Okay ... hier der Artikel über
Der Autor und seine Figuren
Anmerkung: Erschienen im Austria Con 2016 Conbuch.
copyright Roman Schleifer
Manche Figuren schreiben sich von selbst.
Wie das kommt?
Ich habe keine Ahnung, nur einige Vermutungen.
Vielleicht sprechen manche Figuren den Autor besonders an. Vielleicht kann sich der Autor auch nur gut in diese Figuren hineinversetzen. Vielleicht ist es auch jener Akt an Kreativität, die einen Autor zum Autor macht.
Wie auch immer.
Als ich für »Verwehendes Leben«, dem Band 11 der PERRY RHODAN-Miniserie STARDUST, drei Terraner für einen lebensgefährlichen Außeneinsatz suchte, traten sie bereits zu Beginn der Planungsphase in mein Arbeitszimmer.
Der eine, Alan Ghedi, stieß die Tür auf, warf sich in den Sessel, legte die Beine auf den Tisch, schlug mir auf die Schulter und sagte: »Alter, wir können loslegen. Wo brennt der Hut?«
Yarron Odac hingegen klopfte an der Tür. Nicht zu forsch, aber auch nicht zu zaghaft. Freudig öffnete ich ihm die Tür, kannte ich ihn doch von Band 2. Ich mochte ihn damals schon und ich wollte auf jeden Fall klären, ob er überlebt hatte oder nicht.
Nun, hatte er. :-)
Aber bereits nach Öffnen der Tür war ich verwundert. Er war nicht mehr der schüchterne Techniker von Band 2. Hatte er dort noch die Nase gerümpft, wenn jemand geraucht hatte, hing nun selbst ein Glimmstängel in seinem Mund. Sein Blick wich dem meinem nicht aus – wie ich aufgrund Band 2 erwartet hatte -, nein, er blickte mich voll Selbstvertrauen an, schüttelte mir die Hand, ging an mir vorbei und setzte sich wortlos in den Sessel neben Alan Ghedi. Die beiden wechselten ein paar Worte, schienen sich zu kennen.
Ich erfuhr, dass Alan Ghedi der Retter von Yarrons Vater gewesen war.
So bestätigte sich der alte Gucky-Spruch: »Die Welt ist ein Dorf, das Universum auch.«
Bevor ich mit Yarron und Alan weiterreden konnte, blinkte das Webcam-Symbol auf meinem Rechner. Professor Kulon Suurpanos begehrte ein Gespräch mit mir.
Yarron zuckte zusammen und verzog – Achtung Klischee – das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
»Kulon ist der Albtraum jedes Studenten«, meinte er.
Nach Kulon Suurpanos Begrüßung verstand ich Yarron. Der Professor informierte uns, dass er uns zehn Minuten seiner kostbaren Zeit opfern würde und er über sich und seine Forschungserfolge im Bereich der statistischen Analysen referieren würde. Wir sollten konzentriert zuhören, denn sein Referat würde viele bahnbrechende Informationen enthalten.
»Ich verbitte mir daher jegliche Störung«, sagte er und schenkte Alan, Yarron und mir einen eindeutigen Blick.
Da saßen wir also und lauschten seinen hochtrabenden Worten. Ich gestehe, ich habe nur den Axioms-Witz verstanden.
Als er nach den Abschlussworten auflegen wollte, erinnerte ich mich daran, dass ich hier das sagen hatte. Das missfiel dem Herrn Professor zwar, aber gegen Fakten kam selbst er nicht an. Immerhin genügte ein Gedanke und er war raus aus der Story. Um ihn meine bessere Position zu verdeutlichen, ließ ich ihn daher erst einmal warten und nahm mir Ghedi zur Brust.
Freimütig erzählte mir der Stardust-Terraner von seiner Vergangenheit. Er war ein alter Haudegen, der jedes Fluggerät steuern konnte. So jemanden brauchte ich, denn Rhodan und Eritrea Kush würden nur einen der Besten der Branche anheuern. Während er aus seinem Leben erzählte, notierte ich mir geistig die interessantesten Erlebnisse. Bei der Geschichte über die Rettung von Yarrons Vater hakte ich nach.
»Wie bist du aus dem Asteroidenfeld ohne Ortung mit der defekten Space Jet gekommen?«
Mit fadenscheinigen Erklärungen wich er aus und log, was das Zeug hielt. Doch ich bohrte so lang nach, bis er gestand.
»Ich weiß auch nicht. Ich habe die Dinger gesehen und gefühlt. Ich wusste, wo die Asteroiden waren und erkannte die sicherste Route.«
»Hast du dich auf Paragaben testen lassen?«
Er schüttelte den Kopf und damit seine blonden, schulterlangen Haare.
Als ich dann noch seine Referenzen sah, war die Entscheidung klar. Ich erteilte ihm den Auftrag, die Space Jet zu fliegen.
Professor Kulon Suurpanos mischte sich ein. »Es stimmt mich nachdenklich, einem verurteilten Straftäter mit einem derart wichtigen Auftrag zu betrauen.«
»Verurteilter Straftäter?«, fragte ich.
Ghedi räusperte sich. »Es gab da einen Oberst …«, sagte er und erzählte, dass er einem Vorgesetzten die Meinung gegeigt hatte, weil er seine Untergebenen schikaniert hatte. Zuerst verbal und dann mit den Fäusten. Letzteres zu stark und zu oft. »Vier Jahre habe ich abgesessen. Sechsunddreißig folgen.«
Ich starrte ihn an.
Sollte ich ihn aus dem Gefängnis holen? Ihm eine zweite Chance geben? Immerhin hatte er einen Menschen getötet.
Wie würden die Leser darauf reagieren?
Ein guter Mann maßregelt einen »Bösen«, schießt über das Ziel hinaus, büßt für seine Tat und wird aus dem Gefängnis geholt, weil man seine Erfahrung und sein Können braucht. Würde man sich 1513 NGZ einfach über ein Gerichtsurteil hinwegsetzen, weil das Leben aller auf dem Spiel stand? Rechtfertigte das Leben vieler so eine Tat?
Ich verschob die Antwort auf diese Frage auf später und widmete mich Yarron Odac. Nach der Rettung von Perry Rhodan war er zum Medienstar avanciert. Sein Holobild und sein Name waren durch die Medien gegeistert. Kein Kamerad, der sich nicht mit ihm fotografieren lassen wollte. Höhere Dienstgrade salutierten vor ihm und einige wollten ihm die Hand schütteln.
»Kenne ich«, antwortete ich. »Nach dem Gewinn eines Metallica-Gewinnspiels mit Treffen der Band und europaweiten zweiminütigen TV-Auftritt wollten damals auf jedem Metallica-Konzert die Fans auch Fotos mit mir und mir die Hände schütteln.«
»Total schräg«, sagte Odac. »Ich habe doch nichts gemacht.«
Ich lächelte. »Genau wie ich. Aber, du hast den Unsterblichen gerettet.«
»Aber nur durch Zufall.« Er kratzte sich an die Brust.
»Spürst du die Reanimation?«
Er nickte. »Einstichstelle auf der Brust, den elektrischen Schlag am Herzen und manchmal sehe ich den Medoroboter, der über mir schwebt.«
»Wie gehst du damit um?«
Yarron sah mir direkt in die Augen. Ich kannte diesen Blick, hatte ihn schon zweimal in meinem Leben gesehen. Beide Male waren es Menschen, die dem Tod entkommen waren.
»Ich lebe intensiver. Dinge, die mich zuvor gestört haben oder vor denen ich Angst gehabt habe, interessieren mich nicht mehr.«
»Wie die Fehlerhäufigkeit der Mikrochips für die Waffenarme von STARA-I-sd-Kampfroboter?«, fragte ich, weil ihn das in Band 2 noch nervös hatte werden lassen.
Er nickte erneut. »Das Leben ist zu kurz, um sich über so etwas aufzuregen.«
Ich spürte, dass er noch etwas sagen wollte, also blickte ich ihn auffordernd an.
»In der Medostation ist mir bewusst geworden, dass es wichtig ist, aus welchem Grund man stirbt. Es gibt keinen besseren Grund für den Tod als Leben gerettet zu haben.
Professor Kulon Suurpanos meldete sich zu Wort. »So ein Blödsinn! Das eigene Leben ist viel zu kostbar, um es wegzuwerfen. Egal, für wen.«
Das war für mich das Zeichen, mich um den Professor zu kümmern. Dass er keinen Preis für den sympathischsten Stardust-Terraner gewinnen würde, war mir bereits bei seiner Begrüßung im Video klar geworden. Doch das konnte nicht alles sein. Zuerst wusste ich nicht, was es war, doch dann entdeckte ich eine Traurigkeit, die ich zuerst nicht einordnen konnte.
Grübelnd folgte ich ihm virtuell in sein Penthouse. Natürlich beschwerte er sich über die fürchterlichen Menschen, die auf dem Strand vor seinem Wohnhaus lagen. Er beruhigte sich erst, als er vor dem Gemälde von Chjang stand. Zärtlich strich er über den Rahmen des Gemäldes und rückte das Bild gerade.
»Er liebt es«, murmelte er mit trauriger Stimme.
»Wer?«, fragte ich.
Irritiert blickte mich Kulon an. Es war ihm sichtlich peinlich, dass er den Gedanken laut ausgesprochen hatte. Er ließ die Schultern hängen und deutete kraftlos auf eine der Türen.
Nachdem ich das Nebenzimmer betreten hatte, wusste ich, was er mit sich schleppte. Dort im extra eingerichteten Krankenzimmer lag Nunem, sein Lebensgefährte, im Koma. Ein tragischer Fall. Kulon war schuld an dem Unfall, der Nunem ins Koma gebracht hatte.
Während sich Kulon an Nunems Seite setzte, verabschiedete ich mich. Zurück im Arbeitszimmer war ich allein. Yarron und Alan waren gegangen, tranken vermutlich in einer Raumhafenbar ein paar Drinks und sprachen über die Rettung von Yarrons Vater.
Waren das die drei Terraner, denen Rhodan einen erfolgreichen Abschluss der Mission zutraute? Yarron und Alan würden sich gut verstehen, aber Kulon?
Er hatte Höhenangst, war übergewichtig und ein Theoretiker. Würde das nicht zwangsläufig zu Konflikten führen.
Ich grinste. Natürlich würde es das.
Allein die präpotente Art des Professors würde zumindest Alan Ghedi zur Weißglut treiben. Suurpanos selbst würde wiederum mit der Tatsache nicht umgehen können, dass er mit einem verurteilten Mörder zusammenarbeiten musste. Und mit den Rahmenbedingungen der Mission überfordert sein. Sehr gut. Sehr gut.
Doch halt!
Warum sollten die drei überhaupt an der Mission teilnehmen?
Gut, Yarron Odac war Soldat, dem konnte man das befehlen.
Alan Ghedi würde froh sein, wenn seine Gefängnisstrafe verkürzt oder getilgt wird.
Nur für Kulon Suurpanos gab es keinen Grund. Er würde nicht von der Seite seines Lebensgefährten weichen. Und der Typ, sich für andere zu opfern, war er auch nicht.
Erneut tauchte ich in seine Vorgeschichte ein und wurde fündig. Der Dreh- und Angelpunkt lag bei Nunem. Es gab eine experimentelle Studie, die ihn vielleicht heilen konnte. Doch der ausführende Arzt lehnte Nunem ab.
Ich überzeugte den Professor, dass sich sicher Möglichkeiten für eine Teilnahme Nunems finden würde, sobald er sich der Mission anschloss.
Und so war es auch.
Zufrieden rieb ich mir die Hände. Alle drei Missionskandidaten hatten ein Motiv, um auf die Mission zu gehen. Dass jeder von den drei für sich im Laufe der Story etwas herausschlug, fällt unter die Kategorie »Eigendynamik einer Story«.
Das ist übrigens auch ein seltsamer Umstand.
Der Autor hat eine genaue Vorstellung, wie die Figuren in der Story und jeder Szene agieren und plötzlich verselbstständigen sie sich.
Wie das kommt?
Ich habe keine Ahnung, nur einige Vermutungen.
Aber das ist eine Geschichte für das nächste Austria Con-Conbuch ...
To Live Is To Die