konnte uns der finale Schlag treffen.
Schreckensbilder zogen vor meinem inneren Auge auf: Wandungen, die wie Papier aufgerissen wurden. Aufgedunsene Gesichter. Zerplatzende Körper. Zu Eis erstarrende Augäpfel. Myrriaden von zu blutigen Perlen gefrorenen Eiskugel in der Schwerelosigkeit, die im Tanz des Todes umeinander kreisten.
Ich schüttelte die Albdrücke ab.
Das Innere der Kapsel war erfüllt von Schluchzen, Stöhnen und Jammern. Jemand betete zu Vhrato.
Der Jülziish – er kam mir ungewöhnlich kleingewachsen vor – drückte seinen Tellerkopf so fest an die Rückenlehne seines Sitzes, dass sich sein Hals durchbog und der Schädeldiskus fast senkrecht stand. Das sah unbequem aus, doch was wusste ich schon von den ›Blues‹.
Ein mörderischer Schlag ging durch die Kapsel, den kein Andruckabsorber kompensieren konnte.
Ich hatte das Gefühl, dass mein Körper zu Brei zermanscht wurde.
Bänder schlossen sich um meinen Leib, fesselten mich, zwängten mich ein und drängten mich in klaustrophobischen Schrecken. Anscheinend waren die Prallfelder ausgefallen und als letzte Sicherung griffen mechanische Haltebänder.
Ein Schütteln und Rütteln hob an. Mein Gehirn schien in seiner Schale wie ein Gummiball hin und her zu hüpfen. Schmerzhaft schlugen meine Zähne aufeinander. Dann kam erlösende Dunkelheit.
*
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Kapitel 2: Eingedost

Ich fühlte mich leicht. Leicht und frei. Alle Schwere, alle Last dieser Welt waren fort … verschwunden … von mir genommen.
Und?… Ist das nun der Übergang zum Jenseits? Hosianna und so. – Oder ist es das letzte Feuerwerk neuronaler Aktivität vor dem großen ›Speichercrash‹ meines Gehirns? Das finale Ausschütten von Endomorphinen, um das Ende erträglicher zu machen?
Von der körpereigenen Drogenfabrik hätte ich mir mehr versprochen.
Wo ist das ›helle Licht am Ende des Tunnels‹ vor dem endgültigen ›System failure‹?
Wo ist der LSD-Rausch vor dem allerletzten ›tilt‹?
Und überhaupt. Wieso ist mit kalt?

Ich riss die Augen auf – und starrte in Finsternis.
Mit der Finsternis kamen neue Schrecken, denn das war nicht die Dunkelheit einer ›erlösenden Ohnmacht‹.
Im ersten Moment dachte ich, ich wäre blind geworden.
Oder erfroren meine Augäpfel bereits in der Kälte des Vakuums?
Doch dann jammerte eine Frauenstimme. »Ich will nicht sterben, Ajiman!«
Ein Mann redete beruhigend auf die Frau ein.
Im Vakuum hätte ich kaum diese Stimmen vernehmen können. Anscheinend war ›nur‹ das Licht ausgefallen, denn von irgendwo her sickerte ein schwacher, rötlicher Schein in mein Gesichtsfeld … mit einem dunklen Balken davor. Der sich bewegte als ich mich bewegte. Das war mein Arm, der befreit vom Zug der Schwerkraft, vor mir in der Luft hing.
Die Schwerkraft war auch ausgefallen. Darum fühlte ich mich so leicht.
Is’ nix mit finalem Drogenrausch. Du musst weiter leiden, dachte ich erleichtert … und enttäuscht.
Überhaupt, dass es mich fröstelte, konnte nur bedeuten, dass auch ›die Lebenserhaltung‹ einen Knacks abbekommen hatte.
Anscheinend war ich doch kurz weggetreten. Denn Rettungskapseln waren natürlich gut gegen das Vakuum und die Temperatur dort draußen isoliert. Es dauerte einige Zeit, bis das Temperaturgefälle zwischen drinnen und draußen das Innere so weit abkühlen ließ, wie es sich nun anfühlte.
Mehrere Stimmen murmelten nun durcheinander.
Leise. Als könne dort draußen, im nicht leitenden Medium Vakuum, uns jemand hören.
Ein leiser, doch extrem hoher Ton erinnerte mich wieder an den Jülziish, der unser Schicksal teilte.
Es roch nach Angst, Schweiß und Tränen – doch nicht verbraucht oder stickig, sondern kalt und frisch. In diesem Moment glomm ein schwaches Rotlicht neben mir auf. Es drang aus dem Schlitz neben meinem Sitz. Dort, wo die Steuertafel steckte.
Das Gemurmel verstummte abrupt.
Angehaltener Atem.
Erwartungsvolle Stille.
Der aufflammende Lichtschein und die relativ frische Luft ließen in mir die Hoffnung keimen, dass die Selbstreparaturmechanismen ihr Werk taten und einzelne Systeme wieder ihren Betrieb aufnahmen.
Ich versuchte, die Verblendung in der Lehne beiseitezuschieben, doch nur mein Fingernagel knickte um.
»Autsch!«
Während ich noch am Finger nuckelte, wurde das Licht heller. Und im nächsten Moment entrollte sich das Material aus der Lehne und nahm seine Memory-Form eines dünnen, transparenten Bretts an.
»Es funktioniert noch!«, hauchte eine Männerstimme in der Finsternis.
»Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung?« Das war eine Frau.
»Ich hab doch gesagt, dass du den Maschinen Zeit geben musst. Bis wir …«
Die Piktogramme und Anzeigen badeten mein Gesicht in Rot. Trotz dem das Licht nicht mehr als eine Funsel war: In der Dunkelheit der Kapsel kam ich mir wie im Rampenlicht vor – und entsprechend war ich geblendet.
Was mich aber gleichzeitig von der unangenehmen Situation ablenkte, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen.
Ich sah sie zwar nicht, doch ich fühlte, wie sich meine Nachbarn in den Sitzen links und rechts von mir, zu mir herüber beugten.
»Und?«, knurrte eine Stimme, die ich mit ›nicht terranisch‹ assoziierte.
Ich ließ meine Finger über das Display tanzen, rief die Log-Dateien und Statusanzeigen ab.
»Sieht nicht gut aus …«, platze es aus mir heraus … und im selben Augenblick hätte ich mir am Liebsten die Zunge abgebissen. Was die jetzt brauchen, sind keine Hiobsbotschaften, du Idiot. Sie wollen Hoffnung!
»… aber kein Grund, sich unter kriegen zu lassen! Die Rettungskapsel hat einen Linearsprung über … rund vier Lichtjahren gemacht. Danach gab es einen Systemausfall. Vermutlich hat uns ein Streifschuss erwischt.«
Plötzlich brach Tohuwabohu los. Stimmen plärrten durcheinander.
»Wer waren [/i]die[/i]?«
»Müssen wir sterben?«
»Wo sind wir?«
»Wann kommt Hilfe?«
»Wo bleibt Rhodan?«
»Was aus der BASIS geworden ist?«
Ich fühlte mich wie gelähmt, von der Situation überfordert.
»Schnauze!«, brüllte eine Stimme links von mir. Mit dem Erfolg, dass es schlagartig still wurde.
Super!, dachte ich. Soviel zum Thema ›Basisdemokratie‹.
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Doch die Stille währte nicht lange. Als leises Murren lauter wurde, drehte ich das Display so, dass sein Schein mein Gesicht beleuchtete.
Ich räusperte mich. Es wurde Zeit, die Rolle auszuüben, die mir die Bordpositronik anscheinend zugedacht hatte.
»Ruhig, Leute! Es bringt uns nicht, wenn wir in Panik verfallen. Ich bin übrigens Darius deSalle. An Bord der BASIS habe ich eine Umrüstteam geleitet. Da ich auf dem Sitz mit den Kommandoelementen platziert wurde, scheine ich von uns am ehesten die Voraussetzungen mitzubringen, dafür zu sorgen, dass wir wieder heil nachhause kommen.« Ich merkte, dass ich zu schwafeln anfing. Reden schwingen war nicht meine Kernkompetenz. »Und bei allen Chaotarchen: Ich werde mein Bestes geben, dass wir nachhause kommen. Das geht aber nur mit euch. Jeder Einzelne von euch muss mithelfen. Und sei es nur dadurch, dass er nicht die Nerven verliert.«
Ich deutete auf das Display. »Antrieb, Schwerkraft und Funk sind ausgefallen. Die lebenserhaltenden Systeme sind zu achtzig Prozent repariert. Wenn wir uns jetzt aufregen, verbrauchen wir mehr Sauerstoff und belasten die Aufbereitung unnötig. Solange nicht ein Minimum an Kapazitäten wiederhergestellt ist, können wir wenig tun. Ihr seht ja, dass nicht einmal das Licht funktioniert. Also versucht, euch zu entspannen. Ich schätze, dass es noch 10 bis zwölf Stunden dauert, bis wir so weit sind.«
»Und wenn die Fremden uns finden?« Der Stimme nach musste das der Jülziish sein.
»Dann wird es so schnell gehen, dass du nichts davon merkst«, kam es irgendwo von rechts.
»Unser Notsender ist tot«, ergriff ich wieder das Wort, bevor das Gemurmel überhandnehmen konnte. »In unser jetzigen Lage vielleicht nicht das Schlechteste. Es hat uns weit ab vom Schuss verschlagen. Wie sollten uns die Fremden finden?«
»Wie sollen uns unsere Leute finden?«, fragte eine weibliche Stimme.
»Darüber machen wir uns Gedanken, wenn die Systeme so weit sind. Im Moment werden die unsere Leute genügend mit sich selbst beschäftigt sein.«
»Vielleicht nicht die schlechteste Idee, eine Weile ›Toter Mann‹ Mann zu spielen«, fügte die Marsianerin neben mir hinzu.
»Dann sollten wir am besten unsere Kräfte schonen und eine Weile schlafen. Im Schlaf verbrauchen wir am wenigsten Sauerstoff«, kam es von links.
»Wie soll ich denn in dieser Schwerelosigkeit schlafen?«, fragte der Jülziish. »Ich hab das Gefühl, dass ich davon bald kotzen muss.«
Das konnte ja heiter werden.
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Als kurz darauf das Licht fast unmerklich heller wurde und sich Gesichter aus der Dunkelheit schälten, rief ich mir die Personaldaten meiner Mitreisenden auf, jedenfalls soweit es die Datenschutzbestimmungen zuließen. Es wurde Zeit herauszufinden, mit wem ich es zu tun hatte und wie er oder sie uns nützlich sein konnte.
Auf der Anzeige drehte sich ein virtueller Kartenstapel. Ich flippte durch die ›Karten‹ und hielt beim Buchstaben ›A‹ an.
Name: a Gorodin, Meszida
Qualifikation: Ingenieur für Transportwesen
Position: Projektgruppe Transport/Band
Spezies: Terranerin/Mars
Geschlecht: weiblich
Alter: 35
Größe: 161 cm
Gewicht: 62 kg
Zulassung: C7
Meine Nachbarin zur Rechten war ja eine regelrechte ›Hochwohlgeboren‹. Die a Gorodin gehörten zu den ersten Siedlern auf dem Mars. Das ›a‹ war damit fast so etwas wie ein Adelstitel.
Ich hätte sie älter geschätzt. Allerdings war diese faltige Haut auch ein charakteristisches Merkmal von Marsianern, besonders derer der a-Klasse. Genau so wie der tonnenförmige Brustkorb, der ihren viel zu großen Busen noch mehr hervorhob – im wahrsten Sinne des Wortes.
Als Ingenieurin mochte sie eine wertvolle Hilfe bei der Reparatur der Kapsel sein.
Auch wenn es hier keine Transportbänder gibt.
Ich musste innerlich grinsen, und es tat gut.
Name: Abduhi, Ajiman
Qualifikation: Betriebswirtschaftliche Logistik
Position: Gruppe Lagerverwaltung Exo
Spezies: Terraner/Kapriçia
Geschlecht: männlich
Alter: 31
Größe: 186 cm
Gewicht: 116 kg
Zulassung: D6
Der männliche Teil unseres Paares saß von mir aus gesehen bei elf Uhr und hatte seinen Arm beschützend – oder besitzergreifend? – um die Frau gelegt. Mein erster Eindruck von ihm war ›farblos‹.


Die Personalkarte seiner Freundin folgte direkt dahinter.
Beide mit ›A‹. Witzig.
Name: Alachenkow; Irishka
Qualifikation: Medizinisch Technischer Betreuer
Position: Medopfleger
Spezies: Terranerin/Urougatha
Geschlecht: weiblich
Alter: 38
Größe: 172
Gewicht: 65
Zulassung:C8
Sie passte zu ihm. Blond, blass, schmächtig. Nicht mein Typ. Mein Bild einer ›Krankenschwester‹ sah anders aus.
Name: Kofunta, Annani
Qualifikation: MA, kaufmännisch
Position/Dienstgrad: Warenwirtschaft
Spezies: Algustranerin
Geschlecht: weiblich
Alter: 153
Größe: 48 cm
Gewicht:39
Zulassung: D7
Die Algustranerin wirkte verloren in ihrem Pneumositz zwei Plätze rechts von mir.
Die Algustraner waren siganesische Kolonisten, die, nachdem sie den schrumpfenden Einfluss der Sonne Rampan – 13.422 Lichtjahre von Siga entfernt –, nicht mehr ausgesetzt waren, allmählich wieder größer wurden. Heute lag die Durchschnittsgröße meines Wissens bei rund 45 Zentimetern und sie wurden immer noch bis zu 400 Jahre alt. Annani war also im besten Alter einer algustranischen Frau.
Und sie sah gut aus: Wie die zu groß geratene Version einer dieser Mannequinpuppen, mit der kleine Mädchen seit Jahrtausenden von ihren Müttern und Großmüttern in ein geschlechtsspezifisches Rollenklischee genötigt wurden.
Name: Kuele, M’asimba
Qualifikation: Zugführer
Dienstgrad: Leutnant
Spezies: Terranerin
Geschlecht: weiblich
Alter: 28
Größe: 191
Gewicht: 89
Zulassung: B4
Das war die Dunkelhäutige mit den streng nach hinten gebundenen und jetzt teilweise verbrannten Haaren, die im Sitz links neben mir den Schlaf der Erschöpften schlief. Ab und zuckte ihr Gesicht wie unter Schmerz.
Es würde mich nicht wundern, wenn der große afrikanische Heerführer Shaka Zulu zu ihren Vorfahren gehörte. Ich hatte ein ungutes Gefühl bei ihr.
Ihre Sicherheitseinstufung lag mit ›4‹ höher als meine, wenn auch im militärischen Bereich. Dass sie dennoch nicht auf dem Pilotensitz saß, konnte nur heißen, dass sie eine der ›Chitinnacken‹ war, jene Kampftruppen an Borde der BASIS, die während der Umbauarbeiten für Sicherheit sorgen sollten, vor allem in Hinblick auf mögliche Spione und Saboteure.
›Stark, dumm, wasserdicht‹ war die übliche Phrase im Zusammenhang mit ihnen.
Wobei es wahrscheinlich eine Dummheit gewesen wäre, M’asimba als ›dumm‹ zu bezeichnen.
Name: Sören, Vanita
Qualifikation: Pädagogik, Didaktik,
Position/Dienstgrad: Sozialisator
Spezies: Terranerin, Luna
Geschlecht: weiblich
Alter: 62
Größe: 179
Gewicht: 104
Zulassung: F7
Die korpulente Frau war vom Typ ›Mutti‹. Als Sozialisatorin hatte sie wahrscheinlich als Lehrerin oder als Mediatorin gearbeitet. Folgerichtig hatte die Evakuierungspositronik sie zwischen den Gurrad und den Blue – Tschuldigung! – den Jülziish gesetzt, quasi als Puffer.
Name: Urrogh
Qualifikation: Botaniker
Position: Gärtenhabitatorin
Spezies: Gurrad
Geschlecht: weiblich
Alter: 62
Größe: 161
Gewicht: 105
Zulassung: C8
Die Gurrad saß mir genau gegenüber. Ich schaute sie aus den Augenwinkeln an. Sie hatte das breites Gesicht, die niedrige Stirn und die katzenhafte Augen ihrer Rasse … und natürlich die Mähne, die ihnen den Spitznamen ›Löwenmenschen‹ eingebracht hatte.
Bei ihr reichten die Haare jedoch nicht bis tief über die Schultern, wie man es von den Klischees her kannte. Urrogh hatte die Haare an der Seite des Kopfes so gestutzt, dass sie nun keilförmig den Rücken herunterfielen. Rote und blaue Strähnchen sollte wohl das Weibliche in ihr betonen – das nicht auf den ersten Blick zu erkennen war.
Ich wusste, dass diese Bewohner der Großen Magellanschen Wolke ein stolzes, schwieriges Volk waren. Ich konnte nur hoffen, dass ihre weibliche Seite sie umgänglicher machte. Hoffentlich waren weibliche Löwenmenschen nicht sogar besonders katzig.
So lange sie nicht rollig wird!, dachte ich in einem Anflug von Galgenhumor.
Name: Vantuin, Sarolf
Qualifikation: Verwaltungskaufmann
Position: Lagerlogistik
Spezies: Olymp
Geschlecht: männlich
Alter: 55
Größe: 196
Gewicht: 86
Zulassung: D7
Wenn Vanita Sören die ›Mutti‹ war, dann war Sarolf ›Muttis Liebling‹. Er saß neben der Marsianerin und sah einfach nur geleckt aus.
Ölige Haare, Seitenscheitel. Ein weißes, jetzt allerdings mit Blutflecken verunreinigtes Hemd. Die Nase hoch in die Luft gereckt.
Er mochte der Traum einer jeden Schwiegermutter sein. Mir war er unsympathisch.
Und er brachte mir zu Bewusstsein, dass ich selbst auch immer noch voller Blut war. Elizas Blut.
Name: Wells, Weena
Qualifikation: Außenwirtschaft
Position/Dienstgrad: Sachbearbeiterin Zoll
Spezies: Terraner/Mjöllno IV
Geschlecht: weiblich
Alter: 28 kg
Größe: 172 cm
Gewicht: 66 kg
Zulassung: D6
Ich vermied es, ihrem nach Trost heischenden Blick zu begegnen. Es gab bestimmt Unmengen von Männern, denen bei so einem ›Zuckerpüppchen‹ Sabber aus Mundwinkeln lief. Mein Typ war sie nicht.
Leider schien sie vom vermeintlichen Alpha-Tier unsere Gruppe – nämlich mir – angezogen zu werden.
Sie gehörte zu einem Typ Frau, der jahrtausendelange Prägungen in einem Mann wachrief.
Alles an ihr – ihr verschmiertes Makeup, die braunen Kuhaugen, der schmachtenden Gesichtausdruck – schrie geradezu: Beschütze mich! Lass uns die Art erhalten!
Name: Yeanshi, Wian
Qualifikation: Betriebswirt
Position/Dienstgrad: Handelsvertreter
Spezies: Rusufer/Rintanto III
Geschlecht: männlich
Alter: 47
Größe: 169
Gewicht: 112
Zulassung: D7
Dem Brustkorb nach hätte auch er ein Marsianer sein können. Jedoch verdankte er dieses Merkmal nicht einer geringen Schwerkraft und einer dünnen Luft, wie sie die Vorfahren von a Gorodin geformt hatten. Rusufs Schwerkraft lag irgendwas um anderthalb ›g‹, und hatte im Laufe von Jahrhunderten aus arkonidischen Siedlern eine eigenständige, stämmig gebaute Gattung geschaffen.
Er ist wohl einer der Händler, die unsere Waren in Anthuresta verticken sollten.
Name: Zülinscü, Kapy
Qualifikation: Ausbildungsstufe MR3
Position: Praktikant Marketing
Spezies: Gataser/Gatas
Geschlecht: weiblich
Alter: 12 kg
Größe: 106 cm
Gewicht:65
Zulassung: G9
Aha, der Jülziish war also eine ›die‹ Jülziish, noch dazu ein Kind. Dass die Positronik sie nicht in die Kapsel mit ihren Eltern gesteckt hatte, ließ nur den Schluss zu, dass diese sich zu weit entfernt aufgehalten hatten, als dass eine ›Familienzusammenführung‹ vertretbar gewesen wäre. Rettung – sprich: Abhauen – hatte in diesem Fall Vorrang vor langwierigen Transporten durch das Fluchtröhrensystem der BASIS.
Immerhin mit Sicherheitsstufe neun. Das hieß, dass sie nicht nur ›Angehörige‹ war – deren Einstufung lag normalerweise bei G 10 –, sondern schon eine gewisse Qualifikation erreicht hatte.

Als letztes wischte ich meine eigene Personalkarte in den Vordergrund.
Name: DeSalle, Darius
Qualifikation: Ingenieur für Raumfahrtechnologie,
Position/Dienstgrad: Teamleiter Umrüstung HC-9
Spezies: Terraner/Igwolid
Geschlecht: männlich
Alter: 37
Größe: 178 cm
Gewicht: 79 kg
Zulassung: C5
»Ah! Nett ,dass du dich auch selbst vorstellst!«, flüsterte es in mein rechtes Ohr. »Wenn Du schon in unseren Daten … äh …«
»Schnüffelst?«, half ich der Marsianerin ertappt.
»Nachsiehst«, korrigierte sie mich.
»Es ist mir jedenfalls eine Ehre, eine Dame aus einem so alteingesessenen marsianischen Geschlecht …«
»Geschenkt.« Sie winkte ab. »Für ein Dame bin ich zu wenig dämlich. Und was kann ich dafür, dass der „Alte Gorodin“ unbedingt als erster seinen Kopf in den marsianischen Sand stecken musste. – Aber wenn du einmal ›marsianische Dörrpflaume‹ zu mir sagst, bring ich dich um!«
Ich sah sie irritiert an. Ein Weile starrte sie mich an, dann stahl sich ein Grinsen auf ihr Gesicht.
Diese Frau war zwar hässlich wie die Nacht, aber ich mochte sie.
*
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