Fan-Geschichte "Die Flucht"

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Alexandra
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Alexandra »

GruftiHH hat geschrieben:Planetoiden...
Ach so? Geht's auch 'ne Nummer kleiner?




Teil XVI.
Spoiler:
XVI.
Nach Luft schnappend erreichte Adah die Biegung, die zur Orterzentrale führte, blieb einen Moment stehen und hielt die Hand an den Sensor des Öffnungsmechanismus. Der Terkonitstahl glitt beiseite und sie betrat eine Atmosphäre hektischer Betriebsamkeit. Die unterschwellige Panikstimmung erfüllte sie mit zynischem Amüsement.

Auf dem Rund des umlaufenden Großbildschirms entfalteten sich Fenster mit flackernden Außenaufnahmen der Schiffshülle und der Hangarbereiche, den sie eine gefühlte Ewigkeit vorher verlassen hatte. Sie zeigten, was über die Einzelbildsschirme lief. Auch im zentralen Holo entstand kein stabiles Bild, stattdessen blitzten unwirklich verzerrte Aufnahmen der Räumlichkeiten auf, um gleich wieder zu verlöschen. Dahinter stand die Schwärze des Alls mit den schwach leuchtenden Farbschleiern des NGC 6334 und seiner Weißen Riesen.

Sie sah sich um. Der kreisförmige Raum war voll besetzt. Sie rutschte in den einzigen freien Platz neben Fred Herschel, der zügig arbeitete und fuhr ihren Zugang hoch, las die Anzeigen und legte ihm dann eine Hand auf den Unterarm. Er schälte sich aus der Konzentration und sah sie fragend an.

„Was ist los?“, fragte sie. „Ist meine Schicht, aber du weißt, dieser flexible Gleitzeit – ich war ich draußen. Führ mich bitte ein.“ Sie schluckte. Das hatte doppelte Bedeutung und war ein Schritt in den neuen Lebensabschnitt. Die ungewöhnliche Freistellung des Redundanzpersonals hatten sich ihre speziellen Freunde ausgedacht, als Mitglieder des bordeigenen Bürokratenvereins. Damit war es wohl vorbei. Einen Moment lang schweifte sie ab in Gedankenketten, Bilder, Erinnerungen, die ebenso grelldunkel flackerten wie die schnell wechselnden Holobilder, und zwang sich zurück in die Wirklichkeit.

Fred schüttelte den Kopf. „Ich halte das für ein Unding. Ich verstehe nicht, welchen Vorteil es bringen soll, wenn man möglichst lange vom Arbeitsplatz wegbleiben kann. Schließlich kann jederzeit was passieren. Und jetzt haben wir jedenfalls den eindeutigen Beweis, dass es so nicht geht.“ Er tippte herum und vergrößerte einen nach dem anderen mehrere Ausschnitte voll wirrer grauer Striche, die fingergleich über das Display zuckten. „Ein ganzer Bereich der Bordüberwachung und der Außenortung sind ausgefallen, uns erreichen nur wirre Signale. Vabian als Schichtleiter ist unauffindbar, und Caren ebenso. Ines hat übernommen.“

Adah lehnte sich zurück. „Das geht doch gar nicht“, erwiderte sie mechanisch. „Wo könnnen die denn sein?“
Sie runzelte verwirrt die Stirn. Es war eine gute Gelegenheit, konfus auszusehen, ohne dass jemand Verdacht schöpfte.
„Wo ist Kkroktok-Win?“, fragte sie.
„Der war bis eben hier und hat versucht, dass er die Geräte klar kriegt und die Fehlermeldungen sinnvoll bündelt. Jetzt ist er direkt zur Zentrale bestellt worden, weil die keine Übersicht über die anfallenden Probleme haben und Vabian als Schichtleiter verschwunden ist“, erwiderte Fred, „Er ist eben hier raus. Kannst du mal übernehmen?“
Adah schrak zusammen. „Klar. Entschuldigung. Gib mir doch bitte paar Ansatzpunkte, über die ich in das Chaos reinkomme.“
Fred schüttelte den Kopf. „Ist jetzt alles auf deinem Bildschirm. Mehr gibt's nicht.“
Adah machte sich an die Arbeit. Langsam gerieten die Daten wieder in Fluss.

„Was ich jetzt hereinbekomme, ist alles klar“, meldete sie. „Aber es liegen gar keine Speicherdaten der letzten Dreiviertelstunde vor, mindestens. Als ob alles gelöscht wäre. Wie kann so was denn passieren! Das kommt mir so unwirklich vor wie die Szenerie eines Alptraums.“ Erneut setzte sie Systemkontrollen in Gang.
Insgeheim erlaubte sie sich ein breites inneres Grinsen. Das sah gut aus.

Sie arbeitete weiter. Während eine Verbindung nach der anderen wieder zustande kam, standen die Bilder der letzten Stunde überlebensgroß und grell vor ihrem geistigen Auge. Im Kontrast dazu zeigte ihr Bildschirm die sauberen, leeren Korridore. Die Hangarbereiche VI, VII, VIII, IX. - leer, als wäre nichts geschehen. „Das geht doch gar nicht“ hallte durch ihre Gedanken.

Unberührt der Vorraum, die kleine Werkstatt. Umschalten auf deren Innenraum. Im Regal lag der multivariable Desintegratorkopf des Walzenstirnfräsers. Unwirklich friedlich glänzten seine runden Pieken, als wäre nie was geschehen. Spikes, verbesserte sie sich.

Das Symbol der aktuellen Schichtleiterin blinkte auf: Bitte mehr Aufmerksamkeit auf die Außenhülle. In Ordnung. Sie schaltete um auf die Kameras, die die Außenhülle im Aufnahmewinkel hatten. Sah hinter dem optisch aufgehellten Rund der VERNAL PIKE die dort montierten Vorrichtungen, maß Strahlungsdichten an, Magnetfelder, Materialdichte, schaltete von verstärkter Normalsicht auf Infrarot. Suchte so flüchtig wie möglich nach Hyperstrahlung. Sie wollte definitiv keine Hyperstahlung.

Adah war angespannt. Deshalb führte sie mit peinlicher Genauigkeit die Routinen durch, von denen sie keine Überrraschungen erwartete. Wenn es Ungewöhnliches gab, sollte es ein anderer finden, der nichts mit der Sache zu tun hatte.

Währenddessen spulten sich in ihrem Hinterkopf die turbulenten Ereignisse erneut ab wie ein wild gewordener Film. „Das geht doch gar nicht“, pochte es. „Das geht doch gar nicht“. Dann fraßen sich die Gedanke an einem Punkt fest: An der Begegnung mit Sieglinde in der Hydroponik. Sieglinde, der Caren erzählt hatte, wohin sie wollten. Sie hatte die Wahrheit gesagt. Das konnte doch kein Zufall gewesen sein.

Fieberhaft versuchte sie, einen Zusammenhang zu erkennen. Arbeiteten die zusammen? Wo hatte Lar gesteckt? Was hatte er getan? Und beobachtet? Auf welcher Seite stand er? Wo steckte der Topsider? Ihre Gedanken bewegten sich im Rhythmus ihrer Schaltvorgänge. Warum war Gregor aufgetaucht? Caren hatte nicht die Wahrheit gesagt, beruhigte sie sich. Nur eine oberflächliche Auskunft gegeben, die die wahren Pläne verdeckte. Gelogen also. Das Bild stimmte wieder.

Ein Summton ertönte. Gleichzeitig flammte ein hektisch blinkender roter Punkt im Zentralholo auf und wurde auch auf ihrem Bildschirm gemeldet. Etwas näherte sich. Das dazu gehörende Beschriftungsfeld war bis auf die Entfernungsangabe und Geschwindigkeit leer: Keine Kennung, also kein Raumschiff oder wenn doch, ein unbekanntes. Sie fühlte einen Kloß im Hals. Kamen die Angreifer wieder?

Immerhin - das Objekt war interessant genug, um eine kleine Abweichung von den Anweisungen zu legitimieren. Sie schaltete auf herkömmliches Radar mit 1,25 Gigahertz und zugleich den Hyperwellen-Radar in den Passivmodus. So würde er nur Hyperstrahlung messen, statt seine Reichweite zu nutzen, die sie aufgrund der Nähe des Objekts nicht brauchte. Jetzt hatte sie doch das Gefühl, dass was Wichtiges herannahte.

Während die ersten Werte des Radars eintrafen, nahm sie den phasenkohärenten Laser für die optischen Frequenzmessungen des unbekannnten Objekts und zur Bestimmung der Rydberg-Konstante hinzu, um die Wasserstoffdichte im Raum zwischen ihnen und dem Objekt zu bestimmen. Sie schaltete ihn auf die Wellenlänge von Stickstoff, um über die Phasenkohärenz dessen Anwesenheit zu messen und über die Längenkohärenz deren Entfernung. Dann suchte sie nach einer geeigneten Arbeitsfrequenz.

Keine Ermahnung des Schichtleiters. Gut. Sicherlich machte alle anderen das Gleiche wie sie. Endlich bekam sie genug Werte. Was sich näherte, war ein Asteroid.

Erleichtert lehnte sie sich zurück. Zugleich kam die Information, dass die weitere Untersuchung des Himmelskörpers Aufgabe der Abtaster sei und die Orter an ihre Aufgabe zurückkehren sollten. Das Blinken im Holo veränderte sich zu Rot-Blau-Rot, und eine Beschriftung erschien mit der neuen Kennnummer des Bordrechners. Der Asteroid war bisher nicht untersucht worden. Das Bild blieb auf dem Display stehen, rückte aber aus dem Fokus des allgemeinen Interesses in ihrem Arbeitsbereich.

Einige Sekunden lang machte sie Pause. Sie hatten abgegeben. Die Abtastungsspezialisten würden nun dieses Objekt scannen, die verwendeten andere Frequenzen und Möglichkeiten, um Art und Ausmaß an ausgestrahlter Energie, Bewegungsrichtung, Spin und Taumelbewegungen zu erfassen und auch die Zusammensetzung.

Zögernd wandte sie sich wieder ihrem Untersuchungsbereich zu. Behutsam, als betaste sie eine genähte Wunde, näherte sie sich optisch dem Schott des fraglichen Außenhangars und wollte ihn gerade routiniert übergehen, als eine Einbuchtung der Außenhülle sichtbar wurde, Das konnte sie nicht ignorieren, Eigentlich wollte sie es auch wirklich gerne untersuchen. Ihr Herz klopfte.

Als sei ihr die Stelle völlig neu, markierte sie sie und erarbeitete sich einen Überblick über den Schaden. Dann ging sie näher ran. Ihre Gedanken hatten zu rasen aufgehört und waren wieder ganz klar.

Die Kennung des Quarantänebehälters – war es das, was ihr im Kopf herumspukte? Würde das auffallen? Die beiden hatten das ganze System unterwandert. Wenn sie Kkroktok-Win darin hatten abtransportieren wollen, hätten sie auch die Abwesenheit des Behälters entsprechend ins System gefüttert. Oder hatten sie das hinterher machen wollen? Oder den leeren Behälter zurückstellen? Vielleicht hätte ihnen das zu lange gedauert.

Mit einem mal fiel ihr siedendheiß ein, was sie übersehen hatte. Klar ging das nicht, dass die beiden verschwunden waren. Sie hatte nur an die Gegenstände gedacht, nicht an die Menschen. Die Biodaten! Sämtliche Besatzungsmitglieder wurden jederzeit von Medostationspositronik überwacht. Nun war ein Besatzungsmitglied über Bord und das andere konnte in keinem guten Zustand sein. Das musste die merken, bei so was ging ohne Verzögerung der Alarm los und Medorobots machten sich auf den Weg.

Unwillkürlich fasste sie sich an den Mund. Das konnte man nicht verbergen, so vollständig konnte eine Sensormanipulation gar nicht sein. Irgendwann musste die ständige Überwachung der Biodaten unterbrochen worden sein. Auch wenn der Topsider nachträglich etwas manipuliert hatte. Wenn er wiederum daran gedacht hatte.

Langsam begann sie nervös zu werden. Sie blickte um sich. So lange konnte die Besprechung doch gar nicht dauern. Die redeten alles Mögliche, und wer weiß, wa die wussten und was er daraus machte. Es machte sie rasend, nicht dabei zu sein. Vielleicht steckten sie gar alle unter einer Decke und berieten, wie man ihr alles in die Schuhe schieben konnte?

Dreimal hintereinander zoomte sie die Delle heran und ging dann langsam wieder auf Übersicht. Beim vierten Mal erschrak sie. Captain Michael Sauerwort stand neben ihr. „Kommst du bitte mal mit?“, fragte er knapp.
Zuletzt geändert von Elena-Gucky am 11. Juli 2015, 22:28, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: Auf Wunsch Inhalt des Spoilers korrigiert
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Alexandra »

Und Teil XVII:
Spoiler:
XVII.

Erstaunt sah Adah auf. Die lang aufgeschossene Gestalt des Ersten Offiziers überragte sie bei weitem. Der besorgte Gesichtsausdruck vermittelte das Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu habén und die makellose Uniform ließ arglose Zeitgenossen wie sie die eigene Kleidung auf Mängel untersuchen. Genau den brauchte sie jetzt überhaupt nicht.

Sie fuhr sie ihre Messungen zurück und übergab die Aufgaben. Jemand übernahm. Während sie aufstand, wandte der Erste Offizier sich schon zum Schott. Wie ein Storch stakt der, dachte sie sich.

Wenige Meter den Gang entlang, dann betraten sie die Kommandozentrale. Hier herrschte Ruhe. Die Leute wirkten zu ausgeruht für ihren Geschmack. Zu wenig ausgelastet. Sie waren ihr unheimlich.

Major Netzer wippte nervös auf den Fußballen, während der Topsider, sich wie ein urzeitlicher Anachronismus vor ihm auftürmend, auf ihn einredete. Sein großflächiges Gesicht blickte abweisend ins Leere.

„Was soll das, ein Schiff der USO kommt und holt eine Gruppe von Wirtschaftskriminellen ab, die hier agiert haben?“, erwiderte er gerade gereizt. „Gibt es da denn irgendeine Bestätigung, eine Anweisung? Also, das möchte ich erst mal ordnungsgemäß bestätigt haben. Überhaupt muss man erst mal die Angaben überprüfen. Da könnte ja jeder kommen. Was für eine Art von Kriminalität soll das überhaupt sein? Sie müssen mir das sagen.“

„Aber -“ Adah verstummte. Vertrauen konnte sie dem noch lange nicht. Vielleicht war er der Drahtzieher der kriminellen Machenschaften. Warum sollte sie sich gefährden, nur zu verhindern, dass sein Mitkrimineller starb? Jetzt, wo ihre Wut langsam verrauchte, wollte sie nicht, dass einer starb, egal wer. Aber sich selbst ans Messer liefern wollte sie auch nicht.

Sie schüttelte den Kopf und verfluchte den Herrn Anderhalb ein weiteres Mal. Musste das schön sein, ohne Skrupel zu leben und andere dabei zu kompromittieren. Bald war sie genauso geworden wie die. Schon jetzt war sie entsetzt über die moralischen Abgründe, die sie in sich entdeckte.

Was wussten der Kapitän und der Erste? Und der Rest der Zentralebesatzung? Stellten die sich bewusst dumm? Kkroktok-Win und die USO, überlegte sie weiter. Wenn das stimmte, erklärte es vieles. Andererseits hatten die doch diese berühmten fälschungssicheren Ausweise. Warum zeigte er den nicht vor? Vielleicht hatte Netzer doch Recht. Mit wem hatte sie dann zusammengearbeitet?

„Einer der Verbrecher ist verletzt und liegt mit Atemgerät in einem Quarantänebehälter“, erklärte ihr schuppiger Kollege gerade und entblößte die beeindruckenden Zahnreihen. „Ich habe ihn versteckt, um den Rest der Bande nicht zu alarmieren. Den müssen wir schnellstens herausholen.“

Sauerwort hatte sich in der Zwischenzeit an seine Konsole gesetzt und intensiv gearbeitet. „Das kann so nicht stimmen“, meinte er, während er las. „Die Aufstellung der Quarantänebehälter ist völlig in Ordnung. Jeder einzelne befindet sich an seinem Platz. Das kann schon mal nicht die Wahrheit sein.“ Triumphierend sah er sich um.

Das war Adah so klar gewesen, Verrotten lassen im selbst geschaffenen Grab, was sonst sollte man tun mit so Leuten? Die boten sich geradezu an dafür. Ihnen fehlte die Menschlichkeit. Verrotten lassen, das war's. Und genau das tat man einfach nicht, ohne die eigene Menschlichkeit zu verlieren. Es war Leben .

„Die Biowerte“, rief sie. „Vabian und Caren sind unauffindbar. Was ist denn mit ihren Biowerten?“
„Sauerwort nickte. „Lobenswert, dass Sie in solche einer Situation an die Dienstordnung denken. Das hat tatsächlich Priorität.“

Netzer sah sie an und verzog den Mund. Doch wie stets erreichte das Lächeln seine Augen nicht. Er trat an Sauerwort heran, der sein System durchsuchte. „Ah, hier“, meinte der Captain schließlich und sah auf. „Da ist alles in Ordnung. Caren ist in der Ortungszentrale und Vabian – oh ja, ich sehe es. Da bekomme ich tatsächlich keine vernünftigen Werte rein.“

Er tippte weiter. „Eine sehr ungenaue Darstellung.“ Missbilligend schüttelte er den Kopf. „Die Crux ist, dass genau Vabian fehlt, der könnte das in Ordnung bringen. Nun. Bis er auftaucht, müssen wir uns eben mit der zweiten Garnitur begnügen. Wer ist denn der angebliche Verbrecher?“

Verblüfft sah er dem Topsider nach, der den Raum verlassen hatte. „Wir müssen das mal zeitnah thematisieren“, murmelte er.
Er und Major Netzer blickten sich an. „Lass mir doch mal seine Akte auf den Platz überspielen,“ meinte letzterer.

Er wandte sich Adah zu. „Weswegen wir Sie haben kommen lassen...“
Sie bemerkte verwundert, dass er von ihrer Beteiligung nichts wusste. So wie er nicht wusste, wer der Verbrecher war. Falls er keine Rolle spielte.

In diesem Moment ertönte ein akustisches Signal, und alles wandte sich dem Holokubus mit den von der Ortungszentrale übermittelten Daten zu. Bisher hatte er den Asteroiden angezeigt, den inzwischen eine dicke Wucherung von Datenclustern umgab. Gedankenschnell veränderten sich die Anzeigen.

Hinter dem blau-rot-blau blinkenden Punkt des Asteroiden erschien jetzt ein roter, der schnell auf gelb wechselte. Hinter dem Gesteinbrocken flog ein Raumschiff! Es musste ein Raumschiff sein, denn der Farbwechsel zeigte an, dass seine Kennung akzeptiert worden war. Grün erschien nicht. Das wäre ein erwartetes beziehungsweise angemeldetes Schiff gewesen. Das hektische Blinken verriet auch in diesem Fall eine Annäherung mit hoher Geschwindigkeit.

„Wenn das nun tatsächlich die USO ist?“, meinte Sauerwort.
„Bring die Daten bloß in Ordnung. Nicht dass uns die Versäumnisse nachweisen können“, meinte Netzer. Besorgt starrten die beiden auf die Anzeigen.
„Andererseits, wenn diese Räuberpistole stimmt, sie ihre Verbrecher mitnehmen und wir danach die Verzeichnisse in Ordnung bringen, haben wir auch unsere Pflicht erfüllt“, erwiderte Sauerwort. Die beiden waren todernst. Fast hatte Adah den Eindruck, dies wäre keine Codesprache, sondern echt.

Der Punkt wurde grün, und  seitlich davon poppte die Information dazu auf. Gleichzeitig aktivierte sich einer der großen Kommunikations-Schirme, mit dem Symbol für das Anrufsignal des eintreffenden Raumers.
„ Anruf von der OTTO VON HABSBURG“, meldete die Positronik. Das Anrufsignal blinkte ungerührt vor sich hin und alle starrten es an. Der Anruf musste mit Priorität eingegangen sein, denn sonst hätte die Positronik, den Eingang des Anrufes nicht direkt in die Zentrale durchgestellt und die Funk- und Ortungszentrale übergangen.
Major Netzer räusperte sich. Der Frosch im Hals blieb. „Durchstellen“, befahl er.
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Alexandra »

Teil XVIII:

Spoiler:
XVIII.
Caren war in der Ortungszentrale, sagten die Biodaten? Adahs Gedanken begannen sich in beharrlich lauter werdendem Tosen um sich selbst zu drehen wie ein kleiner Tornado, in dessen ruhender Mitte diese einzige Frage stand: Biodaten? Caren war in der Orterzentrale?

Einen beunruhigenden Moment lang hoffte sie, die Positronik hätte recht, und ihr Erlebnis sei Täuschung gewesen. Dann setzte mit schmerzhafter Schärfe die Genugtuung ein, ihre Feindin ganz bestimmt tot zu wissen. Ein ernüchternder Moment für ihr Selbstbild, und zugleich wilder Triumph. Dann setzte die Angst ein. Sie wäre gern ebenfalls rübergelaufen, um vor Ort nachzuschauen, aber sie traute sich nicht.

Stattdessen wandte sie sich dem Kommunikationsbildschirm zu. Das Symbol des Anrufers blieb erst mal unverändert darauf stehen. Wie alle anderen starrte sie darauf, doch dann verfing sich ihre Aufmerksamkeit am links davor im Holo abgebildeten, rotierend sich nähernden Asteroiden. Die Schrunden des länglichen Brockens wirkten wie Krallen, die im Rhythmus der Rotation aufblitzten. Ihr wurde schwindelig.

Biosignale! Die Steinklauen verfingen sich in ihrer Phantasie, Bilder stiegen in ihr auf. Mit einem Mal schien es ihr gar nicht so abwegig, dass ihre Angreiferin eine Attrappe gewesen war. Ein Roboter, eine seelenlose Puppe, die sie in Angst und Schrecken versetzte, während die echte, wie immer gut gelaunte Caren und ein ebenso flotten Vabian in irgendeiner Kantine einen Eisbecher genossen und ihre nächste Laune planten. Sie hörte sie lachen.

Die Robotmäuse fielen ihr ein, die die Kennung der lahmgelegten Servoroboter spazierenführten. Wenn nun die Caren, die in der Hydroponik zu ihr gestoßen war, aus einem mit Biomolplast umhüllten Robotkern bestanden hätte? Das lag doch eigentlich nahe. Immerhin hatte Vabian die Möglichkeit gehabt, dem TARA Anweisungen zu geben. Vielleicht standen denen noch ganz andere Roboter zur Verfügung, von denen die normale Besatzung nichts wusste. Wenn ihre heimlichen Helfer aus dem technischen Bereich kamen, dann war vielleicht das ganze Schiff voll versteckter Labors, umgebauter Roboter und geheimer Wertstofflager.

Adah starrte die Vergrößerung des Asteroiden an, schloss die Augen und öffnete sie wieder. Sie glaubte, in der regelmäßigen Drehung eine kleinere Bewegung zu erkennen. Eine metallene Greifklaue, die sich an der Felskralle des Gesteinsbrockens festhielt. Eine weiche, graue Frauenhand, die nachgriff und zog, so dass der Kopf sichtbar wurde. Der niedliche Frauenkopf mit zerrissener Biomolplastverkleidung, die erfroren und zerfetzt abstand. Der Ansatz der blonden Locken mit feinen Eiskristallen aus Körperflüssigkeit verkrustet, die verbliebende Hälfte des Puppengesichts grau wie Plastik. Die weiche Schicht über der anderen Gesichtshälfte abgeschmirgelt, so dass die Zähne im stählernen Kiefer des Roboterkopfes weiß und lang aufschienen vor dem nachtschwarzen Dunkel des Alls. Ein metallener Körper, mit eigentümlich verrenkten Bewegungen krabbelnd und vorwärts ruckend. Etwas Größeres ziehend, das mit einem Blinken ins Licht rutschte: Ein metallener Sarg.

Grauer Staub, der alles erfüllte, dann der grelle Lichtblitz sich entfaltenden Feuers. Lautlos blähte der Glutball sich auf und sprühte filigrane Leuchtfinger um sich, ehe er träge erlosch und sich schwerelos immer weiter ausbreitete, von grellem Gelborange zu dunklem Rot gerann und dann, wie in Zeitlupe, verblasste.
Es blieb lichtlose Weite, dahinter das Schiff, rund und riesig, das Momente lang angeleuchtet gewesen war, zum Halbmond verblich und gefror zum ausgestanzten Schatten vor der fernen Pracht des kosmischen Nebels. Sie blinzelte. Das Schiff war echt, seine Silhouette füllt den Holokubus. Adah war völlig benommen. Jemand fasste sie an und sie schrie auf.
Sie starrte in entgeisterte Gesichter. Beehe Motte ließ ihren Arm los und trat mit dem ihr eigenen wunderschönen Muskelspiel einen Schritt zurück, mit beleidigter Miene. Oh weh, nun war die wieder eingeschnappt, schoss es durch Adahs Kopf. Und sie las den Wunsch nach einen zeitnah angesetzten Problemgespräch in den Augen ihrer Vorgesetzten, ehe alle sich wie auf Kommando in die andere Richtung drehten.

Der Kommunikationsbildschirm leuchtete auf. Major Netzer straffte sich, um den Kollegen zu begrüßen, der den Schlachtkreuzer der SOLAR-Klasse befehligte. Als er den Mann mit dem feuerroten Stachelhaar erkannte, erstarrte er. Es gab auch wirklich keinen vernünftigen Grund, aus dem er damit hätte rechnen können, unvermittelt Reginald Bull gegenüberzustehen.
Die wasserblauen Augen waren nichts Besonderes, die Tatsache, dass er mehr als eine Handvoll Jahrhunderte unverändert jung durchlebt hatte, schon. Das war unerwartet. Um ein paar Nummern zu groß. Adah war stolz darauf, sich nicht leicht beeindrucken zu lassen, aber hier fühlte sie sich beklommen. Mit einem Seitenblick stellte sie fest, dass Netzer und Sauerwort zu Salzsäulen erstarrt waren.

Trotz des Todesschreckens, der sie noch immer schüttelte, brachte sie ein sarkastisches Lächeln zustande. Da standen sie nun, die beiden Hampelmänner, die aufgrund der Weisungsbefugnis in dieser 200 Meter durchmessenden Kugel soundsovielen anderen Leuten die Lebensfreude vergällen konnten. Zwei mittelmäßige Gestalten, die sich als ganz große Herren empfanden, entlarvt als das, was sie waren: ratlose Buckler und Möchtegernherrscher, deren Uniform ihnen plötzlich nicht mehr der Status der Alphamännchen sichern konnte. Die unerwartet nackt und bloß vor einem riesigen Bildschirm mit dem lebendigen Konterfei eines Unsterblichen standen und die Schwänze einzogen wie Chihuahuas, die einen fleischigen Knochen ihr eigen glaubten und urplötzlich die Nase einer Dänischen Dogge vor sich bemerkten, die sich die Schnauze leckte.

Das allein war es wert, egal, was die Situation bringen würde. War das die Aura der Weisheit, die den Aktivatorträgern oft zugeschrieben wurde? Dass die Erscheinungen der Zeit in ihr rechtes Verhältnis gerückt wurden? Die kompromisslose Normalität, die Bull ausstrahlte?

Immer noch fiel in der Zentrale der VERNAL PIKE kein Wort. Es war auch nicht Major Netzer, der zu sprechen begann.
„Guten Tag, Kommandant“, eröffnete Bull das Gespräch.
Der Erstarrrte erwachte zum Leben, Er salutierte und erstattete Meldung: „Major Netzer, Sir.“ Das vertraute Zeremoniell schien sein Selbstbewusstsein zu heben. „Darf ich fragen, was Sie in diesen Raumsektor führt?“
Bull verzog keine Miene. „Das geht Sie zwar nicht an, aber fragen dürfen Sie. Sie bekommen sogar eine Antwort. Ich werde Sie darüber unterrichten, wenn wir an Bord sind. Bereiten Sie die Aufnahme unserer Beiboote vor.“

Netzer klappte um seine eigene Achse, um die Anweisung intern weiterzugeben, und schnellte zurück, um den Vorgesetzten anzustarrren.
„Werden Sie auch an Bord kommen, Sir?“, fragte er.
„Ja“, gab Bulll zurück.
Netzer schluckte. „Wie viele Beibooten werden Sie schicken?“, erkundigte er sich.
Bull sah sich um. „Die Informationen werden gerade zwischen den Abteilungen ausgetauscht“, sagte er. „Wir sehen uns in einer Viertelstunde.“
Der Bildschirm erlosch.
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Alexandra »

Kapitel XIX:
Spoiler:
XIX.
Während das Bild des Unsterblichen in fahlem Grau verschwamm, betrat Kkroktok-Win die Zentrale mit der rosa Perkenierkugel in der geschuppten und krallenbewehrten Hand und hielt inne. Adah begriff augenblicklich, warum er sie mitgebracht hatte, und der Sturm in ihr erlosch. Natürlich. Ihre erste Idee stimmte. Es war die Kugel, welche die Biodaten abgab, die die Schiffspositronik erfasste. Für die Positronik war Caren also da. Ihr Fehlen blieb unbemerkt und ungeahndet. Sie hatte sich in ihrer eigenen Falle verfangen.

Einige Momente lang schwelgte Adah erneut in der Finsternis ihres Herzens, in der ein sich mager und schwach das schlechte Gewissen regte, und ärgerte sich zugleich über sich selbst. Dass sie sich für solche Leute verantwortlich fühlte! Die hatten sich selbst in die Klemme gebracht und fertig.

Trotzdem war fühlte sie sich plötzlich unzufrieden. Gerade dieser kompetente Vorgesetzte, der Reginald Bull offensichtlich war, weckte in ihr das dringende Verlangen, das Problem selber zu lösen, Vielleicht, um ihren Ansprüchen an sich selbst zu genügen. Damit sie einen Standpunkt vertreten konnte, mit dem sie zufrieden war. Oder um zu aus eigener Anschauung zu wissen, wovon sie redete, wenn das Geschehene darstellte, was zweifelsohne auf sie zukam. Wenn Bull sie fragen sollte, was sie erlebt hatte, was könnte sie anderes tun als ihre paar Erlebnisse zu schildern und den Rest nachzuplappern. Das musste sie einfach ändern. Obwohl eigentlich alles gegen diese Art Eigeninitiative sprach – ihr Bauchgefühl meldete sich überlaut und gab ihr zu verstehen, dass sie handeln musste. Egal, wie hirnrissig das zu sein schien.

Sie betrachtete die beiden obersten Befehlshaber ihres Schiffes. Von diesen beiden Möchtegerns konnte sie nichts erwarten. Selbst wenn sie vom Interesse getrieben, wären, Anstößiges zu beseitigen, hätten die es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gewagt, ein Risiko einzugehen. Fehlerlosigkeit war ihr oberstes Gebot, auch wenn sie zum Stillstand führte. Mit sicher zum sinnfrei geplanten Ziel führenden, risikolosen Handlungen konnten sie wenigstens ihren Dienseifer unter Beweis zu stellen, und darauf würden sie sich beschränken. Insofern würden sie ihr auch nicht in die Quere kommen, denn ihre Art zu handeln war denen unvorstellbar.

Flüchtig wunderte sie sich über Beehe Motte: Was tat die hier in der Kommandozentrale und nicht im Feuerleitstand? Und warum hatte sie sie angefasst, statt auf die Vorgänge auf dem Bildschirm und im Holo zu achten? Das war genauso mysteriös wie Gregors Auftauchen. Und wie Kkroktok-Wins Verwandlung vom hinkenden Invaliden zum Alleskönner, nebenbei gesagt. Zu viel Seltsames, um es verstehen zu können, wenn sie hier sitzenblieb. Also musste sie aufstehen. Was sie denn auch tat, um sich unmerklich Richtung Ausgang zu schieben., ohne sich vom Kommandanten abzuwenden. Vorsichtshalber setzte sie eine Miene gespannter Aufmerksamkeit auf.

Auch der Topsider konzentrierte sich auf den Major und beachtete sie nicht. Das kam ihr gelegen, sie brauchte ein wenig Abstand. Adah erreichte das Schott, das geräuschlos aufglitt, bewegte sich rückwärts ums Eck und rannte los. Tatsächlich hatte sie keine Ahnung, was sie genau tun sollte, aber was sie tat, fühlte sich gut an. Sie bog in den Gang zur Nottreppe ein. Kein Antigravschacht, in dem jemand sie sehen konnte, und keine belebten Gänge, wo sie jemandem entgegenkam. Sie wollte unbemerkt zurück, auf dem gleichen Weg wie zuvor durch die Hydroponik in den Maschinenraum, wo die Routineüberwachung nicht funktionierte. Wo höchstens Lebewesen sie sahen, mit denen sie reden konnte. Hoffentlich reden konnte.

Völlig außer Atem erreichte sie ihren Wohnbereich und überlegte sich, dass sie bis hierher ganz normal hätte gehen können. Nun schlenderte sie bewusst harmlos durch die Gänge, als sei sie nur auf dem Weg in ihre Kabine. Sie blieb an ihrer Tür stehen, berührte die Wandung neben dem Öffnungsmechanismus und ging dann weiter. Wieder bog sie unauffällig in die Hydroponik ein, und wieder lief sie an den matt beleuchteten Glassittanks entlang zum Ausgang der den kugelförmigen Energiespeicher anliegenden, gekrümmten Anlage, dann die geschwungene Rampe entlang. In diesen Bereichen der VERNAL PIKE war jeder Durchgang der Form der großen Maschinen angepasst.

Wie immer fühlte sie sich in unmittelbarer Nähe der riesigen Anlagen beklommen. Noch dazu kam sie sich kindisch vor, als sie extra leise und vorsichtig den Öffnungsmechanismus zum Maschinenraum IV betätigte. Als ob das einen Unterschied machte. Schnell huschte sie durch die Öffnung und ließ das Schott zufahren. Dann stand sie still und versuchte, sich in der unbeleuchteten Halle zu orientieren.

und XX.
Spoiler:
XX.
Bei ihrem vorherigen Besuch war der Maschinenleitstand am anderen Ende des großen Raumes erleuchtet gewesen. Jetzt legte sich die Dunkelheit um sie wie eine Decke. Wenn man aus dem beleuchteten Gang kam, sah man erst mal gar nichts. Sie tastete nach der Ablage mit den stets in Bereitschaft liegenden Lichthandschuhen, deren dünne, floureszierende Markierung als schmaler Strich im Raum stand, und wartete darauf, dass ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. In der Zwischenzeit lauschte sie in die Finsternis mit ihren vielfältigen mechanischen Geräuschen: Brummen, Klacken, Ticken und Scharren. Ein gelegentliches Elmsfeuer, das sofort erlosch. Das geheime Leben der Dinge. Nichts Irreguläres, nichts Lebendiges. Sie zögerte, sich einen Handschuh überzustreifen, denn sie wollte nicht sichtbar werden, ohne zu wissen, wer sie sehen könnte.

Ein Geraschel weckte ihre Aufmerksamkeit, ein leises Schlurfen, das aus dem Rahmen fiel. Das war nichts Mechanisches, dessen war sie sich sicher. Etwas Atmendes kam auf sie zu, und immer noch hörte sie kaum einen Laut. Aber da war die Präsenz eines Körpers. Sie wich zurück und riss dabei etwas um, was an der Wand gelehnt hatte. Es dröhnte überlaut. Sie öffnete den Mund zu einem Schrei und wurde durch den Griff einer Hand daran gehindert.
„Dass Leute wie du so gar nichts im Dunkeln sehen“, sagte eine Stimme, die sie erkannte. Gregor Phant Harihomt. Natürlich, mit Katzenaugen wie den seinen reichten winzigste Spuren von Licht zum Sehen. Er ließ sie los und sie beruhigte sich langsam.

In dem Maß, wie ihre Aufregung abklang, suchte Adah nach unverfänglichen Begründungen für ihre Anwesenheit..
„Du musst mir gar nichts erzählen“, meinte Gregor, noch bevor sie das erste Wort herausbekam. „Ich habe euch gesehen.“
Es war wohl der falsche Moment, aber Adah fühlte sich mit einem Mal ungeheuer erleichtert. Wahrscheinlich, weil sie sich nicht mehr entscheiden musste.
„Bist du deshalb mit nach oben gekommen?“, fragte sie.
Sie vermutete, dass Gregor nickte. “Wir haben mitbekommen, dass da etwas ziemlich gerummst hat und dann haben wir bemerkt, dass ihr hier reinkommt und die Quarantänebox versteckt. Ich bin euch ein Stück weit nachgelaufen.“
So war das also. „Habt ihr reingeschaut?“, fragte sie.
„Na ja, schon. Natürlich“, gab Gregor zu. „War wohl auch besser so. Was war denn los?“

Einen Moment lang fühlte sich Adah, als sei die Realität eine tote, abgelagerte Schicht, die sie erstickte und ihr zugleich entglitt. Willkommen zurück im Reich der Sichtweisen und Meinungen. Wer war „wir“? Die Besatzung dieser eigenwilligen und isolierten Abteilung? Oder meinte er die Gemeinschaft heimlicher Helfer? Wenn sie die Vorgänge beobachtet hatten, dann müssten sie doch reagiert haben. Warum hatten sie keinen Alarm ausgelöst? Deckten sie die Verbrecher oder hassten sie nur die Schiffsführung so sehr, dass sie erst mal selber reinschauen wollte, was da geschah?
Jedenfalls hatten sie Stellung beziehen müssen durch ihre Entscheidung. Aus Gregors Anwesenheit schloss sie, dass sie nicht gegen sie standen. Außer wenn sie vielleicht nur einen Teil der Wahrheit wussten und falsch deuteten.

Wieder wurde sie unruhig. War Vabian vielleicht gar nicht mehr in seinem Gefängnis gewesen, als sie reinschauten? Hatte er sich verletzt gestellt und war schleunigst ausgebrochen und geflohen, und die Maschinisten hatten eine leere Box gefunden mt irgendwas drin, was sie beschäftigte? Warum hatten sie nicht mehr reingeschaut, als sie ihn abstellten? Das bereute sie jetzt. Sie stellte sich eine blutige, tote Masse vor und zugleich einen springlebendigen Feind, der längst unterwegs war, um die Situation zu seinen Gunsten zu ändern. Unwillkürlich schauderte sie und sah sich im Dunkeln um.

Sie fürchtete sich, nach dem Inhalt der Box zu fragen. „Nun ja“, meinte Gregor, „natürlich haben wir ihn rausgeholt und versorgt. Er ist immer noch nicht bei Bewusstsein, aber es besteht keine Lebensgefahr.“
Adah seufzte erleichtert auf. Dann hatte er nichts unternommen – und es gab keinen weiteren Toten. „Das ist gut“, meinte sie. Dann gab es weniger, wofür man sie verantwortlich machen konnte, dachte sie. Im Dunkeln zu reden war wie ein Selbstgespräch.
„Er wollte uns umbringen“, erklärte sie. „Und dann haben wir ihn erst mal versteckt. Er gehört zu einer Verbrecherorganisation, die nichtsahnende Besatzungsmitglieder dazu gebracht hat, für sie Luurs-Metall aus Asteroiden zu holen und zu verstecken. Im Glauben, etwas für die Menschheit zu tun. Wir wissen nicht, wer seine Verbündeten sind. Bist du einer?“

„Das Metall ist viele frische Geldscheine wert“, bestätigte Gregor. „Und nein, ganz nichtsahnend waren die Leute nicht. Lar ist verdammt schlau, er steckt ja irgendwie überall dazwischen und gewann immer mehr den Eindruck, dass da was nicht stimmt. Dass jemand das fehlende Vertrauensverhältnis zwischen Schiffsführung und Besatzung bewusst ausnutzt, um Informationskanäle zu verstopfen und in die so entstandene Bresche zu springen, um eigene Vorteile aus der Situation zu ziehen."
„Und dann?“, fragte Adah. „Was weißt du sonst noch darüber?“

„Sicher mehr als du.“ Die Stimme des terranischen Gurrad klang amüsiert. „Wir konnten natürlich beobachten, dass die beiden eine Ladung transportbereit machten. Dann kam ihnen der Topsider dazwischen, und den weiteren Verlauf kennst du. Ihr habt eure Beute versteckt und wir haben den Restbestand in den Transportkoffern rübergeholt, solange die Positronik ausgeschaltet war, und es in die Quarantänebox gefüllt. Wobei ziemlich viel mit Caren in den Weltraum gepustet wurde.“ Er seufzte. “Wie gewonnen, so zerronnen. Aber den Rest haben wir.“
„Und über sonstige Hintermänner wisst ihr nichts“, stellte sie fest.
Im Dunkeln sah sie nicht, ob Gregor die Schultern zuckte, aber sie nahm es an. „Jetzt wo Bull da ist, wird sich sowieso alles aufklären“, meinte er.
„Das heißt, selber willst du nichts aufklären“, folgerte sie. „Kann ich Licht benutzen?“
„Oh, ich vergaß“, meinte Gregor. „Ich brauche keins. Bedien dich.“

Zum zweiten Mal an diesem Tag nahm Adah einen der Leuchthandschuhe von der Ablage und streifte ihn über. Das Material begann sachte zu leuchten,und mit wenigen Fingerstrichen hatte der Handschuh einen klaren Lichtkegel entwickelt, den sie nun durch den Raum wandern ließ.
„Ich möchte das hier nie im Hellen sehen“, meinte sie. „Es sieht so verwunschen aus, so geheimnisvoll.“
Gregor lachte. „Und du beschwerst dich über Leute, die ohne Durchblick handeln.“
„Natürlich“, gab sie zurück. „Hier geht es ums Schauen, nicht ums Tun.“ Die Welt wurde von Leuten wie diesen getragen, überlegte sie, die täglich an Prozessen in unverstandenen Zusammenhängen mitarbeiteten, die andere zum Guten oder Bösen wendeten, und dabei ihr ganzes Leben durchlebten mit all seinen Höhen, Tiefen und Verzweigungen. Ohne sie konnte kein Böser etwas anrichten – aber ein Guter auch nicht. Sie hängte sich bei ihm ein.

„Und, was willst du schauen – die Box oder Vabian?“, erkundigte sich Gegor.
Adah schauderte. „Vabian will ich gar nicht mehr sehen. Nie mehr. Also die Box mit dem Metall. Ich habe das teure Zeug noch nie in Echt gesehen.“
„Also dann.“ Sie gingen in den nur von einem in einem grell erleuchteten Eck mit einem Knäuel von Kabeln beschäftigten, sie ignorierenden Ga'aram Brrr besetzten Maschinenleitstand und von dort aus in die andere Halle. Dort folgten sie der vom Handschuh ausgeleuchtete Gasse in Richtung des kleinen Magazins. Auf halbem Weg blieben sie stehen, denn sie hörten Geräusche. Adah machte den Handschuh aus. Die Halle, die sie gerade betreten wollten, wurde schlagartig hell. Adah hielt sich die Hand vor die geblendeten Augen.

Den Stimmen nach zu urteilen betraten Netzer, Sauerwort, Reginald Bull und Kkroktok-Win den Raum. „Hier lang“, sagte der Topsider und wies den anderen, wie sie blinzelnd erkannte, den Weg zum Versteck.
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Alexandra
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Alexandra »

Kapitel XXI

Vielleicht sollte ich denen doch Überschriften geben?

Spoiler:
XXI.

Der Verräter, war ihr erster Gedanke. Dieser miese Veräter. Unwillkürlich wurde ihr mau in den Knien. Was hatte der denn vor? So in einer Gruppe zusammen mit Netzer, Sauerwort und Bull vor dem Schott stehend, sah er auch wieder ganz fremd aus, so fremd, wie er ihr vor den dramatischen Ereignissen gewesen war.

Noch fremder. Kein hinkender Eingenbrötler mehr. Hinkte er eigentlich noch? Sie hatte gar nicht mehr darauf geachtet. Mitglied einer Gruppe, die sich um den Neuankömmling versammelte und auf seine Gesten und Worte acht gab. Mit seinem anthrazitfarbenen Schuppenkopf, der die braunen, dunkelblonden und roten Haarschöpfe der Menschen um Haupteslänge überragte, schien er einer längst vergangenen Urzeit zu entstammen, als Relikt. So hatte sie ihn lange nicht gesehen. Nun ja, einige Stunden lang nicht, korrigierte sie sich.

Dann setzte ihre kühle Überlegung wieder ein. Die taten, was sie sowieso hatte tun wollen: hingehen, nachschauen und die Folgen des Zusammenstoßes in Ordnung bringen. Aber sie hatte eben allein und ungebunden hingehen wollen. Und sich erleichtert gefühlt, als ein Mitwisser auftauchte.

Gebunden war sie sowieso, es hatte also gar keinen Sinn, so zu tun, als stünde sie unbeteiligt neben der Situation. Und das betraf nicht nur sie. Wie viele Besatzungsmitglieder hatten beim illegalen Schürfen mitgeholfen, weil sie eine Lügengeschichte geglaubt hatten? Und in welchem Maße hatte deren Unwissenheit im Endeffekt die Planung unterstützt, sie zum Sündenbock zu machen? Entstand Schuld, wenn man aus Leichtgläubigkeit eine Lüge unterstützte?

Unwissentlich hatten sie mitgeholfen, rief sie sich ins Gedächtnis, und milderte so den plötzlich in ihr aufgestiegenen Hass auf jene, an die sie sich gewöhnt hatte. Hatte sie wieder einmal Bequemlichkeit mit Nähe verwechselt und dabei die Augen verschlossen vor den unterschwelligen Übeltaten? Es waren Wirkungsgefüge dieser Art, die sie immer wieder schwach in den Knien werden ließen, die ihr Leben zu einer lebenslangen Flucht machten. Sie spürte ihr Herz klopfen. Sie fühlte sich ausgeliefert.

Immer wieder wechselte sie den Ort und verließ Bekannte, wenn sie so was bemerkte. Physisch und seelisch, und flüchtete sich in bunte, schöne Bilder, so abstrakt, dass ihre Zuschauer sich darin wiederfinden konnten, auch wenn sie selbst kräftig mitmischten am Geflecht gegenseitiger Versklavung. Fühlten andere Leute sich geschützter, weil sie die Machenschaften nicht bemerkten oder sich einreden konnten, es beträfe nur andere? Verliehen diese Blindheit und Taubheit relative Sicherheit, weil man sich gleich selbst zum ausnutzbaren Nutzvieh machte, ohne dass man erst extra manipuliert werden musste? Wie erlebte ein Unsterblicher das, dessen Umgebung unweigerlich alterte und verging, während er blieb?

Die Gruppe hatte auf vier Soldaten und einen Medorobot gewartet, die nun hereinkamen und sich in Richtung des Magazins in Bewegung setzten. Der Topsider blieb mit den anderen zurück. Solange sie nicht wusste, woher seine überraschenden Fähigkeiten stammten, hatte sie nicht den blassesten Schimmer, was er eigentlich vorhatte, und demzufolge konnte sie ihn nicht einschätzen. Es störte sie, wie unklar seine Selbstauskünfte waren. Major Netzer hatte auch Einwände gehabt, die nicht unberechtigt waren.

Unwillkürlich stieg ein sarkastisches Lachen in ihr auf. Das war wirklich der perfekte Zeitpunkt, um Vorgesetzten zu glauben, die sie bisher nur enttäuscht hatten. Dummheit war das. Oder Verstand? Der Einwand war wirklich berechtigt gewesen. Wenn er war, was er zu sein behauptete, warum konnte er sich dann nicht ausweisen? Jetzt stand Reginald Bull leibhaftig vor ihnen mit seiner untersetzten Gestalt und dem berühmten feuerroten Bürstenhaarschnitt, und doch stimmte die Geschichte nicht.

Sauerwort und Netzer wollten beide ihr schönes, glattes Image polieren. Was wollte Bull? Er war ein relativ Unsterblicher, war stand der hier in dieser normalerweise stockdunklen Halle und spürte Wirtschaftskriminellen nach? Andererseits, warum nicht? Auch wenn er nicht alterte und aus einer Vergangenheit stammte, die man schon als mythisches goldenen Zeitalter verklären konnte, auch wenn sein Leben so weit in die Zukunft reichte, wie es sich die meisten nicht einmal annähernd vorstellen konnten: Das Wohlergehen der Menschheit war mit ihm verwebt, ihr Scheitern wäre auch seines. Und er könnte sich ewig daran erinnern. Als Konsequenz müsste er das große Ganze besser im Blick haben, mehr Zusammenhänge sehen als...
„Da ist sie ja“, rief Sauerwort, der sie in diesem Moment bemerkte. Major Netzer drehte sich um und musterte sie ausdruckslos. Jetzt war sie enttarnt. Zögernd setzte sie sich in Bewegung.
„Adah Kiyosaki, Orterzentrale“, meldete sie sich ordnungsgemäß. Bull nickte.
„Sie hatten keine Erlaubnis, sich aus der Zentrale zu entfernen“, wies der Kommandant sie zurecht, ehe sie auch nur ein Wort gesagt hatte. „Ansonsten sind wir informiert.“
„Wir holen die Box raus“, ergänzte der Topsider. „Das ist dringend nötig.“

Das unbestimmte Gefühl, dass keiner sie reden hören wollte, nahm zu. Also schwieg sie und überließ sie es ihnen, den Status Quo herauszufinden. Stattdessen wandte sie sich Bull zu, fand sich dabei dabei unvermutet so nahe, dass sie ihm auf wenige Handbreit Abstand in die Augen zu sah. Erschrocken drehte sie sich weg und trat hinter Sauerwort. Ausgerechnet! Nichtsdestotrotz blieb sie an diesem Ort, um ungestört zu bleiben.

„Sehen Sie sich das mal an, Sir“, sagte einer der Soldaten, die in das kleine Magazin gegangen waren. Der mitgebrachte Medorobot verließ das Magazin. Der Soldat trat zurück, als Bull an Netzer vorbei in den Raum kam. Adah hörte ihn pfeifen. Ein nachdenkliches, anerkennnendes Pfeifen. Netzer und Sauerwort kamen nach, und sie folgte ihnen, so dass sie durch das geöffnete Schott lugen konnte.

Der Deckel der Quarantänebox war hochgeklappt, und drinnen lagen Barren um Barren grünlich schimmerndes Metall, das einen unwirklich reichen Glanz ausstrahlte. So schimmerten dünne Fäden in Geldscheinen. Hier war das Leuchten pur, ohne Beimischung, ohne Form.

Sie trat zurück, um die Szene in sich aufzunehmen. Ihre Vorgesetzten sahen grün aus vor Entsetzen, Kkroktok-Win nachdenklich. Oder ironisch, abwartend? Sie konnte seine Mimik nicht lesen. Vielleicht sah er überrascht aus. Und irgendwie, als gehöre er längst nicht mehr dazu. Als sei er schon unterwegs.
„Da ist er ja wohl nicht drin, euer Verbrecher“, meinte der Unsterbliche. „Nur die Beute ist da. Wo könnte er sonst sein?“

Keiner wusste, was er sagen sollte. Sauerwort hustete krampfhaft. Bulls Blick ruhte auf jedem von ihnen, und einige Momente auch auf ihr, dann sah er an ihr vorbei, wo es anscheinend etwas Interessantes zu entdecken gab. Sie drehte sich um. Dort näherten sich Gregor, Lar, Sieglinde, Sepp, und einige andere Maschinisten. Ga'aram Brrr schwebte auf seiner unvermeidlichen Antigravscheibe. Sie sahen feierlich aus, als hätten sie sich versammelt, um etwas Kostbares zu übergeben. Und so war es denn auch.

Lar trat vor und begann mit äußerster Höflichkeit: „Darf ich mich vorstellen – Lar Sto Phan mein Name.“ Sein geflochtener vollbart leuchtete noch roter als sonst. Mit den riesigen Händen wies er auf seine Begeiter. „Gregor Phant Harihomt, Ga'aram Brrr, Sepp Höllriegel, Sieglinde Nimistoi, Nilam Bakshi, Kramesch Lowiord. Wir arbeiten alle hier unten. Wir sind froh, dass Sie da sind Sir. Wir haben den Verletzten geborgen und das Metall auch. Jetzt sind wir sicher, dass das alles in die richtígen Hände kommt.“
„Danke“, meine Bull. „Woher wussten Sie von den Geschehnissen?“
„Nun, wir waren sozusagen gleich nebenan“, meinte Sieglinde. „Wir haben am Stromkreislauf gearbeitet, als die Unterbrechung kam.“
„Vom mechanischen Scheppern ganz zu schweigen“, ergänzte Ga'aam Brr. „Man brauchte keine Positronik, um das zu bemerken.“
„Und Sie haben auch dazu beigetragen, das Metall zu sammeln?“, erkundigte sich Bull.
„Allerdings. Es hieß ja, das sei für die Erde.“ Die beiden Rothaarigen musterten einander.
„Und ihre Verbindungsleute waren der Verletzte, Vabian Dohtewie, und Caren Cristulla?“
Alle nickten.
„Kannten Sie sonst jemanden, der die Organisation besorgte?“, fragte Bull.
Alle schüttelten den Kopf.
„Es hieß ja, man müsse alles geheim abwickeln, damit es gar nicht erst bekannt würde, dass man das Luurt hier extrahieren kann. Es ist ja auch logisch. Jedes Mehr an Fördermöglichkeiten würde den Kurs abstürzen lassen. Eine Währungskrise könnte die Folge sein, mit wirtschaftlichen Schäden für große Teile der Galaxis.“
„Die restlichen Teile allerdings würden sich freuen“, ergänzte Bull grimmig.
„Die Mehandor würden nichts davon haben, wenn sie das meinen“, widersprach Lar.
„Das habe ich nicht gemeint“, sagte Bull. „Aber eine Frage habe ich: Als jetzt gegen Ende alles aus dem Ruder lief, hätten Sie davon ausgehen können, dass die Geheimhaltung gefährdet ist. Wieso haben Sie die Zentrale nicht darüber informiert?“, fragte er.
Das entstehende Schweigen wirkte wie eine Wand.

Bull nickte nachdenklich.„Das gehen wir eins nach dem anderen durch“, entschied er. Mit einer Handbewegung wies er seine Leute an, sich um den kostbaren Fund zu kümmern.
„Ist das alles an Luurt, dass sich zur Zeit im Schiff befindet?“, fragte er.
Lar nickte. „In den letzten Tagen ist nichts mehr erzeugt worden. Es hieß, es hätten sich Änderungen ergeben und man müsste vorsichtig sein, damit das Material nicht den falschen Leuten in die Hände fällt.“
„Interessant“, grinste Bull. „Und das haben Sie geglaubt?“
Lar schüttelte den Kopf. „Sie müssen verstehen, dass die Leute hier ausnahmlos überzeugt waren, für die Erde zu arbeiten. Menschen wie Nichtmenschen. Wir arbeiten auf diesem Schiff, haben die entsprechenden Verträge unterschrieben und verhalten und loyal. Dann aber kam Missstrauen gegenüber Nichthumanoiden wie Ga'aram Brrr ins Spiel. Der ist einer von uns. Als es dann plötzlich hieß, man müsse mit Nichtmenschen vorsichtig sein, wurden wir misstrauisch und fingen an, die Vorgänge selbstständig zu untersuchen.“
„Und dann wurden es immer mehr Verdachtsmomente“, ergänzte Bull. „Und es gab gar keinen Vorgesetzten, den Sie darüber informieren konnten?“
„Unsere Vorgesetzten kommunizieren mithilfe von Formularen mit uns“, erklärte Sieglinde. „Wenn man was sagt, gibt es gleich etwas auszufüllen oder das Problem geht direkt an genau die Leute, mit denen es Probleme gibt. Jedenfalls gibt es nur haufenweise unnötige Probleme, wenn man den offiziellen Weg geht, und darauf hatte keiner mehr Lust.“ Von Sauerwort kam ein erstickter Laut.

„Der Sinn der Bürokratie“, meinte der Unsterbliche. „Da haben wir ihn mal wieder.“ Den blass gewordenen Captain Sauerwort traf ein durchdringender Blick, der ihn erschauern ließ. Er wirkte, als habe er ein Gespenst gesehen. Major Netzer wirkte so unbeteiligt, als könne er sich eine Krankheit zuziehen, wenn er was bemerkte. Als hätte er noch nie etwas von Rückkopplungskreisläufen gehört. Nun ja, vielleicht stand dies nicht im Anforderungsprofil von Beförderungsverfahren. Müsste es aber eigentlich.

Unvermutet begann Adah über diesen Aspekt der Regelhandbücher nachzudenken. Sie war immer nur ausgewichen, hatte sich ihren ironischen Abstand bewahrt. Vielleicht hätte sie im Gegenteil mal tiefer in die Materie reingehen müssen. Regeln nachvollziehen, verstehen, imiteinander in Beziehung setzeneinfordern. Sie zu lebendigem Feuer machen, um mit Blake zu sprechen.

Reginald Bull, den sie intuitiv als neues Vorbild verstand, setzte sich mit der Bürokratie auseinander, und er war ein Unsterblicher. Ohne Pensionsanspruch wahrscheinlich, überlegte sie. Welches Interesse an Pensionsansprüchen sollte er haben? Und was würde es kosten, wenn er es hätte? Ewiges Leben, das war eine Art Zeitlosigkeit. Aber im Falle dieses Menschen hier eine, die mit der Zeit verknüpft war. Zur Vergangenheit hin durch die vielen Erinnerungen, die unheimlich vielen Schichten an Erfahrungen. Zur Zukunft hin – doch nicht nur durch eigene Interessen, wie die durchschnittlichen Sterblichen? War es etwas Visionäres, ein Entwurf für die Zukunft? Oder einfach die Eigenschaft, so weit über den eigenen Tellerrand hinauszusehen, weil der Teller immer wieder gefüllt werden würde, weil er den Löffel nicht abgeben musste wie andere? Dass er eine lebende Utopie war, um die sich die Hofffnungen aller hier rankten? Oder hätte er die gleiche Wirkung, wenn er ein ganz normaler sterblicher Vorgesetzter wäre? Kaum, denn dann wäre sein Blickwinkel anders.

„Zuerst einmal zeigen Sie mir den Mann“, bestimmte er jetzt. „Dann sprechen wir über das Geschehene, und zwar erst mit euch.“ Sein Blick umfasste die Gruppe. „Dann mit der Zentralebesatzung. Der Topsider kommt gleich mit.“
Adah hätte alles daraum gegeben, dabei zu sein. Sie wollte jetzt nichts verpassen.
„Sie hat den Angriff im Hangar auch mitbekommen“, meinte Kkroktok-Win.
„Das weiß ich“, bestätigte Bull. „Sie kommt ebenfalls mit. Und zwar bitte sofort.“
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dandelion
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von dandelion »

"Reginald Bull, den sie intuitiv als neues Vorbild verstand, setzte sich mit der Bürokratie auseinander, und er war ein Unsterblicher. Ohne Pensionsanspruch wahrscheinlich, "

Haben Unsterbliche Anspruch auf eine staatliche Pension? Wahrscheinlich nicht. Eine Altersgrenze im herkömmlichen Sinn kann es eigentlich nicht geben. Das bedeutet aber auch, daß die Betroffenen für immer und ewig im Staatsdienst bleiben müssen. Klingt irgendwie unmenschlich, weil sie niemals im Ruhestand die Früchte ihrer Arbeit genießen können. Es sei denn, sie hätten während ihrer aktiven Zeit immense Reichtümer angehäuft.

Andererseits kann einem Staatswesen wohl auch kaum zugemutet werden, bis in alle Ewigkeit Pensionsansprüche von Leuten aus grauer Vorzeit befriedigen zu müssen.
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AARN MUNRO
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von AARN MUNRO »

dandelion hat geschrieben:"Reginald Bull, den sie intuitiv als neues Vorbild verstand, setzte sich mit der Bürokratie auseinander, und er war ein Unsterblicher. Ohne Pensionsanspruch wahrscheinlich, "

Haben Unsterbliche Anspruch auf eine staatliche Pension? Wahrscheinlich nicht. Eine Altersgrenze im herkömmlichen Sinn kann es eigentlich nicht geben. Das bedeutet aber auch, daß die Betroffenen für immer und ewig im Staatsdienst bleiben müssen. Klingt irgendwie unmenschlich, weil sie niemals im Ruhestand die Früchte ihrer Arbeit genießen können. Es sei denn, sie hätten während ihrer aktiven Zeit immense Reichtümer angehäuft.

Andererseits kann einem Staatswesen wohl auch kaum zugemutet werden, bis in alle Ewigkeit Pensionsansprüche von Leuten aus grauer Vorzeit befriedigen zu müssen.

Sie müßten ja z.B. an derr Börse spekulieren können noch und noch...festverzinsliche Anlagen sind wohl ausgeschlossen, Lebensversicherungen auch...Nebeneinkünfte angeben...? ^_^
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Alexandra
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Re: Fan-Geschichte "Die Flucht"

Beitrag von Alexandra »

Und wie verschiebt sich dann eben die Perspektive, wenn diese Deadline fehlt.
Diese Art Raumerlebnis kommt viel zu selten.

Wobei ich wieder mal ins Reich der Nostalgie gehe mit dem Finanziellen.
Vor PR war ich gar nicht auf die Idee gekommen, zu überlegen, was ein Raumschiff kostet. Na ja, sicher auch als Altersgründen. Diesen Aspekt der Serie finde ich persönlich ganz wichtig.
Gesperrt

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