Fan-Geschichte "Die Flucht"

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Alexandra
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Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Alexandra »

"Hüstel*

Da ich die derzeitige Entwicklung mit den vielen Fangeschichten außergewöhnlich gut finde, möchte ich auch was beisteuern.
Diese Geschichte hat mich die letzten Wochen gut beschäftigt, und ich bin jetzt irgendwo im elften Abschnitt und beim Formulieren des Schlusses, während ich die zweite Hälfte überarbeite.

Also:
Eine pdf gibt es, wenn ich fertig bin und die ganze Geschichte auf cc-zeitlos einstelle. Wobei ich denke, dass ich durch euch noch gute Ideen bekomme.

ZUm Ziel:
Ich schreibe erstens, weil mir der Schreibprozess etliche nächtliche Traumphasen abnimmt. Es läuft viel Material durch, und das erleichtert mich.
Zweitens macht es Spaß.
Drittens erinnert man sich an den Klang der eigenen Stimme.
Viertens gehe ich meinen Interessen nach: Statt das von den richtigen Autoren verwendete Material nachzuschlagen, verfolge ich, was mich interessiert, und baue es ein.

Deshalb wäre ich euch sehr verbunden, wenn ich eure persönlichen, authentischen Reaktionen haben könnte und Fragen, wo ich etwas zu unklar aufbaue.
Oder Ideen, was noch reinpassen könnte: Personen, Erwiderungen, Dinge...
Was im Schreibshop XYZ gesagt wurde, interessiert mich hingegen weniger.

Viel Spaß beim Lesen!
Zuletzt geändert von Slartibartfast am 16. Juni 2015, 00:24, insgesamt 3-mal geändert.
Grund: Titel auf Wunsch der Erstellerin editiert
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Alexandra
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht" von Alexandra

Beitrag von Alexandra »

Der erste Teil:

Spoiler:
Die Flucht


I.
Wahrlich, die Unterhaltungsindustrie tat gut daran, ihre Neuerungen im TriVid-Bereich voranzutreiben. Die Hologloben hatten eine Perfektion erreicht, die man sich früher nicht hätte träumen lassen, und immer neue Möglichkeiten erschlossen. Jetzt konnte man nicht nur davon träumen, sondern sie sogar zum Träumen verwenden. Und das brauchte Adah Kiyosaki heute auch, und in ihrer Freizeit nutzte sie diese Möglichkeiten hingebungsvoll.

Und sie hatte die Zeit dazu, jetzt, wo sie in ihrer Kabine saß, in dieser Konservendose von Forschungsschiff, das 5500 Lichtjahre von Terra entfernt in der kalten Einöde des unvorstellbar leeren Raums rund um den feliden Sternennebel NGC 6334 kreiste, die 50 Lichtjahre Durchmesser auf diversen Bahnen umrundete, sich auch immer wieder in die brodelnden Sternentstehungsgebiete hineinwagte, um die neugeborenen Blauen Riesen in allen Einzelheiten zu erfassen. Eine Konservendose mit 200 Metern Durchmesser und 172 Personen an Bord. Die VERNAL PIKE. Ein Schwerer Kreuzer. Zur Zeit hatten sie die Reste einer Supernova im Visier, umkreisten sie, maßen sie aus. Sammelten Asteroiden. Katzenpfotennebel. Die Taster pfoteten, spöttelte sie bei sich.

Die Arbeit an sich war nicht schlecht, auch wenn der Reiz des Neuen nicht mehr vorhielt. Immerhin waren sie jetzt seit anderthalb Erdjahren unterwegs. Der prachtvolle Anblick erfüllte sie nach wie vor mit andächtiger Begeisterung, ließ sie ihre kleinlichen Bedenken vergessen. Aber selbst dies war irgendwo zur Routine geworden. Es machte keinen Spaß. Sie konnte sich nicht mitteilen. Die Gemeinschaft an Bord hatte sich ab einem bestimmten Punkt nicht weiterentwickelt. Man kannte sich, es gab wenig echte Feindschaften, aber genauso wenig echte Freundschaften. Alles lief in geregelten Bahnen.

Die Schiffsführung achtete sehr auf die Betreuung von Konflikten, setzte verpflichtend klärende Gespräche an, von Mediatoren und Psychologen betreut. Mit dem Erfolg, dass man sie verbarg. Genau dadurch wurden sie verewigt, Der Zündstoff fehlte. Mit der Reibung die Wärme. Das Leben lief auf Schienen, durchorganisiert. Perfekt. Gleichgültig. Und obwohl Adah nicht ungesellig war, hatte sie immer weniger Grund, an den oberflächlichen Geselligkeiten teilzunehmen. Man musste derart aufpassen, das Richtige zu sagen.

Wie man auf Terra sagte – der Fisch stinkt vom Kopf her. Die Leute, die Spaß machten, lebten ebenso zurückgezogen wie sie. Warteten auf das Ende der Vertragslaufzeit, bis die Konservendose nach Terra zurückkehrte und alle ausspie, mit dem verdienten Geld und geregelt abgeleisteten Arbeitsstunden im Führungszeugnis. Die Langweiligen lebten sowieso auf den Urlaub hin.

Auch mit gemeinsamen Holospielen war nichts. Das hatte sie früher gern gemacht: Im Netz gespielt, mit anderen zusammen eine kleine Welt entwickelt. Aber seit längerem fühlte sie sich dabei beobachtet, hatte das Gefühl, zu viel von sich preiszugeben. Sie spielte nur noch allein, an einem Gerät ohne Schnittstelle. Und wechselte ihre Codewörter jede Woche.

Das war der Grund, warum sie das Ende dieses Aufenthalts herbeisehnte. Erst hatte sie die vermehrte Freizeit durchaus zu schätzen gewusst. Dann hatte sie sich zum ersten Mal gelangweilt. Mittlerweile hatte sie keine Lust mehr. Ihr Verstand mochte dies als oberflächliche Gefühl des Überdrusses und der Vergeblichkeit ausdrücken, aber tief im Innern war ihr glasklar, dass sie etwas anderes fühlte, nämlich abgrundtiefe Verzweiflung, Vergeblichkeit, existenzielle Sinnlosigkeit. Ein gesunder Mensch wollte sich einsetzen. Das hier war krank. Die Chemie stimmte nicht. Und sie fühlte sich überflüssig, wie ein Zug auf dem Abstellgleis, und hatte dieses üble Gefühl, immer weniger zu können, immer weniger wert zu sein.

Es bumperte, als ein schwerer Gegenstand an die Kabinenwand flog. Von außen. Der krummbeinige Topsider, der die Nachbarkabine bewohnte, trieb Sport. Dazu ging Kkroktok-Win nicht in den Trainingsraum. Wegen seines Hinkens, hatte er mal geknurrt, als sie gemeinsam Dienst hatten. Schwäche war in seiner Kultur eine Erniedrigung, deshalb hatte sie nicht gefragt, ob hier der Grund für seine Tätigkeit an Bord dieses unbedeutenden terranischen Forschungskreuzers zu finden war. Wie leicht konnte man ins Fettnäpfchen treten. Aber seine schweigsame, finstere Art, sein geducktes Herumschleichen, die verkniffenen Augen im anthrazitfarbenen Schuppenpanzer wurden ihr hierdurch verständlicher. Ohne ihnen ein gemeinsames Thema zu verschaffen.

In einer Stunde würde ihre nächste Schicht beginnen. An der Ortung, während ein Beiboot unterwegs war, um Asteroidenproben zu nehmen. Sie würde mit Caren Cristulla zusammenarbeiten und Vabian Dohtewie, zwei Tomalkeyner, die sich ausgezeichnet verstanden. Untereinander. Sie spielten einander die Bälle zu und verfügten stets über einen Informationsvorsprung, den sie gewinnbringend einzusetzen wussten. Natürlich nur, weil sie einfach so gut zusammenarbeiteten. Weil Adah wieder mal die Informationsdatei an unüblicher Position übersehen hatte. Weil sie das Problem erst mal untereinander besprochen und dann gleich losgelegt hatten. Reiner Zufall.

Karen besaß eine Kristallkugel, die einen Urwaldriesen ihrer Heimat, einen Parkenier, umschloss. In regelmäßigen Wechsel blinzelte die Figur mit ihren beiden Augenpaaren, wackelte mit dem schlangenförmigen Hals und stampfte mit den sechs Beinen auf. Wobei sie allerdings spiraligen Glitzerstaub aufwirbelte, der in der gelblichen Flüssigkeit Herzchen formte.

Als Adah das Ding zum ersten Mal sah, hätte sie fast gefragt, wer denn die Geschmacksverirrung mitgebracht habe. Aber sie begriff gerade noch rechtzeitig, dass Karen sie wunderschön fand, und schwieg. Sie schwieg überhaupt ziemlich viel in diesem Team. Die waren einfach schneller als sie. Wenn sie Bedenken äußerte, waren sie immer schon ein paar Schritte weiter. Was sie vorschlug, entpuppte sich als Nebensache. Was sie tat, passte nicht. Im Gegenzug schienen sie ihr harmlos, dumm und oberflächlich, und der Klügere gibt nach.

Schwach fand sie diese Leute. Und das wiederum machte ihr die Elf Sätze der Sozialen Weisung verdaulicher, die sie anlässlich dreier gemeinsamer Nachtwachen mit Kkroktok-Win nachgeschlagen hatte. In denen es nur darum ging, dass das Schwache alles schwächte und das Profunde in der Stärke lebte und sich durch Schwäche im Wertlosen verlor. Sie lehnte diese archaischen Werte ab. Und doch machte die billige Heiterkeit ihrer Umgebung ihr zu schaffen. Immer öfter stand sie beiseite.

In der Folge schaute sie ebenso finster drein wie der Topsider und hing ihren Gedanken nach. Sie wurde langsam. Sie konnte ihren Widerwillen nicht kontrollieren, der immer stärker wurde.

Das zeigte, dass sie altmodisch war, dachte sie mit gezwungener Ironie. Gut gelaunt musste man sein. Heutzutage gab es genug Ablenkung, um jeden von belastenden Gedanken ohne Sinn und Verstand abzulösen. So dass man keine Zeit mehr damit verlor, mühseligen Zweifeln hinterherzuhängen. Auch wenn die Hand, mit der man zum Controller griff, sich bleischwer anfühlte von Unlust und man sich richtig hässlich fühlte vor Umständlichkeit. Auch wenn man wusste, dass man gebildeter war als die Quälgeister.

Die Personen ihrer Geschichte hatte sie lange schon entwickelt und programmiert: Ein noch nicht genau definiertes fremdes Volk mit fünfeckigen, flachen Schiffen griffen einen Planeten an, die Bevölkerung floh. Das Setting musste sie noch verfeinern. Die Natur war so weit weg an Bord eines Schiffes mit Wänden und Böden und Decken aus Terkonitstahl, künstlicher Umluft und hydroponisch gezogenem Gemüse. An Erde, Himmel und dem Zusammenspiel von Tier- und Pflanzenwelt fehlte ihr schon mehr, als die Schönheit des großen Kosmos wettmachen konnte. Und ihr Vertrag lief noch eine Weile.

Ihre Hauptperson, die ihrem Aussehen und ihrer Persönlichkeit entsprach, war die Einheimische eines vergessenen frühen Siedlungsplaneten, eine Frau mit viel Wissen über die Natur, in die sie sich schon lange hineingeträumt hatte. Sie war intuitiv und emotional und wurde von diesem Einbruch einer feindseligen, fremden Außenwelt überrascht. Er hatte mit ihrem Leben nichts zu tun, sie verstand ihn nicht.
Dem Soldaten, den sie seit ein paar Wochen kannte und der ihr bei der Evakuierung half, hatte Adah das Gesicht ihres letzten Lebensabschnittsgefährten gegeben. Die Zeit an Bord hatte ihre Gefühle konserviert: Viel ungesagt Gebliebenes ging ihr noch immer durch den Kopf. Die Algorithmen des interaktiven Film übernahmen die Initiative.

Ihre Gefühle, was ihr durchs Gemüt zog, was sie schon seit langem beschäftigte, wurde von der Software erfasst und umgerechnet in dreidimensionale, bewegte Bilder. Sie sah sich, ihr Film-Ich, von außen und zugleich durch ihre Augen. Der karge Raum trat zurück, verblasste. Der Film begann.
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Croco
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht" von Alexandra

Beitrag von Croco »

Auweia, da ist aber jemand frustriert.

Ich meine natürlich die Protagonistin. Schön beschrieben, wie sich die junge Dame durch die - sicherlich gut gemeinten - Maßnahmen der Schiffsleitung zur Konfliktbekämpfung immer mehr zurückzieht. Sag mal, hast Du mir irgendwann mal eine Drohne untergejubelt, die mich beobachtet und Dir regelmäßig Daten schickt? Die Situation ist beinahe gleich wie bei meinem letzten Arbeitgeber. Gut gemeinte Maßnahmen, die dazu führen, das man gar nichts mehr sagt. Ein subtiles Sprechverbot. Blicke sagen mehr als Worte. Gewisse Worte wollen wir nicht mehr hören, hieß es. Na toll, so viel zum Thema Meinungsfreiheit. Die ja nicht beschnitten wurde, man durfte ja eine eigene Meinung haben, solange man sie für sich behält... :-=

Aber vielleicht kommt das ja auch anderswo vor...

Vielleicht auch im Perryversum...

Bin gespannt, wie Adah Kiyosaki das Problem löst. jedenfalls ist der Frustrationsstau für mich sehr schön nachvollziehbar. :st:

Habe ein wenig Mitleid mit Adah. Und bin zornig auf die Schiffsleitung. Ich verrmute mal, die Besatzung auf dieser "Konservendose" wird wohl immer wieder wechseln, wer wollte sich sowas auch zweimal antun. Die Mitglieder der Leitung klopfen sich dann gegenseitig auf die Schulter und beglückwünschen sich zu ihren Fähigkeiten, trotz der unglaublichen Anforderungen, die Feldforschung im All mit sich bringen, immer wieder neue Besatzungen hervorragend zu motivieren. Diese Arschgeigen ahnungslosen Volltrottel Schreibtischtäter...

Tja, wie gesagt, da ist wohl wer frustriert...

Liebe Grüße aus Wien!

P.S.: Falls das nicht aus meinem Post ersichtlich ist: mir gefällt die Geschichte bisher sehr gut und ich harre gespannt der Fortsetzung. Weiter so, oh Mietzekatze! :st:
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Alexandra
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht" von Alexandra

Beitrag von Alexandra »

Ach was, du magst nur den Kkroktok. :D

Tatsächlich müsste es so eine negative Kommunikationsstruktur ziemlich oft geben.
Viel zu oft.
Und auf so einem Explorerschiff kann man nicht zwischendrin aussteigen.
Adah flüchtet in ihre selbst gestalteten Filme.
Die sind älter, ich habe die Geschichte drumrum geschrieben.

Teil II:
Spoiler:
II.
„Bleib sitzen“, wies er sie an, drückte ihr mit einem beruhigenden Lächeln die Hand und gab ihr, als sie sich auf den Felsbrocken neben dem primitiven Holzverschlag gesetzt hatte, ein Funkgerät. „Damit können wir in Verbindung bleiben“. Den erdfarbenen braunen Umhang, den sie immer trug, hielt sie zusammengerafft – wenn sie mehr Einsicht in die Zusammenhänge hätte, würde sie etwas Sinnvolleres anziehen. Etwas Moderneres. Später. Jetzt musste er sich erst mal um alles kümmern. Wie immer.

„Wir bleiben in Kontakt“, wiederholte er, schon abwesend, und ging. Sie sah ihm nach. Kontakt. Als ob sie je miteinander geredet hätten, sie je im Gespräch mit dabei gewesen wäre. Und warum sie hier warten sollte wie ein Ding? Wegen der Explosionen dieser halb desinteressierten Echsen, die sie erschrecken wollten? Keiner würde die kostbaren Mienen zerbomben, und die Stadt war zu nahe an ihnen dran. Aber die Luftmassen, denen machte der Explosionsdruck was aus. Sie wirbelten als Orkane hoch über den Himmmel. Ihr Haar wehte ihr ins Gesicht.

Als das gelbgrüne Licht der tief treibenden Wolkenmassen unerträgliche Gefühle weckte, floh sie in die Tiefe. Natürlich war er nicht auf die Idee gekommen, den unterirdischen Gang zu benutzen, der hier mündete. Die knarrende Tür quietschte in den schiefen Angeln, die das morsche, verzogene Holz zusammenklemmten, so dass der viereckige Treppenabsatz aus verwittertem Granit wirre Spiegelungen der quirlenden Massen spiegelte, verringert zu einem schmalen Streif, als sie die Tür weiter zuzog. Verwittert im Innern, hallte es in ihr nach. Es berührte sie wie etwas, dass tief mit ihr verbunden war. Mit einem Ruck zog sie das schiefe Gebilde hinter sich zu. Dunkelheit.

Abgeschirmt von der senfgelben Brühe vor dem Himmel versuchte sie ihre Augen an das Dunkel zu gewöhnen. Taub der Raum, ohne Tiefe. Tastend streckte sie die rechte Hand aus, und als die Fingerkuppen genug der unregelmäßigen Wand ertastet hatten, fühlte sie mit der Linken nach der anderen Wand, die sie mit dem gestreckten Mittelfinger gerade noch berührte. Dann legte sie auch diese Hand an die rechte Wand und schob die Fußspitze nach vorne, um die Kante der Treppenstufe zu ertasten.

Die Leere, in die ihr Zeh sich schob, schien unergründlich. Nachdem sie das Standbein gewechselt hatte, zog sie ihr Gewicht nach, stellte sich an die Kante und ließ den Fuß nach unten gleiten. Wie sie es von einer Treppenstufe gewöhnt war, fand er Halt. Sie ließ die ganze Sohle nach unten gleiten, bis sie sich der Stufe sicher war.

Das metallene Kästchen stellte sie zur Seite in die Dunkelheit. Funkgerät ohne Funk. Und ohne sie. Dunkel der Sinn des Redens um Nichts, hier gehörte es hin. Beruhigt überließ sie sich den rabenschwarzen Schwingen ihrer Trauer, die ohne Worte um sie flatterten, sich aus ihrem Herzen lösten, das immer leerer wurde, frei von bunten Bildern, die es zu haschen galt. Reden, die ihr nicht galten, die zudecken wollten, nicht zuhören.

Noch eine Treppenstufe und noch eine. Die trockene, grobe Wand blieb ihr Begleiter, als sie tiefer und tiefer in die muffige Tiefe drang, Schritt um Schritt. Es roch nach Stein. Als sie nach oben sah, fehlte die Richtung, nur Schwärze um Schwärze. Sie setzte sich auf eine Stufe, die sie gerade überschritten hatte. Noch dröhnte das Blut in ihren Ohren, zauberte Reflexe ungreifbarer Bilder in die brunnenschwarze Nacht. Ruhiger wurde ihr Atem. Die verzerrten Reflexe verschwanden, machten dem Nichts Platz. Hier in der Dunkelheit sah man nicht, wie eng begrenzt das Nichts war. Prüfend tastete sie erneut nach der anderen Wand, dann legte sie die Hände zusammen. Erneut atmete sie tief durch.

An die Wand gestützt, führte jeder Schritt sie eine Stufe tiefer. Die drängenden Klemmen in ihrem Herzen verwandelten sich immer mehr in schattige Vogelschwingen, die ihr Gemüt im Wegfliegen streiften. Fliegen, fliegen in die dunkle Tiefe. Der Kasten piepste weit weg, schon ganz weit oben. Noch ein Schritt, noch einer, Rabenschwingen flogen in ihrem Traum, mit ihrem Lächeln davon. Tiefer.

Als der Abgang kühler zu werden begann, zog sie ihr Tuch um die Schultern, dessen bunte Farben sich ihr im Licht zeigten. Jetzt versteckten sie sich in der Nichtexistenz, scheinbar ungreifbar. Licht würde sie wieder sichtbar machen. Wenn man sehen wollte.

Dann fühlten ihre Finger eine Wand vor sich. Sie machte sich ganz flach, legte Hände, Arme, Gesicht an die kühle Fläche. Der Stein löste sich auf wie Wasserfall, und durch den stiebenden Vorhang hindurch trat sie auf ein Plateau. Oben auf einem Berg. Drumherum Weite. Wobei sie sich fragte, wie sie beim Abwärtsgehen so hoch gekommen war.
...und Teil III:
Spoiler:
III.
Sie blieb noch ein wenig sitzen, als die Sequenz endete. Dann sprang sie auf, duschte sich und machte sich bordfein zum Dienstantritt. Der Weg in die Ortungszentrale war nicht weit, die Mannschaftsquartiere lagen nur zwei Decks unterhalb der Kommandozentrale, die von der Ortungszentrale, der Navigationszentrale und der Kommunikationszentrale, dem Funkraum, umgeben war.

Der Gang vor ihrer Kabine war leer und still. Wie jeden Tag ging sie an den vertrauten Interkomanschlüssen und Beleuchtungsfeldern vorbei. Die Blumenkästen, die sie mal dort aufgestellt hatte, waren trotz ihrer festen Verankerungen aus Sicherheitsgründen verboten worden. Sah sie rein sachlich ja ein – was blieb ihr anderes übrig. Objektiv richtig und vernünftig, wie immer. Dass es in all den Monaten an Bord nicht die geringste Erschütterung gegeben hatte, aber dafür viele Wege durch triste Gänge, das zählte nicht. Ihres Erachtens war das der falsche Schwerpunkt, die tägliche Arbeitsmoral der Besatzung wurde Eventualitäten untergeordnet. Das war das grundlegende Problem an Bord dieses Schiffes, und sie würde es nicht lösen. Der Antigravschacht trug sie nach oben.

Ein Blick aufs Chronometer zeigte ihr, dass sie gerade noch pünktlich war. Von den Konsolen rund ums Hauptholo war die Hälfte besetzt. Fröhlich begrüßte sie Vabian, dessen blasierte Miene ihr in Sekundenbruchteilen die Stimmung verdarb. Schließlich wollte sie sich kein Gespräch mit der Bordpsychologin einfangen.

Sie nickte Fred Herschel zu, den die ablöste. Sie mochte ihn, weil stets alles, was er gearbeitet hatte, übersichtlich und zugänglich aufgezeichnet war, so dass sie sich gleich auskannte. Der Sitz links von ihr war noch leer. Aber diese infernalische Perkenierkugel stand dort und warf rosa glitzernde Herzchenkreise. Sie hoffte, dass Caren sie stehengelassen hatte und fertig war. Eine Schicht neben der Verkörperung der Niedlichkeit war mehr, als sie gerade jetzt ertragen wollte. Jemals ertragen wollte. Eigentlich wusste sie wirklich nicht, wieso sie immer wieder als Team eingeteilt wurden. Die dauernden Friktionen mussten doch mal Konsequenzen haben.

Im zentralen Hauptholo stand, sorgfältig gedimmt, ein übergroßer junger Stern, dessen Weiß noch ins Blaue spielte. Elfeinhalb Sonnenmassen schwer und nur wenige Jahrmillionen jung, besaß er doch schon mehr als zwei eindeutige signifikante Geschwindigkeitskomponenten in verschiedene Richtungen. Die Anziehungskraft vorbeiziehender Dunkelwolken hatten seine Raumbewegung deutlich abgelenkt. So junge Sterne hatten eigentlich denselben Orbit wie die Riesenmolekülwolken, in der sie entstanden waren. Sie müssten also mit ihnen ganz brav und regulär ums Milchstraßenzentrum kreisen. Aber durch die Gravitation der vorbeiziehenden Dunkelwolke kam man aus dem Ruder, man bewegte sich nun quer und scherte aus. Schlechter Einfluss sozusagen. Das hatten junge Sterne und junge Menschen gemeinsam. Wobei Adah sich bei den diversen Geschwindigkeitskomponenten, die in verschiedene Richtungen strebten, durchaus mit so einem Stern identifizieren konnte. Dabei war sie nicht jung. Aber der Stern war viel älter.

Sie überflog die Einstellungen auf ihrem Bildschirm: Routine. Deshalb beobachtete sie Vabian, der ihr schräg gegenüber saß, halb vom zentralen Holo verdeckt. Er sprach gerade mit dem Beiboot. Es war eine spezielle Art von kleiner Space-Jet, vollgestopft mit Messinstrumenten und Lagerräumen. Sein schmales, hageres Gesicht schloss am Kinn mit einem dünnen, chelseabraunen Kinnbart ab, der von der spitzen Nase ablenkte. Die langen, glatten Haare hatte er in einem Ton gefärbt, den er als viktoriagrün bezeichnete. Sie waren im Nacken mit einem ebenfalls chelseabraunen Lederbändchen zusammengebunden, farblich auf die Augenbrauen abgestimmt. Viktoriagrün für den Sieger, wie er gern witzelte. Angeber. Absichtlich ließ Adah das „Viktoria“ weg und stufte diese fahlgrüne Tönung als Malachitfarbe ein, und zwar die mit einem ph-Wert um die 1.5. Sie amüsierte sich über die Symbolik der Zahl, denn ganz für sich nannte sie ihn nun den „Anderthalb“. Mit bitterbösem Unbehagen. Seit sie herausgefunden hatte, wie sehr er darauf achtete, nicht anzuecken und es Vorgesetzten Recht zu machen, auch wenn er dabei die kleinen Untugenden seiner Kollegen verriet. Vor ihm war sie stets auf der Hut. Wobei sein Haar sich wunderbar gegen den Metallton der gerundeten Wandung abhob, das musste sie ihm lassen.

In der Schottöffnung erschien ein missmutig anschlappender Kkroktok-Win und ließ sich mit einer umständlichen Drehung in den Sitz neben ihr fallen. Der schuppige Schweif rasselte an der Konsolenverkleidung entlang.
„Danke, dass du einspringst“, sagte Vabian. Der Gepanzerte knurrte Unverständliches.
Also doch. „Wo ist denn Caren?“, erkundigte sie sich.
Nun war es Vabian, der sich abwandte. Was hatte sie jetzt schon wieder Falsches gesagt?

Das Holo zeigte das Asteroidenfeld, in dem das Beiboot gerade arbeitete, und sie zoomte den Ausschnitt heran. Man nahm Material auf. Die Asteroiden stammten nicht aus diesem Sternentstehungsgebiet, sie waren viel älter. Sie enthielten wertvollste Metalle und Mineralien, das versprach Gewinnspannen, und deshalb war die Erschließung des Gebiets auf diesen Aspekt hin ausgerichtet worden. Der Abbau lohnte sich. Trotzdem - eigentlich müssten die Wissenschaftler mittlerweile doch mehr als genug Materialproben haben, selbst für umfangreichste Untersuchungen. Sie grinste. Es waren seltene Metalle für die Schmuckindustrie dabei. Vielleicht sammelte einer sie ein und bastelte Ohrringe für seine Freundin zuhause.

Wie schon so oft nahm sie die Signale des Beiboots entgegen und half mit dem Anpeilen des Hangars. Eine seltsame Abweichung der Anzeigen verblüffte sie. Was war das denn – wesentlich mehr Hyperstrahlung als veranschlagt. Seltsam.

Ein Blick nach links verriet ihr, dass Kkroktok-Win sich gerade erst einarbeitete, auf seinem Bildschirm konnte sie das Innere eines Beiboothangars erkennen, und dort gab es jetzt garantiert noch nichts zu tun. Ein Blick schräg gegenüber verdarb ihr die Neugierde. Wenn Anderthalb das bemerkte, würde er garantiert weitermelden, wie ineffizient der Topsider arbeitete. Und er schaffte es immer wieder, sich Gehör zu verschaffen.

Also ignorierte sie die Machenschaften der Echse, um die Hyperstrahlung nachzumessen. Die Werte konzentrierten sich um einige bestimmte Asteroiden herum. Bevor sie weiter eingrenzen konnte, kam ein Überrangsignal und ihre Messungen wurden runtergefahren. Verblüfft starrte sie auf die geschlossenen Fenster. Dann spürte sie Vabians Nähe. Er beugte sich zu ihr und legte die Hand auf ihre. „Kann ich dich mal eine Sekunde sprechen?“
Adah nickte und merkte, wie sie nervös wurde, Verflixt, der Mann war halb so alt wie sie und wesentlich unerfahrener, und trotzdem fühlte sich sich schon wieder so – ungenügend.
„Was gibt es?“, fragte sie mit augenscheinlicher Gelassenheit.
„Vabian machte eine Kunstpause, setzte die Leichenbittermiene auf, mit der er sein Bedauern auszudrücken pflegte. Darüber, dass er schon wieder gezwungen war, etwas Unangenehmes anzusprechen: „Was du da eben gemacht hast. Was sollte das denn?“
„Die Peaks an Hyperstrahlung“, erwiderte Adah. „Weiß ich noch nicht. Ich muss das erst...“
Vabian verstärkte seinen Händedruck. „Du hast den Datenfluss durcheinandergebracht. Das ist kein Witz, du weißt, wie schwer die Navigation in diesem Gebiet ist.“
„So ein Quatsch“, protestierte Adah. „Ich kenne meine Anzeigen.“
„Anscheinend aber nicht“, beharrte Vabian. „Und in unserer Position müssen wir schon Verantwortung walten lassen. Wir hatten das doch erst besprochen, wir hatten auch die Psychologin dazugeholt.“
„Aber das war doch völliger Unsinn.“ Hilfesuchend sah sie ihren anderen Sitznachbarn an, aber der war tief in die Arbeit versunken, hatte vom Hangar auf das Asteroidenfeld umgeschaltet und arbeitete sich an das Beiboot heran.
„Die Arbeit der Psychologen wurde von der Schiffsführung in Auftrag gegeben und Teil unserer Evaluationsprozesse. Da haben wir schon das nächste Beispiel. Du bist abgelenkt, du denkst an was anderes, du bekommst nicht mit, was gerade läuft. Das meine ich. Immer wieder passiert so was.“

Ehe Adah etwas erwidern konnte, betrat Caren die Orterstation und bestimmte sofort die Atmosphäre. „So, da bin ich!“ Lachend trat sie an Vabians heran, und er wandte sich ihr zu. „Was war denn nun?“, erkundigte er sich.
„Stell' dir vor, ich hatte meinen Signalgeber liegenlassen und kam nicht in die Kantine, in der noch meine Tasche lag. Sieh' mal!“. Sie hob ein Lederding mit bunten Blumen darauf hoch. „Und dann musste ich den Signalgeber suchen. Er lag hinter einem Reinigungsrobot in seiner Nische. Ich kann mir gar nicht erklären, wie er dorthin gekommen war.“
„Und?“, dachte Adah. „Warum strahlt er sie an und ich werde dumm angemacht? Bin ich im falschen Film oder was?“ Die beiden begannen ein angeregtes Gespräch. In den Ortungszentralen, in denen sie bisher gearbeitet hatte, war man ruhig und konzentriert gewesen. Hier galt dies als miesepetrig. Und als Anlass für Problemgespräche.

Sie lachte nicht mehr darüber, seit der Kommandant Vabians Unterstellungen Wort für Wort geglaubt und Caren erlaubt hatte, sie mit Ratschlägen für eine unbeschwertere Lebensführung einzudecken. Sie nehme die Arbeit zu persönlich. Sie arbeite zu viel. Sie solle sich mal entspannen. Es hatte sie eine gewisse Mühe gekostet, aber dann hatte sie sich an den „Dienst nach Vorschrift“ gewöhnt. Und die so entstandene freie Zeit mit eigenen Interessen gefüllt. In gewisser Weise sah sie die drei mittlerweile als ihre Inspiration und hatte Carens blonden Lockenkopf schon in einer holographischen Umsetzung eines literarischen Textes verwendet. Was sie jetzt schwatzte, war reines Studienmaterial, das Adah später verwenden würde. Für ihre eigenen Zwecke.

Der Topsider erhob sich. „Damit bin ich wohl frei.“
„Aber natürlich, danke fürs Einspringen.“ Mit puppenhafter Quirligkeit hüpfte Caren zu ihrem Sitz und nahm Platz. „Allerdings, gut, dass, du kommst“, bestätigte Vabian. Aus den Augenwinkeln glaubte Adah zu sehen, wie Caren die Augen in ihre Richtung verdrehte und Vabian die Mundwinkel verzog. Aber als sie hinsah, strahlte Caren sie an. „Bei dir muss ich mich auch entschuldigen, Adah, dass ich so viel Unruhe in die Schicht bringe.“
„Schon gut“, hörte sie sich wider Willen antworten. Es wäre so grob unhöflich gewesen, die Wahrheit zu sagen.

Die nächsten Stunden verbrachte sie in gereizter Passivität. Tat das Nötigste, achtete nur auf die Werte, die unbedingt zum Vorgang gehörten. Sie war sich sicher, Recht zu haben – aber wenn es keinen interessierte, bitte schön. Caren und Vabian warfen einander lustige Bemerkungen zu. Vabian war besonders zuvorkommend, aber sie traute ihm nicht.

Diese Stimmung machte ihres Erachtens den Sinn der Ortungszentrale kaputt, denn neben der Kommandozentrale war dies nun mal der Raum, in dem alle wichtigen Informationen von den "Sinnesorganen" und Sensoren eines Raumschiffes gesammelt, verarbeitet und für die Schiffsführung aufbereitet wurden. Er war nicht als Plattform für Eigeninteressen konzipiert. Aber die Schiffsführung ließ es geschehen. Wahrscheinlich lasen die nur die Protokolle. Die Vabian schrieb. Und die Auswertung der Schiffspositronik.

„Dip him in the river who loves water“, murmelte sie. Warum hatte sie sich nur auf diese Fahrt eingelassen? Warum sich nicht mit den prachtvollen Holographien ferner Sternentstehungsgebiete zufriedengegeben, warum musste sie unbedingt selber hin? Dummheit!“
„Was sagst du?“, erkundigte sich Caren.
„Tiefe im Wasser liebt er, der Wasser liebt“, übersetzte Adah, von einem plötzlich vorbeispazierenden Teufel geritten. „Von einem alten terranischen Dichter, auf Englisch. William Blake. Er wohnte in Lambeth in London.“
Caren nickte verständnislos.
„Die terranische Stadt, die Ende der Dolankriege zerstört wurde“, erklärte Adah.
„Ach so. Was du immer alles weißt.“
Adah klärte sie nicht auf. Unwissenheit machte glücklich. Zumindest machte Carens Unwissenheit sie glücklich. Mit ihren blonden Locken sah sie aus wie ein Engelchen, und die „Marriage of Heaven and Hell“, aus der dieses Sprichwort stammte, wimmelte vor Engeln. Dummen Engeln, selbstzufriedenen Engeln.

Nach vier Stunden war das Beiboot zurück, und die Besatzung der Orterzentrale konnte verringert werden. Einer war dran mit Bereitschaft.
„Du kannst ruhig gehen“, schlug Caren vor. „Wir beiden halten die Stellung, nicht, Vabian?“ Auch er strahlte.
Vor so viel unbeschwerter Selbstzufriedenheit musste sie ganz einfach kapitulieren.
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AARN MUNRO
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht" von Alexandra

Beitrag von AARN MUNRO »

Gefällt mir bis jetzt sehr gut. Bitte weiter so! ^_^
"Doc war Pazifist, was ihn nicht daran hinderte, realistisch zu denken!" (Robert A. Heinlein in "The moon is a harsh mistress")
AARNs PR- Artikel auf https://www.zauberspiegel-online.de
Sense of Wonder allein, ist Fantasy. Bei SF erwarte ich logische Zusammenhänge.
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht" von Alexandra

Beitrag von Alexandra »

I'll do my very best.... :D

Tatsächlich trifft man immer wieder auf überraschende Bekannte.
Und weiß im Vorfeld nicht, was dabei rauskommt.
Wenn man's nur wüsste!




Teil IV
Spoiler:
IV.
Auf dem Weg zur Kabine traf sie Ian.
„Grüß dich, Adah“, rief er. „Was machen die Orterdaten?“
Unwillkürlich zuckte sie zusammen. Ob er wusste...dann entspannte sie sich. Mit Ian entspannte sie sich immer. Er war genauso jung wie Vabian, aber offen und heiter. Er konnte sogar sie auftauen.
Aus schmalen, dunkelbraunen Augen musterte er sie einen Moment lang, dann ging die Ernsthaftigkeit in einer jungenhaften Handbewegung verloren, wurde weggewischt wie eine lästige Schliere.
„Um 22 Uhr Bordzeit treffen wir uns an der üblichen Stelle und machen Musik.“, erklärte er. „Kommst du? Das letzte Mal ist schon wieder drei Wochen her.“
Unwillkürlich musste sie lächeln und merkte in diesem Moment, dass sie sich scheußlich gefühlt hatte.
„Ich kann immer noch nicht singen“, gab sie zurück.
„Macht nichts, du kannst den Takt klopfen“, gab er zurück.
Gut gelaunt hob sie die Hand und winkte ihm zu. „Ich werde da sein“, versprach sie.

Das waren diese anderen Momente, die ihr das Dasein an Bord doch erträglich machten. Andererseits war das Wechselbad auf Dauer zu viel für sie. Einmal reduziert zu einem lästigen Nichts, dann wieder willkommen. Ohne Nachhaltigkeit, denn die guten Momente reichten gerade zur Wiederbelebung, dass sie wieder und wieder eine neue Runde antreten konnte. So wurde auch ein lebendiger Freundeskreis zur Unterhaltung degradiert, reduziert auf seinen Erholungswert. Machte sie fähig, wieder anzutreten. Und schon war sie erneut in finstere Gedanken versunken. Dieser Wechsel machte das ganze Leben billig, stempelte Freunde zur Staffage. Wieder wurde ihr bleischwer ums Herz.

Zeit für eine gepflegte Depression. Lieber nicht, dachte sie, und bog lieber doch erst mal in die Cafeteria ab. Hier sah es leer aus. Zwei Techniker saßen vor ihren Tassen und unterhielten sich. Immerhin erkannte sie Lar Sto Phan am Ecktisch. Sein kunstvoll geflochtener Bart leuchtete tiefrot. Er hatte die Hände gefaltet und die Ellenbogen aufgestützt. Als er sie erkannte, hob er grüßend die Hand.

Seine Mutter war Plophoserin, sein Vater ein Springerpatriarch, und wenn seine Geschichten auch immer mal wieder eine Nummer zu groß waren, so würde es ihm in diesem Moment jeder geglaubt haben. Er war riesig. Das Glas in seiner Pranke wirkte wie Kinderspielzeug.
„Hallo Adah“, begrüßte er sie. „Wie geht’s?“
„Wie geht’s selber?“, fragte sie zurück.
„Gut“, brummte er. „Hol dir doch was.“
Sie tastete sich einen synthetisierten Mangosaft. „Eigentlich hätte ich noch Dienst“, erzählte sie. „Aber es gibt zu wenig zu tun, also reichen zwei.“
„Hm“, meinte Lar.
„Jo.“ Sie setzte sich. „Und was machst du so?“
„Die Hydroponik. Die Regelung der Nährstoffzufuhr im Tomatentank hat sich selbstständig gemacht, gerade jetzt, wo die Pflanzen in Blüte stehen. Das muss ich richten. Bin also zum Ersten Blumengießer der VERNAL PIKE befördert.“
„Glückwunsch“, gratulierte Adah ihm ungerührt. „Du bekommst den Tomatenorden. Was macht Gondolin?“
Lar zuckte die Schultern. „Muss drinnen bleiben.“

Gondolin war ein bepelztes Tier, Lars' Tier, das seine dreizehn gelenkigen Greiffüße mit leisem Scharren über den Stahlboden wandern ließ, um den runden, dreiäugigen Kopf unvermutet unter dem Tisch oder neben den Sitzen auftauchen zu lassen. Er hing auch schon mal von der Decke, wenn er sich dort einhaken konnte, und angelte Nahrung. Früher hatte er Lar überall hin begleitet. Bis der Schiffsführung auffiel, dass ein dreiäugiger, bepelzter Dreizehnfüßler unhygienisch war. Seitdem musste Lar beantragen, wenn er ihn irgendwohin mitnehmen wollte, und er verzichtete immer öfter darauf. Zu viel Bürokratie. Zugleich war er dazu übergegangen, seinen Feierabend und die Pausenzeiten eisern wahrzunehmen.

Die Atmosphäre an Bord hatte sich geändert. Der Kommandant, Major Raoul Netzer, achtete eisern auf Ordnung, so weit er sie durchsetzen konnte. Und Vorschriften. Mittlerweile war man stolz darauf, nur mehr nach Plan zu arbeiten, und ohne eigenes Interesse. Nur keinen Handschlag zu viel, um keine Fehler zu machen, keine Angriffsfläche zu bieten. Und natürlich war auch keine Rede mehr von außerplanmäßiger Materialbeschaffung, wie damals beim Kupfer für ihre Kabine. Und den Astroidensteinen. Strenge Trennung von Beruf und Privatleben. Dienst nach Vorschrift. Kein Überschwang und kein Engagement. Man musste sich beschäftigen, um nicht krank zu werden. Wobei der Krankheitsfall ebenso durchgeplant war wie alles andere, und wer hatte da noch Lust, krank zu werden?

„Und, habt ihr Gold gefunden? Platin? Wasser? Saphire? Luurs-Metall ?“, fragte Lar und drehte eine Locke seines geflochtenen Vollbartes nach.
Adah schüttelte den Kopf. „Luurs-Metall? Frisch per Paket von den Herren des geheimnisvollen Methanriesen.“ Sie lächelte – allerdings, wenn sie diesen Riesen hier vor sich hatte, konnte man sich auch den Methanriesen vorstellen. Lar, der Luursgräber.

Wieder eine seiner Münchhausenideen. Garantiert würde er später erzählen, dass sie so was gefunden hätten. Und irgendjemanden finden, der ihm glaubte. Der einzige Planet, auf dem man dieses unglaublich teure Material fand, wurde strengstens geheim gehalten. Denn Luurs-Metall war vor allem eins: teuer. Und praktisch. Es gab keine Bedingung, unter der dieser Stoff seine konstante Temperatur von 3,4336715781 °C verändert hätte. Keine terranische Banknote, keine Kühlung der Transformgeschütze ohne Luurs. Und es gab private Interessenten: Hochbezahlte Spitzensportler rissen sich ebenso um das Material wie die Ausrüster von Raumlandekommandos.

Luurt bestand aus einer Legierung von Isotopen der Edelmetalle Silber, Gold und Platin. Ähnlich wie bei Hyperkristallen waren hyperenergetische  Konzentrationskerne darin eingelagert, die auf einem 5- oder höherdimensionalen Energieniveau schwangen und sich pseudomateriell auswirkten: Das war eine spannende Sache, weil die normalen Atomgewichte einfach nicht passten und die normale Quarkskonfiguration nachweislich nicht der normalen Isotopen- und Atomzusammensetzung entsprach. Spannend für Physiker. Der praktische Nutzen: Kompressen daraus blieben unbegrenzt lange kühl. Dafür zahlten die Leute.
Lar grinste.
„Das beschäftigt dich, was? Kommt doch der innere Händler durch?“
Lars Miene verfinsterte sich. Anscheinend eckte sie hier auch schon an.
„Weil du eine Zeit lang ständig darüber gewitzelt hast“, begann sie sich zu verteidigen. „Als ich dich um das Kupfer gebeten hatte.“
„Ach, dein Kupfer. Bist du zufrieden?“
„Ja.“ Adah dachte zufrieden an ihre Kabine. „Sieht gut aus, bringt Atmosphäre in den Raum. Bringt mich auf gute Ideen. Ich arbeite gerade William Blakes „Hochzeit von Himmel und Hölle“ zu einem Holofilm um.
„Die „Marriage of Heaven and Hell“. Vereinigung der Gegensätze. Feurige Teufel und abkupfernde Engel.“

Wieder einmal hatte er Adah verblüfft. Lar war ein sachlicher Typ, irgendwie konnte er alles reparieren, fand jede Information – über Dinge. Lar kannte Gegenstände. Und dann wusste er wieder einmal so was. Als lebte er mehrere Leben gleichzeitig, dachte sie oft.
„Vielleicht kann ich dir das mal zeigen, wenn ich weiter bin“, schlug sie vor.
„Klar schaue ich mir deine Sachen an“, versicherte er.
Damit kam wieder die übliche Ruhe in seine Gestalt. Tatsächlich war das Gespräch auch beendet. Adah trank ihren Saft und verabschiedete sich.

... und Teil V
Spoiler:
V.
Als sie in ihre Kabine trat, kam sie in eine andere Welt. Der Raum wirkte archaisch: Der runden Teppich in der Mitte aus Schmutz abweisendem Nanomaterial wirkte wie von Hand aus grobem Bast gewebt. Davor die schlichte beige Couch, daneben die Bedienelemente. Den Tisch hatte sie eingeklappt, sie allein brauchte ihn nie, und Besuch hatte sie keinen. Gegenüber die Stümpfe dreier Holoprojektoren, der große in der Mitte, der mittlere rechts, der kleine links. In der dem Schott gegenüberliegenden linken Ecke war oben ein dreieckiges Holzbrett eingefügt, gefertigt aus einem Birnbaum, der wenige Wochen nach dem Start der VERNAL PIKE eingegangen war. Unten eine entsprechende metallische Halterung, und dazwischen hingen an vertikal gespannten Fäden dicke, gehämmerte Kupferdrähte in verschlungenen Formen. Das Metall stammte aus Asteroiden. Nach Jahrmilllionen im Raum direkt zu ihr.

Als sie sich an Bord noch wohler gefühlt hatte, war es ihr leicht gefallen, es zu bekommen. Lar Sto Pan hatte ihr den Kupferdraht gebracht, zu dem einer seiner Freunde das extrahierte Kupfer verarbeitet hatte. Und ein paar stabile Steine, die keine interessanten Mineralien enthielten. Die hatte sie als Hammer benutzt. Das Ergebnis war einfach, aber eindrucksvoll, und es war entlang der Wand aufgespannt.

Sie duschte, wie immer, wenn sie kam oder ging, und zog sich ihren bernsteinfarbenen Freizeitoverall an. Dann griff sie zur Bedienung ihrer Holoanlage. Nicht, um an dem Blake-Projekt weiterzuarbeiten, sondern um ihren eigenen Film durchzuspielen: ihren Abstieg durch den Berg in die Tiefe mit dem überraschenden Endpunkt.

Unter dem Wasserstrahl hatte sie eine Idee gehabt, und sie wählte eine optionale Einstellung, in der die Hauptperson mit moderner Technik lebte. Der Bezugspunkt war kein Mann, schon gar nicht ihre alte Flamme, sondern eine der stählernen Kugeln, in denen sie lebte: ein Raumschiff. Doch auch dieses flog ab. Schon wieder eine Flucht.

Umhüllt vom irrisierenden Feld ihres Schutzanzugs trieb sie durch den Sturm, der die trübe Atmosphäre durchtoste, seit das Raumschiff viel zu schnell gestartet war. Wofür also all der Aufwand, was war der Sinn gewesen?

Für sie waren die Luftwirbel kein Problem, sie brauchte nur das Sprachkommando zu geben, um völlig abgeschirmt zu sein. Die Konflikte dieser Welt interessierten sie nicht, und das Hin und Her der aufgeregten Anweisungen aus dem Funkgerät zehrte an ihr, keine davon stand in einem sinnvollen Zusammenhang. Die Technik funktionierte, doch Sinn machte all das nicht. Gereiztheit wurde zu Leere, Leere zu zäher Hoffnungslosigkeit, die sogar ihre Gleichgültigkeit ersticken wollte unter der Last ihrer Trägheit.

Die vom überstürzt gestarteten Schiff aufgewirbelten Luftmassen bildete ihre Stimmung gleich einem Vergrößerungsglas im Außen ab, ein übergroßes Labyrinth kreiselnder Zerrspiegel. Als das gelbgrüne Licht der tief treibenden Wolkenmassen unerträgliche Gefühle weckte, floh sie in die Tiefe. Ein lächerlich kleiner Fleck, vom Schiff aus gesehen. Die Öffnung war da, tatsächlich, versteckt in einem primitiven Holzverschlag. Die knarrende Tür quietschte in den schiefen Angeln, die das morsche, verzogene Holz in trockenem Klammergriff zusammenhielten. Über den viereckigen Treppenabsatz aus verwittertem Granit zuckten wirre Spiegelungen der quirlenden Massen, zogen sich zusammen zu einem schmalen Streif, als sie die Tür weiter zuzog. Verwittert im Innern, hallte es in ihr nach. Verwittertes Abbild auf Steinboden. Mit einem Ruck zog sie das schiefe Gebilde hinter sich zu. Dunkelheit.

Abgeschirmt von der senfgelben Brühe vor dem Himmel versuchte sie ihre Augen an das Dunkel zu gewöhnen. Taub der Raum, ohne Tiefe. Tastend streckte sie die rechte Hand aus, und als die Fingerkuppen die Unebenheiten der notdürftig behauenen Wand ertastet hatten, fühlte sie mit der Linken nach der anderen Wand, die sie mit dem gestreckten Mittelfinger gerade noch berührte, den Raum mit ihrem Körper messend. Dann legte sie auch diese Hand an die rechte Wand und schob die Fußspitze nach vorne, um die Kante der Treppenstufe zu ertasten. Die Leere, in die ihr Zeh sich schob, schien unergründlich. Nachdem sie das Standbein gewechselt hatte, zog sie ihr Gewicht nach, stellte sich an die Kante und ließ den Fuß nach unten gleiten. Wie sie es von einer Treppenstufe gewöhnt war, fand er Halt. Sie ließ die ganze Sohle nach unten gleiten, bis sie sich der Stufe sicher war.

Die bloße Igedanke an den Helmscheinwerfer ließ ihre Nerven kribbeln. Die Schwärze war besser als geschlossene Augen. Schwingende Schwärze. Schwingen. Ausschwingen. Verklingen des bedeutungslosen Geschwätzes. Und wenn einer anrufen würde? Das Funkgerät ließ sich vom Anzug trennen, eine Sicherheitsvorkehrung wohl… ab war es. Federleicht, starr, ein kleines Stück Metall. Sie stellte es zur Seite in die Dunkelheit. Dunkel der Sinn des Redens um Nichts, endloses Reden ins Dunkel, hier gehörte es hin.

Jetzt hatte sie Zeit zu hören. Beruhigt überließ sie sich den rabenschwarzen Schwingen ihrer Trauer, die ohne Worte um sie flatterten, die sich aus ihrem Herzen lösten, das immer leerer wurde, frei von bunten Bildern. Reflexe in leerer Luft, die Reaktionen wollten. Reden, die ihr nicht galten, die Spiralen gleich in sich kreisten, verfolgt von aufgeregten Sprechern, kreisende Achter auf konturloser Fläche. Welche die Leere zudecken wollten, erfüllen wollten und die auf keinen Fall zuhören wollten.

Noch eine Treppenstufe und noch eine. Die trockene, grobe Wand blieb ihr Begleiter, als sie tiefer und tiefer in die muffige Tiefe drang, Schritt um Schritt. Es roch nach Stein. Als sie nach oben sah, fehlte die Richtung, nur Schwärze um Schwärze. Sie setzte sich auf eine Stufe, die sie gerade überschritten hatte. Noch dröhnte das Blut in ihren Ohren, zauberte Reflexe ungreifbarer Bilder in die brunnenschwarze Nacht. Ruhiger wurde ihr Atem. Die verzerrten Reflexe verschwanden, machten dem Nichts Platz. Hier in der Dunkelheit sah man nicht, wie eng begrenzt das Nichts war. Prüfend tastete sie erneut nach der anderen Wand, dann legte sie die Hände zusammen. Erneut atmete sie tief durch.

An die Wand gestützt, stieg sie mit jedem Schritt eine Stufe tiefer. Die drängenden Klemmen in ihrem Herzen verwandelten sich immer mehr in schattige Vogelschwingen, die ihr Gemüt im Wegfliegen streiften. Unvermittelt wurde ihr der Raum bewusst, nach oben und unten Raum. Himmelsräume an dunkler Tiefe. Der Kasten summte weit weg, schon ganz weit oben. Summte und summte. Noch ein Schritt weiter, noch einer, Rabenschwingen flogen in ihrem Traum, mit ihrem Lächeln davon. Tiefer. Das Summen verstummte.

Als der Abgang kühler zu werden begann, hielt sie sich die Hände vors Gesicht, ohne zu sehen, bewegte die Finger, wusste, was sie nicht sah. Sie versteckten sich in der Nichtexistenz, scheinbar ungreifbar. Licht würde sie wieder sichtbar machen. Wenn man sehen wollte. Mit offenen Augen genoss sie den leeren Raum, der sich vor ihr entfaltete.

Dann fühlten ihre Finger eine Wand vor sich. Tastend legte sie die Hände daran, achtsam und ohne Angst. Sie bildete einen festen Abschluss, hier war der Weg zu Ende. Das Ende. Traumhaft sicher legte sie Hände, Arme, Gesicht an die kühle Fläche, schmiegte sich an die glatte Mauer. Die löste sich auf wie Wasser, und durch den Vorhang hindurch trat sie auf ein Plateau ganz oben auf dem Berg, der ganz allein sich erhob, weit, ganz weit weg von der Metallkugel, dem entfesselten Wetter und dem Toben des schwefelgelben Sturms, den sie ganz am Horizont erkennen konnte. Wie bedrängt musste sein, wer sich dort befand. Die kühle Luft brachte Regentropfen. Der Regen machte sie wach.
Vivian-von-Avalon

Re: Fan-Geschichte "Die Flucht" von Alexandra

Beitrag von Vivian-von-Avalon »

Also - ich finde die Story auch sehr gut! Kompliment, Alexandra! :st: :st: :st:

Sie beschreibt eine Situation, die immer aktueller wird - Man (Firma, Vorgesetzte, Arbeitgeber oder so ähnlich ...) möchte keine Konflikte am Arbeitsplatz, die Arbeitnehmer "haben" keine Konflikte, weil sie sie herunterschlucken, mit nach Hause nehmen ... und irgendwann davon krank werden!
Ich sehe das auch als ein Problem an, dass es in Zukunft weiterhin geben wird - vielleicht sogar noch mehr als heute. Denn Konfliktvermeidungsstrategien werden immer mehr - ohne zu bedenken, dass unter dem Strich damit den Betroffenen geschadet wird.

Eine Frage habe ich: William Blake ... Du schreibt, er stammte aus dem von Dolans zerstörten London. Ich nehme aber an, dass Du keinen Dichter aus dem SF-Zeitraum meinst, sondern einen, der schon für uns historisch ist?

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass der Name mir im Moment nichts sagt ... seufz ... seufz ...
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Alexandra
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht" von Alexandra

Beitrag von Alexandra »

Blake ist unvergleichlich.
Englische Romantik, Visionär, Kupferstecher.
Im übernächsten Teil kommt mehr über ihn, aber das will ich mir noch mal durchlesen.


Sein Kupferstich "Malevolence" - Übelwollen.
Passt gut zu unserem Thema im anderen Thread: Ein Mann, eine Frau auf jeder Seite:

Bild
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/Willi ... elence.jpg
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Alexandra
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht" von Alexandra

Beitrag von Alexandra »

Heute noch das Zwischenkapitel.
Der Blake kommt morgen.



Teil VI.
Spoiler:
VI.
Tatsächlich fühlte sie sich erfrischt, als sie aufschreckte. Obwohl es die Sirenen waren, die in diesem Augenblick losheulten.
„Achtung, alles in Bereitschaft“, erklang die Sprechanlage. Nicht mehr. Natürlich, das war typisch für diese Schiffsführung: Keine Informationen an die unteren Ränge. Damit diese auch wussten, wohin sie gehörten. Lächerlich. Leute wie Caren und Vabian gediehen in diesem Klima, Befehlsempfänger. Die buchstabengetreu befolgten, was sie tun sollten, und im Notfall auch mal einen eigenen Fehler versteckten, indem sie dezent auf die anderer Leute hinwiesen. Denen man am besten keinen Anlass bot. Von denen es leider ein paar zu viele an Bord gab, und in den falschen Positionen.

Adah sprang auf und zog sich die Bordkombination an, über die ein Raumanzug passte. Nun erst rief sie die Orterzentrale an. „Ich bin gleich da“, sagte sie.
„Ach nein, wir kommen zurecht. Der Alarm ging automatisch los. Eine Fehleinstellung.“
Unwillkürlich fühlte Adah sich schuldig. Hatte sie doch was falsch gemacht? Quatsch, nein!
„Da ist irgendeine alte Raumboje, wahrscheinlich von Prospektoren, die auf eigene Faust in den Asteroidengebieten nach Rohstoffen suchen. Reine Routine“, erklärte Vabian.
„Dann ist es ja gut“, erwiderte Adah befremdet. Ihre Intuition protestierte, und ihre Gründlichkeit auch. Das konnte doch gar nicht so laufen.
„Komm einfach in zwei Stunden, um mich abzulösen“, sagte Vabian. Im Hintergrund hörte sie Caren zu jemandem sprechen: „Wir müssen uns die Bereiche aufteilen, sonst schaffen wir das nicht. Ich nehme die Messungen und die Navigation, du konzentrierst dich aufs Weiterleiten der Egebnisse an den Computer und die Brücke.“
„Also, alles klar, mach's dir gemütlich, erhol' dich“, meinte Vabian und schaltete ab.

Adah blieb verwirrt stehen. Sie fühlte sich sich überrumpelt und abgekanzelt. Aber was sollte sie tun, ohne wieder dumm dazustehen? Uneingeladen dazukommen?
Diese Leute hatten die Nase vorn, weil die Schiffsführung sich nicht für Einzelne interessierte, nicht mit der Mannschaft lebte und keine Ahnung von den vielen kleinen Verrichtungen ihres Alltags hatte. Leute wie diese gaben ihnen Informationen. Was sie allerdings gegen sie im Speziellen hatten, das verstand sie nicht.

Dieses Verhängnis begleitete sie nun schon einige Zeit. Sobald sie einen Witz machte, den sie lustig fand, sobald sie etwas gründlicher durchdachte, bekam sie befremdete Blicke, wollte man sie zum Psychologen schicken. Und fand immer wieder Fehler in ihrer Arbeit. Dabei war sie sich sicher, nichts anderes zu machen als vorher. Und tatsächlich fiel es ihr immer schwerer, weiterzumachen. Sie wurde immer befangener, und immer öfter ertappte sie sich bei echten Fehlern. Eigentlich ließ sie sich nicht unterkriegen. Das wäre ja gelacht. In ihren bisherigen 48 Dienstjahren hatte sie schon jede Menge Konfliktsituationen bewältigt. Auch diese würde sich aufklären.

Trotzdem - vielleicht sollte sie das alles doch ernster nehmen. Nachgeben und einen langen Heimaturlaub antreten. Auf sich selbst hören und sich fallen lassen, um, wie in ihrer Geschichte, auf einer Höhe herauszukommen, endlich Zeit zu haben. Herausfinden, was sie wirklich wollte.
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Alexandra »

Teil VII - A Memorable Fancy

Spoiler:
VII.
Und damit fing sie gleich an. Ihre eigene Arbeit legte sie erst mal weg, sie wollte etwas Vorzeigbares. Warum nicht das Blake-Projekt weiterarbeiten, um es vorführen zu können? Das gäbe mal wieder ein bisschen an interessanten Gesprächen. Besser, als sich in sinnlosen Grabenkämpfen zu verausgaben.

Sie wechselte die Einstellungen. William Blake. Der Visionär, der Kuperstecher. The Marriage of Heaven and Hell. Die 27 Druckplatten des Werkes entstanden von 1790 und 1793. Jeder Druck war handkoloriert, und auf diese Bilder stützte sie sich.

Im linken ihrer drei Holobälle erschien die düstere Schlange von der 20. Platte des Textes, Leviathan. Ein mythisches Meeresungeheuer, das der Mathematiker und Staatstheoretiker Hobbes als Symbol für die Allmacht des Staates setzte. Hier als tobende Seeschlange, denn Blake lehnte die theoretischen Konzepte ab. Auch die gezirkelte Gläubigkeit an die systematischen Beweise der Mathematik. Dass er die fantasievollen Hypothesen dieser Geisteswissenschaft ablehnte, die freie Vermutung durch systematische Beweisführung nachwies, glaubte sie nicht. Sie stellte sich das vor wie bei Blakes Abbild eines kraftstrotzenden Newton, der geduckt am Boden mit dem Zirkel hantiert. Er konnte sich aufrichten.

Im rechten Holoball entstanden die Verse, die den jeweiligen Bildern entsprachen, in bunten Originalbuchstaben, von Morgenröte umglänzt. Sah toll aus. Aber der Sinn - die eindrucksvollen Szenen konnte sie ausgestalten, aber würde sie auch den Hintergrund dieses Werkes vermitteln können, die Zwiespältigkeit der Bedeutungszuweisung? Ihren Zeitgenossen einen Zugang schaffen? Das war groß, wichtiger als sich gegen unbedeutende Spießer in einer stählernen Weihnachtskugel durchzusetzen.
Los ging's.

Im Zentrum der Kugel entstand das Gesicht eines Engels. Bei Blake war der Engel männlich, doch sie hatte ihn – sie – weiblich gestaltet, mit blonden Locken und niedlichen blauen Augen. Die Parallele zur Wirklichkeit ließ Adah innehalten. War sie unfähig? Doch sie kam über den Zweifel hinweg. Blake hatte Engel gesehen und mit ihnen geredet, hatte die Seelen Sterbender gesehen, die ihre Körper verließen, und doch waren die Engel dieses Werkes unfrohe, zerstörerische Nachahmer. Dann würde sie den Balanceakt auch schaffen.

Das Engelmädchen tänzelte demzufolge frohgemut auf die Betrachterin zu. Adah hatte diese Rolle unbesetzt gelassen, so dass der Betrachter als er selbst – sie selbst – aus der Figur heraus die Handlung betrachtete. Sie konnte ihre Selbstwahrnehmung mitbringen.

In ihrem Fall also die grauhaarige Frau in Bordkombination, die im Schneidersitz auf den technisch perfekt auf archaisch gemachten Bastteppich in der Kabine an Bord des Schweren Kreuzers VERNAL PIKE saß und mithalf, den den Katzenpfotennebel auf Rohstoffe zu untersuchen. Die ihren Job machte und jede verfügbare Minute in ihre selbstbestimmten Holowelten steckte. Sie war es, vor der die Blondgelockte die Hände zusammenschlug, die sie mitleidig ansah und rief: „Oh bemitleidenswerte Närrin! Oh, wie schrecklich ist das! Welch grauenhafter Zustand! Bedenke das in heißen Flammen brennende Verlies, das du dir selbst für alle Ewigkeit bereitest mit dieser Lebensführung!“

Adah hätte den Text nicht kennen müssen, um in diesem Moment die richtige Antwort zu geben, auch wenn es sich anfühlte wie eine eigene Reaktion. Zu schnell wurde die Replik ins eigene Bewusstsein eingespielt, um den Unterschied zu bemerken. Sie entgegnete: „Vielleicht magst du mir mein Los in der Ewigkeit vor Augen führen. Und wir beide denken darüber nach, welches Los begehrenswerter ist, meins oder deins!“
Ihr echter Körper blieb ruhig, doch virtuell winkte sie ab, während virtuelles Parfüm ihr Gesicht streifte und die entzückende Blonde ihre Hand nahm, um sie mit nachfedernden silbrigen Schwingen wegzuführen. Sie begriff die Weggeführte als ICH.

So kamen sie an eine geöffnete Stalltür. Die Engelin und ICH gingen an den Boxen vorbei und zur gegenüberliegenden Tür hinaus. Auf dem schmutzigen Betonplatz stehend, erblickten sie eine Kirche. Auch deren schweren Portal stand offen, und innen umfing UNS dämmrige Kühle und Weihrauchdunst. Oben leuchteten bunte Fenster, doch WIR durchquerten das Hauptschiff und suchten die steinernen Stufen nach unten, unter den Chor ins bogengestützte Kellergewölbe der Krypta. An Nischen mit Sarkophagen vorbei führte UNS der WEG über sandige Steinquader, bis die Gruft unvermittelt vom Zischen und Stampfen mechanischer Webstühle abgelöst wurden. Ausgezehrte Kinder bedienten die riesigen Maschinen, zwischen ihnen Roboter. Das Gleichmaß der Abläufe ließ den Unterschied verschwimmen.

Der Lärm ließ die Engelin schneller laufen, so dass WIR bald an die Stelle kamen, in der der kahle Flur zur Höhle wurde mit unregelmäßigem Boden voll von Knochen und geschwärzten Steinen. Unter der überhängenden Felsendecke zeichnete sich ein Weg ins Berginnere ab. Es wurde kühler, und Fledermäuse hingen kopfunter über UNSEREN Köpfen. Enger wurde es, die Felsspalte führte steiler als zuvor nach unten in die Finsternis.

Unvermittelt öffnete sich der enge Durchgang in eine unendliche, samtene Weite. Klare Schwärze dehnte sich weiter als jede Vorstellungskraft, die farbigen Ballen des NGC 6334 dehnten sich in der Leere, dahinter Sonnen hinter Sonnen in fernen Räumen. Die heimische Sonne Sol leuchtete tröstend und klein. Fast stolperten WIR, doch die Eichenwurzeln zu unsern Füßen boten uns Halt. So thronten WIR über dem Abgrund. Farbige Kiesel strudelten wie Großbuchstaben ins Weite und verloren sich in der bodenlosen Tiefe.

Die Engelin presste vor Angst die Faust an die Lippen, doch ICH bot ihr an: „Wenn du willst, könnten wir uns der Leere anvertrauen und sehen, ob das Göttliche in ihr lebt. Wenn du nicht magst, tu ich's.“
Doch sie hielt sich den linken Arm vor die Augen, und mit dem rechten wehrte sie MICH ab und drohte mit ihrer entzückenden kleinen Faust: „Maße dir nichts an, Hässliche, sondern verweile hier mit mir an diesem entsetzlichen Ort und sieh dein Los, welches sich herausschält, sobald sich die Finsternis lichtet.“

So blieb ICH bei ihr, in den knorrigen Wurzeln einer Eiche sitzend. Sie bettete sich auf die plüschigen rosa Lamellen eines Champignons, der kopfunter in den Abgrund wuchs. Als sie sich vorbeugte, wurde hinter ihren blonden Locken die Knolle sichtbar, aus der der Stängel wuchs.
Sie deutete nach unten: „Sieh!“

Tatsächlich, als sie es sagte, verlor der Sternenteppich an Glanz und der Raum wurde zu kahler Schwärze. Nun begann tief im bodenlosen Abgrund fetter Qualm zu quirlen wie der Rauch einer brennenden Stadt. Und Sol stand unermesslich weit fort, tiefschwarz und Schwärze strahlend. Um sie herum zogen sich feurige Spuren, auf denen große Spinnen übereinander weg kletterten und mit ihren langen Beinen noch weitere Räume aufspannten, in denen sie Beutetiere jagten. Die flogen und schwammen durch die unbegrenzten Tiefen in ekligen, schrecklichen Körpern aus Fäulnis und Verfall, zuckend in verzerrten Gesten, von langen weißen und schwarzen Beinen gepackt und zerfleischt. Sie erfüllten die Luft, und die Luft schien aus ihnen zu bestehen. Doch sie waren Teufel, und Mächte der Luft nannte man sie. Und ICH frohlockte.

Nun fragte ICH meine Begleiterin nach meinem ewigen Los, und sie schauderte, nahm sich zusammen, zeigte empor und verkündete mit hoch erhobenem Kopf: „Zwischen den schwarzen und weißen Spinnen."

Doch nun barst zwischen den Spinnen ein Feuerball und blähte sich auf, rollte über die Tiefe, schwärzte alles unter halb seines Wegs, so dass der Abgrund schwarz wurde wie die zornige See und mit schrecklichem Dröhnen Wellen gebar. Unter uns war nichts zu sehen als schwarzer Sturm und aus den Wellen erhob sich ein Katarakt aus Blut, vermischt mit Feuer. Kaum einige Steinwürfe von uns entfernt erschienen die schuppigen Schlingen einer ungeheuren Schlange und gingen gleich wieder unter.

Sodann erschien gegen Osten, ungefähr drei Grad entfernt, ein feuriger Kamm über den Wogen, erhob sich langsam wie ein flammender Vorsprung goldener Klippen gleich einer Krone, und unter ihnen entstanden zwei Bälle aus blutrotem Feuer, vor denen die See in zischenden Rauchwolken floh. Nun sah man: Es war der Kopf des Leviathan.

Sein Schädel war gezeichnet von Streifen aus Purpur und Grün, wie die auf der Stirn eines Tigers. Bald kam sein Maul in Sicht, und rote Kiemen hingen gerade über der tobenden Gischt, die schwarze Tiefe mit blutigen Streifen färbend, auf uns zusteuernd mit dem entfesselten Zorn einer geistigen Wesenheit.

Mit einem gellenden Aufschrei kletterte MEINE liebliche Freundin von ihrem Sitz über die Wurzeln in den Gang und zur Fabrik hoch: ICH blieb allein. Doch nun war die Erscheinung fort, und ICH fand mich an einem lieblichen, mondbeschienenen Flussufer wieder. Harfentöne durchzogen die stille Luft, und der Spieler sang: „Wer nie die Meinung ändert, der ist wie stehendes Gewässer trüb, und brackig brütet er die Echsen des Gemüts.“
Doch ICH erhob mich und kehrte zur Fabrik zurück. Dort fand ICH, in einen Winkel hinter den lärmenden Webstühlen verkrochen, das Engelsmädchen, das überrascht fragte, wie ich entkommen sei.

ICH erwiderte von ganzem Herzen: „Alles, was wir sahen, kam aus den lebensfeindlichen Konzepten deines Geistes. Denn als du weg warst, fand ich mich an einem mondbeschienenem Flussufer und hörte einem Harfenspieler zu. Doch nun, wo wir mein ewiges Los betrachtet haben, soll ich dir deines zeigen?“

Verachtungsvoll warf sie ihr hübsches Köpfchen hoch und lachte MICH aus, doch ICH packte sie und zog sie gewaltsam mit mir. Gen Westen flog ICH mit ihr durch die Nacht, hoch in die Luft, bis sie und ICH über der Atmosphäre schwebten, des Schattens der Erde entrückt. Daraufhin warf ICH mich mit meiner sich sträubenden Beute direkt in den lohenden Sonnenball. Dort kleidete ICH mich in Weiß und nahm Regelbücher in die Hand. Dank ihrer Schwere sanken ICH und sie aus der Glorie hinab und trieben an allen Planeten vorbei, bis zu den wirbelnden Gasmassen des Saturns. Dort rastete ICH und sprang dann in die Leere zwischen dem eisigen Ringen des Gasriesen und den äußeren Planeten. Die unerschütterliche Ordnung des Systems verströmte gleichgültige, majestätische Kühle.

ICH trat einen Schritt in den Raum hinein und machte eine weite, einladende Geste. "Hier, bitte", sagte ICH. "Hier ist dein Los, dein Ort - wenn man ihn Ort nennen kann."

Die Engelin schüttelte den Kopf. In Sekunden entwickelte sich ein Sog, und bald schon sahen sie und ICH den Stall und die Kirche. Durch das Portal traten wir hindurch, und diesmal bog ICH nicht in die Krypta, sondern stieg mit festen Schritten zum Altar empor und öffnete den Folianten,der auf dem kühlen Marmor ruhte. In ihm tat sich ein tiefer Abgrund auf, in den ICH mich stürzte, nachdem ich die Engelin hineingeschubst hatte.

Bald sahen wir sieben Backsteinhäuser, und in ihnen saßen Affen, angeschmiedet mit Ketten um den Bauch, und sie grinsten und liebkosten sich, um unvermutet den Schwächeren zu packen und zu zerfleischen, und manch einer nagte das Fleisch vom eigenen Schwanz. Der Gestank war unerträglich, so liefen wir zur Fabrik. ICH hatte eins der benagten Skelette ergriffen, das in der Fabrik zu einem Regelhandbuch wurde. Dort ließ ich es fallen.

Die Engelin spuckte aus: „Du hat mir deine Fantasie aufgezwungen, und du solltest dich schämen.“ ICH antwortete: Wir haben uns gegenseitig etwas aufgezwungen, und es ist verlorene Zeit, mit dir zu sprechen, dessen Worte sich nur an ausgedachten Regeln orientieren.“

Die Eitelkeit, mit der die Engelin meine Worte abtat, weil sie sich selbst für die Klügere hielt, die mit systematischer Vernunft an die Widersprüche der Welt heranging, speiste ihre dreiste Selbstzufriedenheit, die MICH ekelte.
Eine Flammenwoge überzog das Bild und löste es auf.
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von AARN MUNRO »

Blake hat tolle Bilder gemacht...und Gedichte...habe schon so manches Bild von ihm als Kopie runtergeladen... :st:
"Doc war Pazifist, was ihn nicht daran hinderte, realistisch zu denken!" (Robert A. Heinlein in "The moon is a harsh mistress")
AARNs PR- Artikel auf https://www.zauberspiegel-online.de
Sense of Wonder allein, ist Fantasy. Bei SF erwarte ich logische Zusammenhänge.
"Three cheers for the incredible Campbell!"

"Die LION, das sind Sie und ich,Dan!Wollen Sie, dass eine halbe LION startet?"Nome Tschato
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Alexandra »

Der Text begleitet mich seit vielen Jahren.
Aber am meisten hat mich jetzt beim Adaptieren die Sache mit dem Saturn und dem offenen Raum fasziniert.

Solch ein energiereiches Gebilde hat nun mal eine hohe Sprengkraft, auch noch im Jahre 2687 (oder später? Ich kann mich nicht mit mir einigen) - und löst unvorhergesehenes Verhalten aus, erzeugt rebellische Gedanken...
Spoiler:
VIII.
Beim Auftauchen glaubte Adah noch immer das Regelhandbuch festzuhalten und wollte es fallenlassen. Die Flammen durchzogen und wärmten sie noch. Und belebten sie. Und mit einem Mal war ihr, als zöge jemand einen Schleier weg und sie konnte klar denken.

Du meine Güte, natürlich – warum dachte sie nicht mal andersrum? Wenn sie gar keine Messfehler machte? Wenn sie gar nicht mehr Fehler als früher machte, und wenn diese eigenartigen Gestalten nicht auf ihre Handlungen reagierten, sondern agierten, sie auf dem Kieker hatten und alles, aber auch alles an ihr verzerrt darstellten und zerlegten? Wie Blakes Affen, die die anderen Affen benagten? Wenn, so hatten sie Gründe. Ihre zusammengeschraubten Ideenwelten, ihre Skelette sozusagen, hielten sie zusammen, und diese ausgedachten Pläne ließen sie weitermachen. Was könnten das für Pläne sein, gegen die das Leben einer ganzen Adah nichts wert war?

Gedankenverloren nagte sie an den Fingernägeln. Erfahrungsgemäß fühlten Leute sich sicherer, wenn sie jemanden piesacken konnten – ihr Unterpfand, ihr Voodoopüppchen zum Schutz gegen die Übergriffe anderer. Die das Gleiche taten. Die konventionelle Gesellschaft, ein Leviathan mit blutigen Lefzen, furchteinflößend sogar für ihre Anhänger, ihre Vertreter. Das bisschen Ego trieb die Menschen zu jeder Gemeinheit. Trotzdem, ein Puzzlestück stand quer – gab es für Kkroktok-Win ebenfalls Gründe, die falschen Daten abzurufen, ehe er sich in die Arbeit einklinkte? War es kein Fehler, keine Ungeschicklichkeit? War das kein falscher Hangar, sondern der richtige?

Man sollte vielleicht doch nicht so viel in der Kabine hocken. Man sollte mal nachschauen. In diesem Hangar oder am Arbeitsplatz. Entschlossen stand sie auf. Los ging's.

Doch als sie auf dem gleichmäßig erhelten, tristen Gang stand und sich ihre Vorgehensweise überlegte, verflog ihre Entschlossenheit wieder. Was jetzt? Sie ging ein paar Dutzend Meter weiter und bog dann vor der Orterzentrale in den Gang zu den nächstgelegenen hydroponischen Anlagen ein, der weiter zu dem Hangar führte, den sie im Holo des Topsiders gesehen hatte.

Der Antigravknotenpunkt kam in Sicht. Sie machte einen weiten Schritt in den Schacht, der nach unten führte, und verließ ihn fünf Decks weiter unten wieder. Ihre Schritte wurden on der Geräuschdämpfung geschluckt. Vorbei an geschlossenen Schotten und in regelmäßigen Abständen angebrachten Beleuchtungsflächen. Aber dann begann sie zu fühlen, dass sie nicht mehr allein war. Es war wie im Nebel: Man ging geräuschlos und hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Ihre Instinkte meldeten sich. Sie wurde ganz wach. Demonstrativ lief sie weiter, tat, als merke sie nichts.

Als sie das Schott des Hydroponikbereichs erreichte, richtete sie die Augen auf den weiteren Verlauf des Ganges, ging sie fast daran vorbei, wirbelte dann herum, streifte den Öffnungssensor und glitt zwischen den sich öffnenden Schotthälften hindurch ins Innere. Die halbtransparenten Tanks erzeugten ihre eigene Atmosphäre. Adah suchte sich einen schmalen Durchgang zwischen zwei in mehrere übereinandergelagerte Ebenen unterteilte Salattanks aus. Das blauweiße Licht erzeugte Schlagschatten, wo Stahlträger verliefen, und graue Streifen, wo die Wandung auf Höhe der Wurzelgeflechte mit Metall bedampft war. Die Nährstofflüssigkeit, die die in Plastikflocken gekrallen Wurzelballen umspülte, zirkulierte träge und stetig und brach das Licht zu dämmerigem Halbschatten, der sich bewegte. Es gluckerte leise.

Der 20 Meter lange Raum war in Terrassen gestaltet. Tanks und Pflanzen überall. Durchsichtige Schatten, violettes, gelbes und bläuliches Licht. Transparente Muster schienen insektengleich über die Gegenstände zu wandern, sogar über ihre Haut, als sie ihre Hände betrachtete. Kein Mensch war unterwegs, die Anlage lag verlassen. Geduckt kauerte Adah hinter ihrem Tank. Ihr Herzschlag dröhnte überlaut in ihren Ohren. Sie spähte in den kahlen, aufgeräumten Raum voll eingesperrten pflanzlichen Lebens, Blumen und Gemüse, die in der Enge gediehen.

Dann schaltete sich, Tank um Tank, die Beleuchtung ab. Bis zum letzten, dem, hinter dem sie versteckt war. Schwer fiel die Dunkelheit und umhüllte sie. Ihr Herz klopfte. Zähe Schatten schienen aus dem Dunkel zu kriechen und ihr zu folgen. Als ob sie den Herzschlag hörten. Scharrend und kratzend bewegte sich etwas oben auf den Tanks, kroch ihr nach.

Sie bedauerte, keine Waffe bei sich zu haben. Aber als Zivilpersonal eines Explorerschiffs stand ihr das nicht zu. Mit der flachen Hand tastete sie die Flächen ab, suchte einen Gegenstand, mit dem man zuschlagen konnte. Doch alles war fest verschraubt und verschweißt.
Nur keinen Laut. Vergeblich bemühte sie sich, etwas zu sehen. Das Dunkel stand wie eine feste Wand um sie, und sie kannte diese Räume nicht gut. Da war etwas, sie konnte es atmen hören. Es schien ihren Herzschlag zu jagen, der hämmerte, auch wenn sie den Atem anhielt.

Dann klackte es, und sirrend flackerte das Licht am entferntesten Ende des Raumes auf, Dann einen Tank näher. Noch näher. Gleichzeitig plumste etwas Weichen an ihr herunter. Eine Kralle fuhr ihr durchs Haar und glitt teilnahmslos über ihre Schulter, weil der Besitzer den festen Boden erreicht hatte. Fellgeruch. Drei runde Augen.

„Goldolin, du blödes Vieh“, flüsterte sie erleichtet und kraulte das Tier am kurzen Halsansatz. Immer noch misstrauisch, richtete sie sich auf und suchte sie den Raum nach verräterischen Zeichen ab. Stattdessen klapperte es. Jemand hatte Werkzeug auf den Boden gelegt. Klar, die Anlage wurde repariert. Und Gondolin hatte ein wenig Auslauf.

Zu iher Überraschung war es aber nicht Lar, der am Tomatentank beschäftigt war, sondern die zierliche Sieglinde. Sie war so in die Reparatur vertieft, dass sie keinerlei Überraschung zeigte, als Adah auf sie zukam.
„Hallo.“ Sie nichte knapp und setze das Werkzeug wieder an.
„Hallo. Ich laufe grad mal durch.“
„Hm.“
„Also, bis dann.“
Keine Antwort. Die zwischen die großen Maschinenblöcke gesetzten hydroponischen Anlagen waren Teile des dezentralen Lebenserhaltungssystems, und anscheinend war Sieglinde mit einer umfangreicheren Reparatur beschäftigt. Gondolin hatte sich neben sie gesetzt und spielte mit zweien seiner Beine. Lar war nicht zu sehen.

Plötzlich kam jedoch Bewegung in die Technikerin, und mit einem kleinen Klaps und einem gewisperten Kommando bedeutete sie dem Tier zu verschwinden. Was es umgehend tat. Obwohl Adah von seiner Anwesenheit wusste, hätte sie ihn hinter dem Gewirr aus grünen Bohnenranken nicht erkennen können.
Das Schott glitt auf. Eine vertraute, blondgelockte Gestalt kam herein. Caren machte große Augen, als sie die beiden Frauen entdeckte: „Ach, hallo! Was macht ihr denn da?“

Trotz der seltsamen Situation zerstob Adahs Verdacht bei dieser harmlosen Frage. Sie hatte einfach eine zu schwarze Fantasie. Dachte zu schlecht. Caren ignorierte sie und schwätzte oberflächliches Zeug, aber sie war doch harmlos, und in Wirklichkeit meinte sie es nicht böse. Sofort bekam sie ein schlechtes Gewissen. Andererseits – was wollte die hier?
Sie lächelte höflich. „Was machst du denn hier?“, fragte sie.
Caren sah sie befremdet an, dann schüttelte sie den Kopf. „Technische Probleme. Deswegen der falsche Alarm. Ich schaue mir das mal vor Ort an.“
„Du selber?“, fragte Adah.
Sieglinde arbeitete ungerührt weiter.
„Die Luftzirkulation zwischen den Decks, oder?“, erkundigte Caren sich teilnahmsvoll.
„Ja,“ entgegnete Sieglinde.
„Am Hangar VIII gibt es Fehlfunktionen und wir bekommen keine klaren Signale. Da müssen wir nachschauen. Adah, kommst du mit?“
Nachdem sie eben angekündigt hatte, in diese Richtung zu gehen, konnte sie nicht gut ablehnen. Außerdem wollte sie wissen, was geschah. Auf den letzten Metern zum Ausgang, vorbei an Tomaten und Zwiebeln, begann Caren ein Gespräch über frische Bolognesesauce.
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Alexandra »

Sagt mal, Leute, mir hat einer meiner hochgeschätzten Leser geschrieben, er sehe die Spoiler als " auf dunklem Grund mit grauer Schrift".
Und das sei schwer lesbar.
Ich nämlich nicht.
Wer sieht das noch so?
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Slartibartfast »

Ich habe es grad nochmal durchprobiert. In meinem uralten Firefox und mit Prosilver-Forumsstyle ist alles in Ordnung.

Möglicherweise liegt es an der jeweiligen Kombination von Browser und verschiedenem Forumsstyle. Firefox, Internet Explorer, Safari, Tor-Browser, IceFox, WaterFox, IceWeasel, Edge, Vivaldi, Pale Moon, Aurora, Opera, Chrome, Chromium, NeoPlanet, Androiden, Linuxmurks in ihren verschiedenen Versionen plus zig Plugins.
Manchmal hilft aber auch ein Leeren des Browser-Caches und Neustart des Rechners.

Ansonsten hilt immer (zumindest bei mir): Leeres Word-Dokument öffnen, hier im Thread die Spoiler-Schalter öffnen. Tastenkombination Ctrl+A drücken (alles im Thread ist markiert). Ctrl+C drücken (alles ist in der Windows-Zwischenablage). Ins Word-Dokument wechseln. Ctrl+V drücken (alles aus der Windows-Zwischenablage wird ins Word-Dokument reinkopiert).

Dann ist neben den Texten zwar einiges Überflüssiges wie Links und Usernamen, Datum und Avatarbilder mit dabei, aber das kann man ja leicht mit der Entf.-Taste löschen.

Damit konnte ich bisher aus jeder noch so murksigen Webseite (murksig in meinem alten Browser) alle relevanten Informationen saugen. :D
Sorry für Offtopic.
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Alexandra »

So - aus den hydroponischen Anlage durch die Maschinenanlagen zum Hangar.
Mit einem Engel unterwegs in den Abgrund der Sterne.



Teil IX
Spoiler:
IX.
Draußen begann eine geschwungene Rampe, die in einen schmalen Gang mündete. Der führte zum Schott des Maschinenraums IV. Hinter der Gangwandung verbarg sich einer der Andruckabsorber. Unter ihren Füßen lag der oberste Punkt eines sieben Meter durchmessenden, runden Energiespeichers, der eventuelle Belastungspeaks im Hangarbereich abfing. Die hydroponische Anlage war entlang seiner Krümmung gebaut. Daneben befand sich ein kleiner Hygieneraum. Hier gab es Laufbänder, denn sie befanden sich in den Außenbezirken des Schiffes.

Vertraulich legte Caren die Hand auf Adahs Arm. „Die Maschinisten sind immer so empfindlich, wenn man sie auf Fehler anspricht. Und machen, was sie wollen. Wir tauchen einfach auf und gehen direkt zur Werkstatt neben dem Hangar, den wir nicht auf dem Schirm haben. Das ist das Einfachste.“
„Was genau habt ihr denn nicht gemessen?“, wollte Adah fragen, aber da glitt das Schott schon auf.

Kkroktok-Win hatte den Hangar auf der anderen Seite dieses Maschinenbereichs auf dem Schirm gehabt – wenn Carens Aussage stimmte, als letzter. Das passte alles zusammen. Und dass die Maschinisten ausfallend werden konnten, das hatte sie leider immer wieder festgestellt. Es gab allerdings den direkteren Weg von oben, den man benutzen konnte, ohne hier durchzulaufen.

Die betraten die erste Halle. Der große Raum war vollgestellt mit Aggregaten und Maschinen jeder Art, die in der notdürftigen Beleuchtung wie wie Schrott aussahen. Es roch nach Schmieröl und undefinierbaren Resten. Der meterhohe Kasten einer Feldleiterweiche stand quer im Weg, und die vollgestopften Regale wurden wieder und wieder erhellt vom in allen Rottönen schillernden Elmsfeuer aus abgestellten, doch anscheinend nicht vollständig desaktivierten Entladungspolen.

„Autsch“, rief Caren und rieb sich nach dem Zusammentreffen mit dem Armstumpf eines weit geöffneten Wartungsrobots den Ellenbogen. „Muss das hier rumstehen? Da müsste die Schiffsführung wirklich mal eine Evaluation ansetzen.“
Evaluation? Alles bewerten? Adah sah ihn förmlich vor sich, ihren Ersten Offizier. Wie er in diesen Raum blickte, den Wirrwar an Maschinenteilen begutachtend, ein Formular in der Hand. Ums Ausfüllen bat. Um eine Inventur oder eine schematische Darstellung der geplanten Abläufe samt Zielvorstellung zu erhalten. In Farbe. Widerstand weckte. Eine grobe Antwort erhielt und das Formular liegen ließ mit der Bitte um Erledigung innerhalb eines gewissen Zeitrahmens. Nie mehr wiederkam. Mit der aufgeräumten Orterzentrale hatte sie eindeutig den falschen Arbeitsplatz. Falsch, korrigierte sie sich. Hier unten hinterging keiner die Kollegen. Die Leute waren Freaks und eine eingeschworene Gemeinschaft, und damit ließ es sich leben.

Chaos macht frei. Angeblich hatten die Maschinisten Robotmäuse gebastelt in ihren Pausen, die nun beim Herumklettern den Bestand erfassten. Jedenfalls erzählten sie das. Dass es Roboter waren. Ein plötzlicher Überschlagsblitz durchzuckte die ölige Luft, es roch nach Ozon.

Zwölf im Halbdämmer zurückgelegte Meter weiter erreichten sie ein weitereres Schott, das einen halben Meter weit offenstand. Der Raum dahinter war blendend hell erleuchtet, also besetzt. In den Maschinenanlagen beleuchtete man nicht unnütz. Die beiden Frauen gingen darauf zu. Wieder wurden Carens Züge gleichgültig, als sie sich mit Adah allein glaubte. So weit sie das sehen konnte. Dann verwandelte sie wieder ganz in unbeschwerte Fröhlichkeit, als sie ins Licht traten. Sie kniffen die Augen zu.

Zwei geschwungene Konsolen erhoben sich auf einem ovalen Podest im Zentrum des Raums. Es war der Maschinenleitstand dieses Schiffsbereichs. Zwischen den Anzeigen hockte Ga'aram Brrr auf seiner Antigravscheibe, den runden Kopf zwischen die kantigen Schultern geduckt, die vier chiningepanzerten Arme an verschiedenen Anzeigen beschäftigt. Ein krummes Bein pendelte gedankenverloren. Der Schuh lag am Boden. Daneben ein Schraubenschlüssel.
„Sag mal, Ga'aram, hast du die Halbleiter weggeräumt?“, kam sein Kollege Sepp aus dem entgegengesetzen dämmrigen Raum. „Die für die Hangarheizung?“
„Nein. Schau im mittleren Magazin. Da lag was rum. Schau mal her.“
Keiner der beiden reagierte auf die Besucherinnen. Caren hütete sich, sie anzusprechen, und Adah wusste auch nichts zu sagen. Sie nickte ihren Rücken zu. Caren wies mit einer Kopfbewegung auf die Öffnung, aus der Sepp gekommen war. Dieses Schott stand ganz offen. Sie gingen vorbei.

Hier führte der dunkle Gang an den gewaltigen, leise brummenden Antigravgeneratoren vorbei, durch die nur von der Notbeleuchting erhellten Maschinenanlagen hindurch. Roboter brauchten kaum Licht. In regelmäßigen Abständen ertönte ein leises Zischen.
Über eine abwärts führende Rampe kamen sie zur nächsten Sektionsschleuse, die den Hangarbereich abgrenzte. Jemand hatte ein Gaffiti aufgesprüht: „Space sucks“ in grellem Blutrot, in einen orangefarbenen Blitz gemalt.

Die Wände spiegelten matt. Am Boden lagen Metallspäne und einige Muttern, daneben eine leere Plastikdose. Sie betraten die Schicht von Schleusen, Magazinen und Werkstätten in der Außenzone des Schiffes.

Nach wenigen Metern öffnete Caren ein Magazin. Adah blieb stehen. Caren holte einen großen, flachen Metallkoffer hinter einigen Reserveverkleidungen hervor. Und eine Antigravplatte.
„Für uns. Was Ga'aram Brrr kann, können wir schon lange.“ Sie lachte gekünstelt. „Der muss mit.“
„Was ist das?“, wollte Adah wissen.
„Kleine Hilfen für große Könner wie wir“, lächelte die Tomalkeynerin.
„Und was ist drin?“, wollte Adah wissen. „Was tun wir hier eigentlich?“
„Weißt du das immer noch nicht?“, erwiderte Caren. Sie bückte sich, öffnete ein Fach, und als sie sich wieder aufrichtete, lag ein Nadelstrahler in ihrer Hand. „Wir untersuchen den Hangar, dessen Datentransfer nicht funktioniert.“
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Croco »

:st: :st: :st:

Spannend!
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AARN MUNRO
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von AARN MUNRO »

Sehr gut beschriebenes Ambiente...sehr plastisch...wie meine Computerspiele...oder der letzte Film, den ich sah...gefällt mir wirklich gut...wollen wir nicht 'mal eine Serie schreiben...? :D
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Alexandra
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Alexandra »

Bin heilfroh, wenn ich diese eine geschafft habe.
Ich habe noch nie eine Handlung fertiggeschrieben, und wenn, dann mit offenem Ende. Das hier wäre die erste.
Natürlich habe ich mich bei der Technik ausgiebig erkundigt - ich verstehe davon so viel wie die Kuh vom Eierlegen.
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Croco
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Croco »

Dafür, dass Du offenbar Blut schwitzt, ist Dir die Story aber verdammt gut gelungen... :st:
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Alexandra »

Croco hat geschrieben:... dass Du offenbar Blut schwitzt
Mein Blut hat eine ausgezeichnete Qualität.


Leider muss ich wirklich auf diese eigentlich schon kreatürliche Ebene runter, um voll da zu sein.
Und produktive Schübe merke ich an dem Schwapp Depression, der vorangeht. Sobald sie unerträglich wird, kann ich loslegen.
War immer so. Mit Uniarbeiten, mit diesem Voltz-Artikel in der SOL 75...ich weiß, das ich das brauche. Aber im Normalbetrieb habe ich nicht immer die Kapazität, mich drauf einzulassen.



Also gut,
Teil X
Mit tausend Dank an Gérard, Gregor und Steffen. :D
Spoiler:
X.
„Der Datentransfer wird auch weiterhin nicht funktionieren“, erklärte sie im Weitergehen. „Er wird sich wieder einschalten, wenn wir fertig sind. Weil ich dann mit der Reparatur fertig sein werde.“
Adah gab keine Antwort.
Das Schott des Hangars glitt auf. Im hinteren Bereich stand eine Raumlinse. Der vordere Abschnitt war leer. Caren bedeutete Adah, einen Raumanzug aus dem entsprechenden Spind zu nehmen und anzulegen.

„Damit man versteht, dass du es warst, die mit dem kostbaren Metall verschwunden ist“, erklärte sie. „Du und der Topsider.“
Also doch Luurs. Oder doch Platin? Welche Rolle spielte Lar in der Angelegenheit? Und der Topsider? Waren die alle beteiligt? Und wie kam sie selber ins Spiel? Nur als Mittel zur Ablenkung? Als sie sich die hippe Bande vorstellte, wie sie ihr Verschwinden berätselten, bedauerten und dann entsetzt kommentierten, um sich danach mit einer Menge Geld irgendwo einzunisten, brannte sie vor eisiger Wut. Sie könnte dieser hinterhältigen Schlange mit allen Fingernägeln ins Gesicht fahren – wenn da nicht der Strahler wäre. Die Hoffnung aufs Entkommen machte sie fügsam.
Caren sah in ihr verkniffenes Gesicht und lachte auf. Sie schaltete die Prallfelder ein, die unmittelbar auf der Innenseite des Außentores vor dem Öffnen aufgespannt wurden, um eine Entlüfung des Hangars zu vermeiden.

„Geh zur Raumlinse“, wies sie Adah an. „Stell dich dort hin.“
Dann verließ sie den Hangar und schloss das Schott hinter sich. Adah schaute sich um. Die Halle war groß und kahl. Als leerer Keil in die Flanke des Schifffes gebaut, mit einem wandgroßen Tor.

Und im Moment ganz ohne Beobachtung. Wenn nicht Vabian oben in der Orterzentrale saß, zusah und jede Nachfrage nach seinem Tun im Keim erstickte. Und jede Nachfrage nach ihrem Verbleib. Wenn nicht einer von diesen chaotischen Maschinisten doch ein eigenes Überwachungssystem eingebaut hatte. Wenn nicht noch jemand ganz anderes im Spiel war. Irgendwie wunderte sie gar nichts mehr.

Warum wusste Lar von der Sache? Das war doch kein Zufall gewesen, diese Witzeleien?Hatte er es gewusst oder vermutet? Machte er vielleicht sogar mit? Und der Topsider? Fragen über Fragen, und keine Zeit zum Nachdenken. Geräuschlos glitten die großen Hangartore zur Seite, und sie stand vor dem offenen Raum. Die weißen Sonnen leuchteten in kaltem Licht aus dem Rot des Sternennebels. Dann schob sich, wie ausgestanzt, eine ovale Silhouette davor. Eine kleine Space-Jet. Vor diesem kleinen Hangar wirkte sie riesig.

Adah rannte hinter die Raumlinse. Das Prallfeld vor der Hangaröffnung war selektiv durchlässig – für feste Materie eher als für gasförmige, und für langsame eher als für schnelle. Je langsamer das einfliegende Raumschiff war, desto besser konnte sich der Schirm der Kontur des Schiffes anpassen und die Atemluft im Hangar halten. Wer immer hier anflog, kannte sich damit aus.

Mit Schrittgeschwindigkeit schob sich der schwere Metallkörper in den Luftraum. Die Schiffshülle war kälter als Eis. Binnen weniger Wimpernschläge hatte sie den Hangar ausgekühlt. Wasser aus der Hangaratmosphäre kondensierte auf der Hülle und bildete eisige Pünktchen. Stimmt, die reparierten die Heizung, die jetzt eigentlich einsetzen sollte. Adah schloss den Helm, und damit schalteten sich die Lebenserhaltungssysteme ein. Der Anzug heizte. Sie schauderte. Gehetzt sah sie sich um.

Kontinuierlich stieg die Temperatur im Hangar, und bald darauf glitt das Innenschott wieder auf. Ein ganzer Stapel dieser Metallkoffer wurde hereingebracht. Emsig schob Caren eine weitere Antigravplatte vor sich her mit den aufeinandergelegten Behältern. Ein Servoroboter transportierte fünf weitere. Im Gang waren auch noch welche.

Doch erst einmal lief Caren aber an ihnen vorbei, und als sie wiederkam, schob sie einen in der Luft schwebenden, transportablen Quarantänebehälter herein. Der war so groß wie ein Sarg, schoss es Adah durch den Kopf.
Caren zog wieder den Strahler und richtete ihn auf Adah. „Schiebe deinen Kollegen zur Jet“, befahl sie. Mit einigen in ihr Armbandkom getippten Befehlen öffnete sie den unteren Eistieg der Space-Jet. Das konnte doch nicht wahr sein!

Mit einem widerlichen Gefühl im Magen schob Adah den Quarantänebehälter weiter. Unwillkürlich blieb sie einen Moment lang stehen, als sie die Splitterspuren am Verschluss erkannte. Dann schob sie weiter. Caren schob die Antigravscheibe. Sie folgte ihr bis kurz vor die Jet.
Carens Armbandkom klingelte, in einer sentimentalen kleinem Melodie aus C-Dur und D-Moll – Akkorden. Sie nahm den Anruf an und sprach hinein. Adah drehte sich um und sah hinter ihrer Gegnerin den Topsider im offenen Innenschott stehen. Bewegungslos stand er da, dann machte er eine ruhige Bewegung, die völlig am Ernst der Lage vorbeizugehen schien. Als wäre alles in Ordnung.

Adah verstand. Ebenso gelassen blieb sie stehen und hob die Faust an den Mund, als ob sie losschreien wollte, fing Carens Aufmerksamkeit. Dann stolperte sie rückwärts auf das Innenschott zu. Caren unterbrach ihr Gespräch. Adah deutete mich entsetztem Gesicht auf die Space-Jet. Als Caren ihrem Finger folgte, spurtete sie los, und der Topsider ergriff ihre Hand und riss sie durchs Schott. Es glitt zu, und Explosivgeschosse platzten an der Wandung.

Kkroktok-Win war an den Kontrollen der Wandkonsole beschäftigt. Er schien Routinen außer Kraft zu setzen. Dann knallte etwas mit ungeheurer Wucht an Metall, und es herrschte Ruhe.
Zuletzt geändert von Alexandra am 18. Juni 2015, 21:59, insgesamt 2-mal geändert.
Vivian-von-Avalon

Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Vivian-von-Avalon »

M.E. ist die Story auch sehr gut gelungen. Kompliment!

Und das mit der Kuh und dem Eierlegen - mit der Technik habe ich ebenso die Probleme ... leider ... da können wir uns echt die Hand reichen!

Aber dafür haben wir eben andere Schwerpunkte beim Schreiben ... jeder macht das, was sie/er am besten kann!
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von AARN MUNRO »

Vivian-von-Avalon hat geschrieben:M.E. ist die Story auch sehr gut gelungen. Kompliment!

Und das mit der Kuh und dem Eierlegen - mit der Technik habe ich ebenso die Probleme ... leider ... da können wir uns echt die Hand reichen!

Aber dafür haben wir eben andere Schwerpunkte beim Schreiben ... jeder macht das, was sie/er am besten kann!

Stimmt genau! :D :st:
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von AARN MUNRO »

Croco hat geschrieben:Dafür, dass Du offenbar Blut schwitzt, ist Dir die Story aber verdammt gut gelungen... :st:

Stimme auch Croco hier voll zu. Die Umgebung, die Personen, alles kommt sehr gut rüber...ich sehe die Bilder vor mir...Kopfkino...!
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Slartibartfast »

Tomatenorden und immerkühle Sportkompressen. :st:

Es ist eine interessante Geschichte, ich muss aber gestehen, dass ich persönlich mit der Art des Erzählens noch nicht so richtig warm werde. :unsure: Seltsam unstet, ich kann es nicht richtig in Worte fassen. Auch fällt es mir schwer, eine emotionale Beziehung zu den Akteuren aufzubauen.

Wie nennt man die Erzähltechnik, hast Du die Handlung stellenweise als Stream of consciousness geschildert?

Damit will ich übrigens nicht sagen, dass Du das ändern sollst Alexandra! Ich sehe ja an den Kommentaren der Mituser, dass es gut ankommt. :) Mit persönlich liegt es halt nicht so ganz, die Geschmäcker unterscheiden sich. Kein Beinbruch.
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Croco »

Bin schon auf's Finale gespannt... B-)
Gesperrt

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