Ich stelle hier noch einmal - geplant in vier Stücken - meine erste Story nach meiner jahrelangen Schreibpause ein. Die Story habe ich im letzten Herbst geschrieben und seitdem hat sich vieles getan bei mir - in jeder Beziehung ... aber das nur mal am Rande ...
Damals habe ich sie Vater-Sorgen genannt, heute würde ich sie vielleicht ganz einfach Die Endlichkeit des Lebens nennen. Das soll schon mal eine "Warnung" sein an die Leser, die solche Themen nicht mögen bzw. sich nicht damit auseinadersetzen wollen oder können.
Ich schreibe sehr "untechnisch", was nicht heißt, dass ich "Schmusegeschichten" schreibe - ich denke eher mal: im Gegenteil! Habe auch einiges von dem Grundsatz von MMT übernommen: man darf/soll seine Helden nicht schonen!
Spoiler:
1
Terrania City, 1. Oktober 3460, morgens um 9.15 Uhr
„Du bist und bleibst ein uneinsichtiger Sturkopf! – Sonst könntest du leicht verstehen, was in deinem Sohn vorgeht. – Oder WILLST du ihn einfach nicht verstehen?“
Reginald Bull fragte sich schon seit längerem, wie er es seinem ältesten Freund Perry Rhodan beibringen sollte, dass dessen Sohn Michael immer noch das Gefühl hatte, im Schatten des Vaters zu stehen und schwer darunter litt.
„Ich glaube, ich kann Mike einfach nicht mehr verstehen, Dicker. Für mich sieht es so aus, als ob wir uns gefühlsmäßig immer weiter voneinander entfernen.“
Bully ließ vom Servo, der zwischen ihnen schwebte, zwei weitere Becher Kaffee servieren. Die beiden Männer saßen in Perrys Büro im Regierungsgebäude von Terrania-City und besprachen den unmittelbar bevorstehenden Einsatz auf dem Mond, wo eine Meuterei einiger Flotten- und Abwehrangehöriger höherer Ränge entdeckt worden war; Männer und Frauen, die durch ihr Wissen und ihre Kampferfahrung der ganzen Menschheit extrem gefährlich werden konnten. Nachdem Terra und Luna im Mahlstrom der Sterne gelandet waren und fast in den Schlund gestürzt, war es im letzten Augenblick gelungen das Sternengespann in eine stabile Umlaufbahn um Medaillon zu bringen. Danach warfen einige hohe Militärs der Führung vor, nicht genug für eine Rückkehr zur heimatlichen Sonne Sol zu unternehmen. Die Situation spitzte sich zu bis sie zur Meuterei eskalierte.
NATHAN hatte errechnet, dass die Aussichten lebend von diesem Einsatz zurück zu kommen, nur bei 43 % lagen. Perry Rhodan hatte in seinem Freiwilligenaufruf offen darüber informiert und es meldeten sich fünfmal mehr Männer als erforderlich. Die endgültige Auswahl der Einsatzteilnehmer würde der Kommandoführer treffen, sobald er denn bestimmt war, getreu der alten Gepflogenheiten in der Solaren Flotte und der USO, dass der Kommandoführer sich seine Gruppe selbst zusammenstellte. Und genau dieser Einsatzleiter war im Moment das Problem der beiden Unsterblichen. Perry Rhodan und Reginald Bull wollten keine Toten, sondern möglichst alle Aufrührer lebend festnehmen. Deshalb brauchten sie einen erfahrenen und psychologisch geschickten Kommandoführer.
„Mike fühlt sich von dir zurückgesetzt“, sagte Bully gerade heraus.
„Wieso das?“
Bully tippte auf die Brust des Freundes – dort, wo unter der Uniformkombination der Zellaktivator um seinen Hals hing. „Deshalb!“
Perrys Gesichtsausdruck wechselte von verständnislos über erschreckt bis zu entsetzt. „Was meinst du, wie viele Gedanken ich mir um dieses Thema mache? Auf der einen Seite möchte ich Mike sofort einen der Reserveaktivatoren geben, auf der anderen Seite befürchte ich, dass er ihn ablehnen würde, weil er der Meinung ist, noch nicht genug dafür getan zu haben, ihn auch wirklich zu verdienen. Warum stellt er nur so hohe Anforderungen an sich selbst? Gerade das verstehe ich nicht.“
„Ich dafür sehr gut.“ Glasklar und präzise wählte Bully seine Worte. „Und wie beurteilst du selbst die Leistungen von Mike?“
„Er ist ein absoluter Profi, sowohl als Kosmonaut und Hochenergietechniker wie auch als Kämpfer, Anführer und als Psychotaktiker. Er hat Führungsqualitäten, von denen andere nur träumen können.“
„Und warum sagst du ihm das dann nicht?“
„Weil er es nicht glauben würde. Er würde es wieder einmal für Schmeichelei halten.“
„Nicht wenn du es ihm sagst – und zwar als Vater, nicht als Befehlshaber. Er sehnt sich nach Anerkennung.“ Bully fühlte sich innerlich zerrissen. Auf der einen Seite wollte er seinen Freund nicht verletzten, aber auf der anderen Seite sah er wie Michael unter der Situation litt. Es sah ihn wie einen eigenen Sohn. „Was ist daran so schwer zu verstehen? Wie oft hast du ihn in seiner Jugend oder auch später gelobt, wirklich gelobt?“
Perry hob hilflos die Schultern. „Wahrscheinlich viel zu wenig. Ich dachte immer, lieber weniger, damit der Junge nicht überheblich wird aufgrund seiner Herkunft.“
„Und dafür haben andere, häufig leider diese ‚netten’ Speichellecker ihn um so mehr gelobt, ihm alle Steine aus dem Weg geräumt, Ist es da ein Wunder, dass er misstrauisch war und ist?“
„Sicherlich nicht.“ Ein bittender Ausdruck erschien auf Perrys Gesicht. „Kannst du es ihm nicht sagen?“
„Abgelehnt. Warum nur bist du als Vater so schwerfällig, Freund?“ Bully spürte, dass er kurz davor stand zu explodieren. „Ihr müsst miteinander reden, und das dringend! Für euch beide! Sonst entfernt ihr euch immer weiter voneinander. Ich bin dein ältester Freund und nehme mir das Recht, dir das so deutlich zu sagen!“
Er stand auf und wanderte durch das Büro. Abrupt drehte er sich um. „Lass mich raten … Du suchst nach einer Möglichkeit, Mike von der Teilnahme an dem Mond-Einsatz abzuhalten? – Dass er der ideale Einsatzleiter ist, darüber brauchen wir wohl nicht reden. Die Männer würden mit ihm sogar den Teufel aus der Hölle holen.“
„Weiß ich – aber ich habe Angst, dass er nicht zurückkommt. Wie viele Männer musste ich schon in Risikoeinsätze schicken, zum Wohl der Erde, aber jetzt habe ich einfach Angst um meinen Sohn. Ich will ihn nicht verlieren.“
Bully legte dem Freund die Hand auf die Schulter. „Und gerade darum musst du ihn gehen lassen, Alter, egal wie gefährlich der Einsatz wird!“ Sein Blick bohrte sich tief in den von Perry. „Sonst verlierst du ihn als Sohn, nämlich seine Achtung, gerade weil du versuchst, ihn aus der Gefahr heraus zu halten. Das will er nämlich nicht. Er selbst will sich beweisen, obwohl er das zum Teufel wohl nicht mehr braucht … – Auch ich habe Angst um ihn, genau wie du! Aber …“ Er seufzte. „Schade, dass Atlan nicht hier ist. Er würde es uns sicherlich genauer erklären.“
Perry lächelte leicht, als Bully Atlan erwähnte, den alten Lehrmeister seines Sohnes. Auch der liebte Michael wie einen eigenen Sohn – und er hatte ihn teilweise ausgebildet – streng und hart, so wie er es selbst von Arkon her kannte. Manchmal hatte Perry bei sich gedacht, dass sogar damals zu Zeiten der Space-Force sein Chef Lesly Pounder ihn nicht so hart ran genommen hatte wie Atlan seinen Sohn – aber Michael hatte es selbst gewollt, er wollte damals seine absoluten Grenzen erfahren – und er war seinerzeit mit 23 Jahren wahrhaftig alt genug gewesen, das zu entscheiden. Und er – sein Vater – hatte seine Einwilligung gegeben, allerdings musste er vor sich zugeben, dass er selbst es niemals übers Herz gebracht hätte, Michael gegenüber diese Härte und Strenge an den Tag zu legen. – Wahrscheinlich war der Sohn auch und gerade wegen Atlans harter Schule ein so guter Anführer geworden.
Er schob seinem Freund aus den ersten Tagen der Weltraumfahrt einen Stapel Folien zu. „Das letzte psychologische Gutachten über Mike, gerade erst knapp drei Wochen alt.“ Die Angehörigen von Flotte und Abwehr sowie USO mussten sich in regelmäßigen Abständen einem ausführlichen Gespräch mit Psychologen stellen – reine Routine …
Freudlos lachte er auf. „Den ganzen ersten Kram kannst du dir sparen, sind alles bekannte Tatsachen. Der letzte Punkt ist höchst interessant – und genau der macht mir diese großen Sorgen.“
Bully setzte sich wieder und blätterte die Folien bis zur letzten durch. Als er sie gelesen hatte, pfiff er anerkennend durch die Zähne.
„Schau an, diese Seelenklempner merken ja doch mal was. Hätte ich ihnen gar nicht so zugetraut“, spöttelte er – um danach gleich wieder völlig ernst zu werden.
Völlig einwandfreier, loyaler Charakter, Einsatzwilligkeit usw. usw. usw., Bully macht eine wegwerfende Handbewegung. „Kennen wir wohl schon länger bei Mike – zum Glück! Aber das: In letzter Zeit immer weiter ansteigende Risikobereitschaft im persönlichen Bereich mit ausgeprägter Gefahr der Eigengefährdung besonders bei gefährlichen Einsätzen. Gefährdung anderer Intelligenzen sieht der Herr Professor nicht, im Gegenteil. Mike würde sich eher für andere opfern.“
Bully schaute nachdenklich aus dem Fenster, hatte aber anscheinend keinen richtigen Blick für den großartigen Ausblick von hoch oben über die Stadt, die jetzt von der Sonne Medaillon beschienen wurde anstatt von der heimatlichen Sonne Sol.
„Er kämpft grundsätzlich an vorderster Front. Ein Draufgänger war er ja schon immer – aber ich habe genau wie der Professor den Eindruck, dass das immer mehr wird.“ Perry blickte ebenfalls aus dem Fenster, vermied es seinen Freund anzuschauen.
Bully war kurz vor dem Explodieren, seine roten Bürstenhaare standen senkrecht vom Kopf ab.
„Von wem er das hat, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. So – und nun werde ich dir mal erklären, was mit Mike los ist. Dass du das noch nicht selbst bemerkt hast. Dazu brauche ich keinen Seelenklempner mit Professorentitel. Es reicht mir, dass ich Mike kenne und ihn wohl so gut einschätzen kann wie du es als Vater auch solltest.“ – Diesen Seitenhieb konnte er sich trotz des offensichtlichen Gemütszustandes seines besten Freundes nicht verkneifen. Mit dem Problem kämpften er und Atlan schon gefühlte Ewigkeiten. Aus Angst seinen Sohn zu bevorzugen, versagte Perry ihm wichtige Dinge, die Mike sich einfach wünschte und auch nach Bullys Ansicht schon mehr als tausendfach verdient hatte.
Er setzte sich wieder zu ihm, schaute ihn eindringlich an. „Auch wenn er nicht so aussieht, Mike ist biologisch älter als du, sein Vater! – Und genau damit kommt er nicht klar. Er weiß im Grunde genau, dass er wegen seiner Leistungen schon seit so einigen Jahren einen Zellaktivator verdient hätte, aber da du ihm kein Gerät zukommen lässt, denkt er immer wieder, dir wären seine Leistungen nicht genug. Deshalb wirft er sich in vorderste Front, riskiert sein Leben, leistet wirklich Unmögliches usw. Natürlich wird er sein Leben nicht unbedacht riskieren, aber seine Risikobereitschaft steigt. Ich vermute, er will eine Entscheidung quasi von dir erzwingen. Wahrscheinlich ist ihm das selbst nicht bewusst. – Aber diesen Punkt hat ja der Herr Seelendoktor nicht überprüfen sollen, daran hat niemand gedacht – und der selbst am Allerwenigsten.“
Perry hob hilflos die Schultern.
„Und warum fragt er mich nicht einfach nach einem Aktivator, wenn er einen möchte und meint, ihn verdient zu haben?“
Jetzt konnte Bully sich nicht mehr beherrschen. „Sag mal, wie genau kennst du deinen Sohn eigentlich“, schrie er Perry an. „Denk doch mal nach? Der Junge ist dafür zu stolz – und ich kann ihn sehr gut verstehen. Nachdem du gar nichts tust, würde ich das an seiner Stelle auch nicht machen.“
„Was soll ich denn machen?“ Perry stand jetzt auch innerlich aufs Tiefste erregt auf.
„Endlich eine Entscheidung treffen“, brüllte Bully in beachtlicher Lautstärke. „Gib ihm einen Aktivator. Wenn ihn jemand verdient hat, dann wohl Mike. Und vorab noch zwei Dinge: lobe ihn endlich mal so, dass er es auch richtig versteht – und zweitens: gib ihm die Einsatzleitung auf Luna. Sonst“, er unterbrach sich und holte tief Luft, um dann im Gegensatz zur vorherigen Lautstärke nur noch zu flüstern: „verlierst du deinen Sohn – und zwar nicht dadurch, dass er im Kampf fällt, sondern als deinen Sohn, falls du endlich verstehst, was ich meine – und was übrigens auch die Meinung des Kleinen ist.“
„So schlimm ist es schon“, brachte Perry tonlos hervor. „Und ich habe das nicht bemerkt …“ Anscheinend wollte er noch etwas sagen, brach aber ab.
„Okay“, sagte er stattdessen, wandte sich zu dem großen Monitor um und wählte ein Rufzeichen. Auf dem Schirm wurde das Abbild seiner Sekretärin sichtbar. Im Gegensatz zu vielen anderen bevorzugte er immer noch Menschen in solchen Positionen anstatt Roboter.
„Sir?“
„Ist mein Sohn in Terrania?“
„Ja. Er ließ mich wissen, dass er in seinem Büro auf einen Anruf von Ihnen wartet bzgl. des Briefings über den Luna-Einsatz.“
„Bitte verständigen Sie ihn, dass ich ihn so schnell wie möglich hier bei mir sehen möchte.“
„Ja Sir.“ Die Sekretärin schaltete ohne weiteren Kommentar ab. Als gute und erfahrene Chefsekretärin sparte sich sie sich jeglichen Kommentar oder Nachfrage – sie handelte wie es von ihr ganz einfach erwartet wurde.
„Da siehst du es“, polterte Bully stattdessen los. „Er erwartet, dass du ihm die Leitung überträgst.“
Fast flehend sah er seinen alten Freund an. „Bitte, mach jetzt keinen Fehler. Ich könnte es nicht ertragen, wenn ihr euch noch weiter voneinander entfernt.“
„Nein, Dicker, keine Sorge.“ Perry hatte sich wieder gefangen. „Ich werde ihm die Leitung übertragen, auch wenn ich mir riesige Sorgen um ihn mache dabei … - aber ich sehe ein, dass ihr recht habt. - Vielleicht sollte ich als Vater doch noch dazu lernen …“
Bully klopfte ihm in einer tief-freundschaftlichen Geste auf die Schulter. „Irgendwie scheint das bei Vätern oder Müttern immer mal wieder so zu sein, dass sie einen Anschubser brauchen.“
Terrania City, 1. Oktober 3460, morgens um 9.15 Uhr
„Du bist und bleibst ein uneinsichtiger Sturkopf! – Sonst könntest du leicht verstehen, was in deinem Sohn vorgeht. – Oder WILLST du ihn einfach nicht verstehen?“
Reginald Bull fragte sich schon seit längerem, wie er es seinem ältesten Freund Perry Rhodan beibringen sollte, dass dessen Sohn Michael immer noch das Gefühl hatte, im Schatten des Vaters zu stehen und schwer darunter litt.
„Ich glaube, ich kann Mike einfach nicht mehr verstehen, Dicker. Für mich sieht es so aus, als ob wir uns gefühlsmäßig immer weiter voneinander entfernen.“
Bully ließ vom Servo, der zwischen ihnen schwebte, zwei weitere Becher Kaffee servieren. Die beiden Männer saßen in Perrys Büro im Regierungsgebäude von Terrania-City und besprachen den unmittelbar bevorstehenden Einsatz auf dem Mond, wo eine Meuterei einiger Flotten- und Abwehrangehöriger höherer Ränge entdeckt worden war; Männer und Frauen, die durch ihr Wissen und ihre Kampferfahrung der ganzen Menschheit extrem gefährlich werden konnten. Nachdem Terra und Luna im Mahlstrom der Sterne gelandet waren und fast in den Schlund gestürzt, war es im letzten Augenblick gelungen das Sternengespann in eine stabile Umlaufbahn um Medaillon zu bringen. Danach warfen einige hohe Militärs der Führung vor, nicht genug für eine Rückkehr zur heimatlichen Sonne Sol zu unternehmen. Die Situation spitzte sich zu bis sie zur Meuterei eskalierte.
NATHAN hatte errechnet, dass die Aussichten lebend von diesem Einsatz zurück zu kommen, nur bei 43 % lagen. Perry Rhodan hatte in seinem Freiwilligenaufruf offen darüber informiert und es meldeten sich fünfmal mehr Männer als erforderlich. Die endgültige Auswahl der Einsatzteilnehmer würde der Kommandoführer treffen, sobald er denn bestimmt war, getreu der alten Gepflogenheiten in der Solaren Flotte und der USO, dass der Kommandoführer sich seine Gruppe selbst zusammenstellte. Und genau dieser Einsatzleiter war im Moment das Problem der beiden Unsterblichen. Perry Rhodan und Reginald Bull wollten keine Toten, sondern möglichst alle Aufrührer lebend festnehmen. Deshalb brauchten sie einen erfahrenen und psychologisch geschickten Kommandoführer.
„Mike fühlt sich von dir zurückgesetzt“, sagte Bully gerade heraus.
„Wieso das?“
Bully tippte auf die Brust des Freundes – dort, wo unter der Uniformkombination der Zellaktivator um seinen Hals hing. „Deshalb!“
Perrys Gesichtsausdruck wechselte von verständnislos über erschreckt bis zu entsetzt. „Was meinst du, wie viele Gedanken ich mir um dieses Thema mache? Auf der einen Seite möchte ich Mike sofort einen der Reserveaktivatoren geben, auf der anderen Seite befürchte ich, dass er ihn ablehnen würde, weil er der Meinung ist, noch nicht genug dafür getan zu haben, ihn auch wirklich zu verdienen. Warum stellt er nur so hohe Anforderungen an sich selbst? Gerade das verstehe ich nicht.“
„Ich dafür sehr gut.“ Glasklar und präzise wählte Bully seine Worte. „Und wie beurteilst du selbst die Leistungen von Mike?“
„Er ist ein absoluter Profi, sowohl als Kosmonaut und Hochenergietechniker wie auch als Kämpfer, Anführer und als Psychotaktiker. Er hat Führungsqualitäten, von denen andere nur träumen können.“
„Und warum sagst du ihm das dann nicht?“
„Weil er es nicht glauben würde. Er würde es wieder einmal für Schmeichelei halten.“
„Nicht wenn du es ihm sagst – und zwar als Vater, nicht als Befehlshaber. Er sehnt sich nach Anerkennung.“ Bully fühlte sich innerlich zerrissen. Auf der einen Seite wollte er seinen Freund nicht verletzten, aber auf der anderen Seite sah er wie Michael unter der Situation litt. Es sah ihn wie einen eigenen Sohn. „Was ist daran so schwer zu verstehen? Wie oft hast du ihn in seiner Jugend oder auch später gelobt, wirklich gelobt?“
Perry hob hilflos die Schultern. „Wahrscheinlich viel zu wenig. Ich dachte immer, lieber weniger, damit der Junge nicht überheblich wird aufgrund seiner Herkunft.“
„Und dafür haben andere, häufig leider diese ‚netten’ Speichellecker ihn um so mehr gelobt, ihm alle Steine aus dem Weg geräumt, Ist es da ein Wunder, dass er misstrauisch war und ist?“
„Sicherlich nicht.“ Ein bittender Ausdruck erschien auf Perrys Gesicht. „Kannst du es ihm nicht sagen?“
„Abgelehnt. Warum nur bist du als Vater so schwerfällig, Freund?“ Bully spürte, dass er kurz davor stand zu explodieren. „Ihr müsst miteinander reden, und das dringend! Für euch beide! Sonst entfernt ihr euch immer weiter voneinander. Ich bin dein ältester Freund und nehme mir das Recht, dir das so deutlich zu sagen!“
Er stand auf und wanderte durch das Büro. Abrupt drehte er sich um. „Lass mich raten … Du suchst nach einer Möglichkeit, Mike von der Teilnahme an dem Mond-Einsatz abzuhalten? – Dass er der ideale Einsatzleiter ist, darüber brauchen wir wohl nicht reden. Die Männer würden mit ihm sogar den Teufel aus der Hölle holen.“
„Weiß ich – aber ich habe Angst, dass er nicht zurückkommt. Wie viele Männer musste ich schon in Risikoeinsätze schicken, zum Wohl der Erde, aber jetzt habe ich einfach Angst um meinen Sohn. Ich will ihn nicht verlieren.“
Bully legte dem Freund die Hand auf die Schulter. „Und gerade darum musst du ihn gehen lassen, Alter, egal wie gefährlich der Einsatz wird!“ Sein Blick bohrte sich tief in den von Perry. „Sonst verlierst du ihn als Sohn, nämlich seine Achtung, gerade weil du versuchst, ihn aus der Gefahr heraus zu halten. Das will er nämlich nicht. Er selbst will sich beweisen, obwohl er das zum Teufel wohl nicht mehr braucht … – Auch ich habe Angst um ihn, genau wie du! Aber …“ Er seufzte. „Schade, dass Atlan nicht hier ist. Er würde es uns sicherlich genauer erklären.“
Perry lächelte leicht, als Bully Atlan erwähnte, den alten Lehrmeister seines Sohnes. Auch der liebte Michael wie einen eigenen Sohn – und er hatte ihn teilweise ausgebildet – streng und hart, so wie er es selbst von Arkon her kannte. Manchmal hatte Perry bei sich gedacht, dass sogar damals zu Zeiten der Space-Force sein Chef Lesly Pounder ihn nicht so hart ran genommen hatte wie Atlan seinen Sohn – aber Michael hatte es selbst gewollt, er wollte damals seine absoluten Grenzen erfahren – und er war seinerzeit mit 23 Jahren wahrhaftig alt genug gewesen, das zu entscheiden. Und er – sein Vater – hatte seine Einwilligung gegeben, allerdings musste er vor sich zugeben, dass er selbst es niemals übers Herz gebracht hätte, Michael gegenüber diese Härte und Strenge an den Tag zu legen. – Wahrscheinlich war der Sohn auch und gerade wegen Atlans harter Schule ein so guter Anführer geworden.
Er schob seinem Freund aus den ersten Tagen der Weltraumfahrt einen Stapel Folien zu. „Das letzte psychologische Gutachten über Mike, gerade erst knapp drei Wochen alt.“ Die Angehörigen von Flotte und Abwehr sowie USO mussten sich in regelmäßigen Abständen einem ausführlichen Gespräch mit Psychologen stellen – reine Routine …
Freudlos lachte er auf. „Den ganzen ersten Kram kannst du dir sparen, sind alles bekannte Tatsachen. Der letzte Punkt ist höchst interessant – und genau der macht mir diese großen Sorgen.“
Bully setzte sich wieder und blätterte die Folien bis zur letzten durch. Als er sie gelesen hatte, pfiff er anerkennend durch die Zähne.
„Schau an, diese Seelenklempner merken ja doch mal was. Hätte ich ihnen gar nicht so zugetraut“, spöttelte er – um danach gleich wieder völlig ernst zu werden.
Völlig einwandfreier, loyaler Charakter, Einsatzwilligkeit usw. usw. usw., Bully macht eine wegwerfende Handbewegung. „Kennen wir wohl schon länger bei Mike – zum Glück! Aber das: In letzter Zeit immer weiter ansteigende Risikobereitschaft im persönlichen Bereich mit ausgeprägter Gefahr der Eigengefährdung besonders bei gefährlichen Einsätzen. Gefährdung anderer Intelligenzen sieht der Herr Professor nicht, im Gegenteil. Mike würde sich eher für andere opfern.“
Bully schaute nachdenklich aus dem Fenster, hatte aber anscheinend keinen richtigen Blick für den großartigen Ausblick von hoch oben über die Stadt, die jetzt von der Sonne Medaillon beschienen wurde anstatt von der heimatlichen Sonne Sol.
„Er kämpft grundsätzlich an vorderster Front. Ein Draufgänger war er ja schon immer – aber ich habe genau wie der Professor den Eindruck, dass das immer mehr wird.“ Perry blickte ebenfalls aus dem Fenster, vermied es seinen Freund anzuschauen.
Bully war kurz vor dem Explodieren, seine roten Bürstenhaare standen senkrecht vom Kopf ab.
„Von wem er das hat, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. So – und nun werde ich dir mal erklären, was mit Mike los ist. Dass du das noch nicht selbst bemerkt hast. Dazu brauche ich keinen Seelenklempner mit Professorentitel. Es reicht mir, dass ich Mike kenne und ihn wohl so gut einschätzen kann wie du es als Vater auch solltest.“ – Diesen Seitenhieb konnte er sich trotz des offensichtlichen Gemütszustandes seines besten Freundes nicht verkneifen. Mit dem Problem kämpften er und Atlan schon gefühlte Ewigkeiten. Aus Angst seinen Sohn zu bevorzugen, versagte Perry ihm wichtige Dinge, die Mike sich einfach wünschte und auch nach Bullys Ansicht schon mehr als tausendfach verdient hatte.
Er setzte sich wieder zu ihm, schaute ihn eindringlich an. „Auch wenn er nicht so aussieht, Mike ist biologisch älter als du, sein Vater! – Und genau damit kommt er nicht klar. Er weiß im Grunde genau, dass er wegen seiner Leistungen schon seit so einigen Jahren einen Zellaktivator verdient hätte, aber da du ihm kein Gerät zukommen lässt, denkt er immer wieder, dir wären seine Leistungen nicht genug. Deshalb wirft er sich in vorderste Front, riskiert sein Leben, leistet wirklich Unmögliches usw. Natürlich wird er sein Leben nicht unbedacht riskieren, aber seine Risikobereitschaft steigt. Ich vermute, er will eine Entscheidung quasi von dir erzwingen. Wahrscheinlich ist ihm das selbst nicht bewusst. – Aber diesen Punkt hat ja der Herr Seelendoktor nicht überprüfen sollen, daran hat niemand gedacht – und der selbst am Allerwenigsten.“
Perry hob hilflos die Schultern.
„Und warum fragt er mich nicht einfach nach einem Aktivator, wenn er einen möchte und meint, ihn verdient zu haben?“
Jetzt konnte Bully sich nicht mehr beherrschen. „Sag mal, wie genau kennst du deinen Sohn eigentlich“, schrie er Perry an. „Denk doch mal nach? Der Junge ist dafür zu stolz – und ich kann ihn sehr gut verstehen. Nachdem du gar nichts tust, würde ich das an seiner Stelle auch nicht machen.“
„Was soll ich denn machen?“ Perry stand jetzt auch innerlich aufs Tiefste erregt auf.
„Endlich eine Entscheidung treffen“, brüllte Bully in beachtlicher Lautstärke. „Gib ihm einen Aktivator. Wenn ihn jemand verdient hat, dann wohl Mike. Und vorab noch zwei Dinge: lobe ihn endlich mal so, dass er es auch richtig versteht – und zweitens: gib ihm die Einsatzleitung auf Luna. Sonst“, er unterbrach sich und holte tief Luft, um dann im Gegensatz zur vorherigen Lautstärke nur noch zu flüstern: „verlierst du deinen Sohn – und zwar nicht dadurch, dass er im Kampf fällt, sondern als deinen Sohn, falls du endlich verstehst, was ich meine – und was übrigens auch die Meinung des Kleinen ist.“
„So schlimm ist es schon“, brachte Perry tonlos hervor. „Und ich habe das nicht bemerkt …“ Anscheinend wollte er noch etwas sagen, brach aber ab.
„Okay“, sagte er stattdessen, wandte sich zu dem großen Monitor um und wählte ein Rufzeichen. Auf dem Schirm wurde das Abbild seiner Sekretärin sichtbar. Im Gegensatz zu vielen anderen bevorzugte er immer noch Menschen in solchen Positionen anstatt Roboter.
„Sir?“
„Ist mein Sohn in Terrania?“
„Ja. Er ließ mich wissen, dass er in seinem Büro auf einen Anruf von Ihnen wartet bzgl. des Briefings über den Luna-Einsatz.“
„Bitte verständigen Sie ihn, dass ich ihn so schnell wie möglich hier bei mir sehen möchte.“
„Ja Sir.“ Die Sekretärin schaltete ohne weiteren Kommentar ab. Als gute und erfahrene Chefsekretärin sparte sich sie sich jeglichen Kommentar oder Nachfrage – sie handelte wie es von ihr ganz einfach erwartet wurde.
„Da siehst du es“, polterte Bully stattdessen los. „Er erwartet, dass du ihm die Leitung überträgst.“
Fast flehend sah er seinen alten Freund an. „Bitte, mach jetzt keinen Fehler. Ich könnte es nicht ertragen, wenn ihr euch noch weiter voneinander entfernt.“
„Nein, Dicker, keine Sorge.“ Perry hatte sich wieder gefangen. „Ich werde ihm die Leitung übertragen, auch wenn ich mir riesige Sorgen um ihn mache dabei … - aber ich sehe ein, dass ihr recht habt. - Vielleicht sollte ich als Vater doch noch dazu lernen …“
Bully klopfte ihm in einer tief-freundschaftlichen Geste auf die Schulter. „Irgendwie scheint das bei Vätern oder Müttern immer mal wieder so zu sein, dass sie einen Anschubser brauchen.“