Teil 9
Reginald Bull trat hinter dem Vorhang hervor und blickte Lavenia fasziniert an. Sie trug nun einen knielangen Rock, gefertigt aus den feinen ‚silbernen’ Kettengliedern, aus der auch seine Rüstung bestand. Die Füße steckten in Schuhen aus feinstem Leder, die bis zum Rock hoch geschnürt waren. Dazu kamen ein feines Kettenhemd und darüber eine Rüstung aus festen ‚Silberplatten’ oder aus welchem Stoff sie auch immer bestehen mochten. Sie schützten in jedem Falle ihren Oberkörper. Ein breiter Gürtel umspannte ihre schmalen Hüften, daran hatte sie ein Schwert in einer Scheide befestigt. Auch Lav bekam einen Bogen, einen Köcher mit Pfeilen, sowie einen kleinen Schild. Syrenas Bekleidung sah gleich aus, und die Bekleidung von Kator und Cari Nacra-Beauvallon wiederum glichen Bullys eigener Ausstattung.
„Du siehst fantastisch aus, wie eine Amazone aus der griechischen Sage“, flüsterte Bully Lavenia ins Ohr. „Danke Bully, auch du siehst gut aus, wie ein richtiger archaischer Krieger!“ Beide lachten.
„Dann wollen wir mal!“, sagte der Solarmarschall in Reginald Bull
„Mann, so kann ich doch nicht rumlaufen“, kritisierte Cari Nacra-Beauvallon scheinbar weinerlich. „Wenn mich meine wissenschaftlichen Kollegen so sähen, würde ich Jahrhundertelang zum Gespött!“
Als er einen Schritt nach vorne machte, stolperte er fast über seine Schwertscheide. Oder tat er es mit Absicht? „Da wette ich!“ dachte Bully und lächelte grimmig in sich hinein.
„Ich glaube er hat recht“, meinte Haldir lachend. Er nahm Cari den Gürtel mit dem langen schweren Schwert ab und gab ihm dafür einen mit einem Kurzschwert. „Es ist für Zwerge gemacht, aber für dich wohl praktischer.“
Cari stimmte ihm zu, auch wenn er wie Bully wohl nicht wusste, was Zwerge sein mochten. Eine dieser von der Herrin angesprochenen lemurischen Völkermutationen? Zeit dafür wäre ja in diesen 50.000 terranischen Jahren respektive 500.000 Jahren planetarer Zeit? Vielleicht auch eine Züchtung von irgendwelchen Dunkel-Genetikern?
Seit Ronald Tekener mit den umfangreichen Infos über die Lemoner zurückkam, hielt Reg alles für möglich. Dieses selbst verliebte Volk war anscheinend arroganter als die Akonen. Und dies hieß was! Bull blickte auf Cari und amüsierte sich.
Pfeil und Bogen gab er gerade ab. „Das Schwert muss mir genügen“, sagte er mit überzeugter Miene. Wie immer übertrieb er sein ‚Menschseinwollen’, zumal er notfalls seinen Androidenkörper in eine furchtbare Waffe verwandeln konnte, die es mit mehreren Humanoiden gleichzeitig aufnehmen konnte, wenn es darauf ankam. Bull hatte den ES- Androiden einmal Dagor kämpfen sehen. Nicht einmal Atlan als Dagor- Hochmeister hätte gegen den neuen Rico eine wirkliche Chance.
Die anderen bewunderten sich ebenfalls noch kurz in ihren neuen schicken und vor allem exotischen Sachen, dann wurden sie von Haldir unterbrochen. „Ihr habt euch jetzt lange genug bewundert!“ Der Ellwe lachte spöttisch, gleichzeitig brachte er Verständnis für sie auf, das konnte Reg an Haldirs Mimik erkennen. Ein sympathischer Typ, fand Reginald. „Es wird Zeit. Kommt!“, ermahnte sie Haldir, jetzt doch etwas ungeduldig.
Er führte sie zu den Booten hinunter. Dann gab er jedem eine Karte. „Hier ist der Weg eingezeichnet. Erst geht es den Silberfluss entlang, der in den Gysera mündet. Auf diesem fahren wir bis zu den Rauros-Fällen. Ab dort müssen wir mit Derroangriffen rechnen. Dann geht es weiter den Gysera hinunter bis nach Ossoros, vorbei an Gorlan, bis nach Thonor. Dort müsst ihr euch ein größeres Schiff kaufen, mit dem ihr das Meer, den Gorlanischen Golf befahren könnt. Das dafür notwendige Gold habt ihr ja von unserer Herrin erhalten. Sie hat jedem von Euch einen Gürtel voller kleiner Taschen mit Goldmünzen und wertvollen Edelsteinen gegeben. Ihr fahrt entlang der Küste des Landes der Horon, vor denen ihr euch allerdings in Acht nehmen müsst, denn sie sind Feinde der Gorlanianer. Und sie werden euch für Gorlanianer halten. Also meidet ihr Land. In Umbar müsst ihr aber an Land gehen und Vorräte einkaufen. Dann segelt ihr weiter an der Großen Öde vorbei, bis ihr dort an Land gehen müsst. Am Zielpunkt stehen die großen Statuen der früheren äußerst mächtigen Zeut Ellwenkönige. Dort findet ihr auch das Aure. Dann müsst ihr den gleichen Weg zurückfahren. Wenn alles gut geht, seid ihr in zirka vier bis sechs Wochen wieder zurück.“
„Vier bis sechs Wochen? Seid ihr alle wahnsinnig geworden?“ Cari konnte es scheinbar nicht fassen.
„Dann brechen wir am besten gleich auf“, bestimmte Bully sarkastisch an Cari gewandt. „Bald bekomme ich Magengeschwüre über den Ärger bezüglich des Androiden, den ich oft herunterschlucken muss!“ dachte der Choleriker Bull bitterböse. „Es wäre wohl besser wie früher cholerisch zu reagieren, um den Blutdruck zu senken.“
So brachen sie auf. Haldir würde sie bis Gorlan begleiten und dann konnten sie sich vielleicht einen Führer suchen, der sie bis an ihr Ziel bringen würde.
Jeweils zwei Team-Mitglieder setzten sich in ein Boot, und in der Mitte legten sie den von den Zeut Ellwen erhaltenen Proviant, hauptsächlich etwas, dass Lembasbrot genannt wurde. Es sah aus wie harter Zwieback, sättigte aber besser als dieser. Außerdem hatte es Bully sich nicht nehmen lassen einen großen Rucksack mit ‚Spezialproviant’, wie er es nannte, aus der Space Jet zu holen. Auch die übrigen Team-Mitglieder machten es so. Diese kleine Verzögerung der Reise musste sein. Auf den Vorrat der Zeut-Ellwen verzichteten sie trotzdem nicht. Haldir schüttelte über den ‚Spezialproviant’ nur den Kopf und brummte leise vor sich hin: „Sternenreisende!“ Bully hörte das Gemurmel des Ellwen und grinste nur vor sich hin in der Vorfreude auf das köstliche Essen an den kommenden Lagerfeuern.
Denn ganzen Tag fuhren sie den Silberfluss hinunter. Lavenia und Bully saßen im mittleren Boot. Haldir und Cari im ersten und Kator und Syrena im letzten Boot.
Am Abend nach einer problemlosen Fahrt, erreichten sie die Mündung des Flüsschens, wo sie ihr erstes Nachtlager aufschlugen.
Sie holten die Bestandteile eines Dreifußes aus ihrem Gepäck und setzten ihn zusammen. Parallel entzündeten sie ein kleines Feuer unter dem Gestell. Das hierzu nötige trockene Holz fanden sie heute am Flussufer. Mit Hilfe eines schwammähnlichen knochentrockenen Feueranzünders, den der Zeut- Ellwe aus dem Gepäck kramte, brannte bald ein lustiges Feuer unter dem Dreifuß. Falls sie kein trockenes Holz für ein Feuer fanden, konnten sie auf
Energeton zurückgreifen.
Bei dem Energeton handelte es sich um einen Brennwürfel, welcher dem aus Trockenspiritus (Esbit) bestehenden terranischen Produkt des 20. Jahrhundert mit der hundertfachen Wirkung überlegen war. Der Ingenieur Reginald Bull wusste, dass sie mit dem Energeton gewissermaßen die brennbare ‚Trockenform’ von Energie besaßen. Ein Feuer ließ diese ‚erstarrte’ Energie wieder langsam frei und gab den Anwender die notwendige Mahlzeit, Wärme oder heißes Wasser.
Eine famose Erfindung der Arkoniden. Die Terraner hatten allerdings die Werte leicht verbessert. „Wo haben wir die von den Weißköpfen geklaute Technik nicht verbessert!“, dachte der Solarmarschall sarkastisch.
Eine Packung Energeton reichte dafür, um drei Monate täglich drei Mahlzeiten zu machen. Jeder von ihnen hatte im Gepäck einen solch kleinen Block mit Energeton, dazu notfalls einen faltbaren nahezu gewichtlosen Energeton- Brenner.
(Anmerkung Autor: Das Energeton habe ich in PR Band 22: ‚Thoras Flucht’ entdeckt. Also eine Erfindung von CC. Es wird allerdings nicht in Perrypedia dokumentiert. Solche Einzelheiten liebe ich einfach! Wahrscheinlich hielten es die Dokumentisten von PP nicht für wichtig. Allerdings sieht das ein Survivalfan naturgemäß anders
)
Ein entfalteter federleichter Kochtopf aus einem feuerfesten Spezialkunststoff wurde an dem Dreifuß angehängt und mit gefiltertem Flusswasser gefüllt. Dazu gaben die USO-Leute verschiedene Zutaten, die sie Kunststoffbehälter aus ihrem Gepäck entnahmen, hinein. Bully kramte in seinem eigenen Gepäck und holte aus einem Behälter ein Stück USO- Pemmikan. Solche echten Produkte aus einem sehr gehaltvollen und lange haltbaren Dörrfleisch aus Rindfleisch, das aus den Zuchtanlagen der Atlantis stammte, gab es nur in der USO. Die Solare Flotte bot nur ihre geschmacklosen Nahrungskonzentrat-Blöcke auf Missionen an, die Bully allerdings erstaunlicherweise als Gourmet nicht ungern aß.
Allerdings nur, wenn er sein speziell für sich zusammengestelltes Gewürz, dass er immer in Wildnistouren mit sich führte, mit dem Nahrungskonzentrat egal in welcher Form aß.
Als Survivalfan bevorzugte er natürlich Bannock zum Frühstück und Wildniseintopf abends am Lagerfeuer. So gehörte es sich für einen Wildnistouristen. (:D)
Spezialisten der USO stellten das Pemmikan nach altem indianischem Originalrezept aus gedörrtem Rind- oder Büffelfleisch her. Dazu nahmen sie Fett, Beeren und verschiedene Gewürze. Natürlich fügten sie sämtliche Vitamine bei, die normalerweise nicht im Pemmikan vorkamen. Heraus kam ein energiereicher Reiseproviant voller Vitamine und Vitalstoffe, der auch gerne von Schiffsbesatzungen und Expeditionen genutzt wurde. Jede Mission führte allerdings auch noch geruch- und geschmacklose Nahrungskonzentratwürfel für den Notfall mit sich.
[Anmerkung Autor: Bäh, Brr.. Probiert mal den kuchenartigen BP:5 Notproviant für Expeditionen. Brrr)
Allerdings hatten wir auf jeder mehrtägigen Tour einen kleinen Pack dabei für Notfälle. Man will ja nicht Hungerleiden und als Wildnistouristen kannst du normalerweise nicht aus der Natur leben, wenn man notfalls keine Würmer zu sich nehmen möchte. :Lol:]
Bull fügte also den Pemmikan dem Eintopf bei, wie frische Kräuter, die der Ellwe aus der Wildnis holte. Wie alle Ellwen hatte er einen besonderen Sinn für Pflanzen. Die Kräuter entdeckte er rasch, vielleicht kannte er von vorigen Reisen, den Platz wo sie wuchsen. Der Eintopf mundete allen sehr gut. Bully genehmigte sich natürlich einen Nachschlag, was ihm schräge Blicke von Lavenia einbrachte. Sie kommentierte allerdings Bullys Nachschlag nicht. Sie wusste längst, dass dem Solarmarschall gutes Essen wichtig war, ihr als adelige Neuarkonidin ja auch. Aber sie aß halt nicht so viel wie Bully.
Reg konnte lange nicht einschlafen. Ob es am Essen lag? Oder an der Nähe der schlafenden für ihn anziehend wirkenden Lavenia, die sich an ihn gekuschelt hatte? Nein, er machte sich Gedanken, warum ES die Atlantis-Expedition organisiert hatte. Klar war, dass ES Probleme hatte. Irgendjemand kämpfte gegen ES. Aber wer? Eine feindliche, vielleicht hm, negative… Superintelligenz? Wieder meinte er ein Gelächter um sich zu vernehmen. Eigentlich war sein Geist oder Bewusstsein in dieses Gelächter eingebettet. Irgendwie hatte er die Empfindung, ein Erinnerungsdamm in seinem Unterbewusstsein, würde brechen. Er erinnerte sich, konnte allerdings im Moment keinen Bezug zur Gegenwart finden.
[Anmerkung Autor: Künftig werden Abenteuer Bullys und des Zeitreisenden ‚Traversan- Atlan’ aus der Zeit der Dritten Macht hier eingefügt, denn dieser Krieg tobt auf verschiedenen Zeit-Ebenen in einem Multiversum praktisch ‚parallel’. Es handelt sich demnach um einen ‚Terminalen Krieg’, zwischen wem auch immer…:Lol:]
> 19.06.1971, 3 Uhr X Minuten
Ich lag zusammen mit drei Astronautenkollegen auf den Konturlagern der STARDUST. Die Kabine war eng und wir lagen eingezwängt von zahllosen Kabelsträngen, elastischen Rohrleitungen und sorgsam eingebauten Gerätschaften. Der Druck der Gravitation zwang uns fest auf die Lager. Die STARDUST schoss in den blutrot aufleuchtenden Nachthimmel von Nevada Fields.
Eben bekamen wir für acht Sekunden etwas Luft zwischen dem Abstoßen der ersten und der Zündung der zweiten Stufe. Wir hatten eben den 9,3 Gravo Höllenritt hinter uns gebracht. Das Atomtriebwerk sollte in wenigen Sekunden vom Elektronengehirn in die 2. Stufe gezündet werden.
Ein extrem kritischer Augenblick, der über Erfolg oder Scheitern der Mission entscheiden konnte. Die Drückung des roten Knopfes auf der Schalttafel direkt vor mir würde unsere fliegende Bombe zur Explosion bringen. Als verantwortlicher Elektronik-Ingenieur und Spezialist für Strahltriebwerke wusste ich das und war für die Wartung der Technik verantwortlich. In der Enge der Kabine und dem Wirrwahr der Gerätschaften um uns, konnte nur ich den Knopf sehen oder durch eine knappe Verlagerung der Finger nach vorne das Bedienungselement erreichen. Niemand würde es sehen, wenn ich ihn mit den Fingern drückte. Nur wenige Zentimeter trennten ihn noch von den Fingern meiner rechten Hand.
Wieso nur dehnten sich die Sekunden und ein homerisches Gelächter umgab mich. Es hörte sich höhnisch und extrem feindselig an.
„Drücke den Sicherungsknopf und alles Leiden ist zu Ende. Wieso nimmst du diese Torturen auf dich, Dicker? Was wollt ihr mit diesem Unsinn einer eventuellen Mondlandung erreichen? So etwa der anstehenden Selbstvernichtung der Menschheit entkommen? Euer Tod auf dem Mond würde euch auch ereilen, nur eben langsamer, solange bis euch die Vorräte ausgehen. Willst du dir diesen langsamen Tod antun?“
Irgendwie lockte mich der rote Knopf. „Wieso ihn nicht drücken?“ fragte ich mich. Diese Stimme könnte durchaus Recht haben.
„Eben, drücke ihn endlich!“ Wieder umbrandete mich das bösartige Gelächter.
Zentimeter für Zentimeter näherten sich meine Finger dem roten Knopf. Die Versuchung war groß. Dann schwebten meine Finger trotz der hohen Gravitation vor dem Knopf.
„Was tust du denn, du Narr!“ Eine weitere Stimme umwaberte meinen verwirrten Geist und meine Finger kehrten langsam in die Normalstellung zurück.
„Gut so! Du hast eben die Zukunft der Menschheit für lange Zeit gesichert.“ Diese Stimme hörte sich freundlich an und ging in ein homerisches Gelächter über, das allerdings eine äußerst positive Resonanz in meinem Gemüt erzeugte. Das böse Gelächter hörte ich nur noch als fernen verwehten Hauch. Wieso kämpften zwei mentale Attraktoren um mich?
Etwa Gott und sein Widersacher Luzifer? Das positive homerische Gelächter verstärkte sich.
Allerdings verblieb die Empfindung einer ständigen Bedrohung in mir…
„Alles in Ordnung, Bully“, hörte ich plötzlich die besorgte Stimme von Perry Rhodan, meines besten Freundes und Missionskommandanten.
„Ja, Perry, alles bestens.“
Die Beschleunigung wuchs nach einem kurzen Ruck und wenigen Augenblicken wieder auf acht Gravos an. Wir flogen programmgemäß weiter in Richtung Mond. <
Wieder im Jahre 2450 nC auf Abjinos
Damals im Jahr 1971 wusste Bully noch nicht, dass diese Mond-Mission die entscheidenden Grundlagen für die Zukunft der Menschheit auf ihrer Reise zu den Sternen schaffen würde. Sie konnten damals auch noch nicht ahnen, dass ein Spezialkommando der Meister der Inseln aus dem 25. Jahrhundert heraus eine Zeitreise unternahm, um diese Mission und was das STARDUST- Team erwartete, zu sabotieren. Dann waren da noch die zwei gegensätzlichen Gedankenstimmen, die Reg im Moment noch nicht zuordnen konnte. Ein Gedanke schlich sich allerdings in Bullys Bewusstsein: „Wird gerade ein ‚Terminaler Krieg’ (Zeitkrieg), zwischen zwei sich feindlich gesinnter Superintelligenzen geführt? Sind wir darin nur Schachfiguren oder auch autonom Handelnde?“
Ein Begriff tauchte auf den Missionen der zwei Dutzend Atlantis- Teams in der Galaxis NGC 5023 immer wieder auf: die Dunkle Hierarchie (DH). Handelte es sich bei der DH um den Gegner, der von der negativen SI vielleicht beauftragt wurde gegen die Kämpfer für ES anzutreten? Welche Gruppen und Organisationen kämpften sonst noch für ES? Reginald Bull ahnte, dass in einem ‚Terminalen Krieg’ etliche Organisationen durch die Zeit getrennt gegeneinander kämpften.
Lavenia hatte Bull mal gefragt, was die Terraner unter ‚Dunkel’ und ‚Licht’ im Kampf gegensätzlicher Mächte verstanden. Bully hatte die Halbterranerin, die allerdings im arkonidischen adeligen Umfeld auf dem neuarkonidischen Planeten Gonzo aufwuchs, überrascht angeschaut.
„Lav, wir Terraner ordnen der Dunkelheit folgende Begriffe zu: Chaos, Unterdrückung, Versklavung und Brutalität auf dem Weg in die Dunkelheit. Dem ‚Licht’ ordnen wir die gegenteiligen Begriffe zu, wie: Ordnung, Freiheit, gleiche Chancen, Solidarität und möglichst Meidung von unnötiger Brutalität auf dem Weg zum Licht.
Unsere Philosophen und Religionsgründer erklärten uns bereits vor Jahrtausenden, dass ein ständiger Kampf zwischen dieser Dunkelheit und dem Licht stattfindet, das Universum wäre ein Kampf zweier polarer Attraktoren oder Seinszustände.“
Lavenia blickte Bull nickend an: „Reg, die arkonidischen ethischen Vorstellungen unterscheiden sich anscheinend in dieser Hinsicht nicht zu sehr von den Terranischen. Unsere ethischen Vorstellungen beruhen auf den Dagorprinzipien, die sich hauptsächlich um den Ausgleich gegensätzlicher Polaritäten drehen. Allerdings schließt dies eine äußerst pragmatische Handlungsweise mit sich ein, die tut was nötig ist, um ihre Ziele zu erreichen. Eine Option ist durchaus die Eroberungspolitik. Arkoniden wollen einen Ausgleich in einer ihnen gemäßen Ordnung in einer chaotischen Galaxis oder im Universum. Allerdings mit den Arkoniden als Patronatsrasse. Die Arkoniden sehen sich nämlich als von dem Vhrato, dem Lichtbringer, auserwählte Rasse. Unsere Degeneration wird zurzeit von den Großen Familien durch die genetische Einbindung der Altarkoniden aus dem Raumschiff der Ahnen oder wie bei der Familie de Colteroc mit der Einbindung von terranischen Genen konterkariert. In der Zukunft werden Neuarkoniden entstehen und die Degenerierten ersetzen, die immer mehr aussterben, weil sie ständig zeugungsunfähiger werden. Was allerdings daraus entstehen wird, ahnen nur unsere Sternengötter!“
„Wieso nur denke ich jetzt gerade an dieses Gespräch mit Lavenia?“ dachte Bull und blickte auf die neben ihm schlafende Wissenschaftlerin, die er bereits liebte, ohne es offen zuzugeben. Irgendwie ahnte der über Fünfhundertjährige Solarmarschall, dass es umgekehrt auch so sein musste… Er bekam allerdings keine Antwort vom Universum auf seine Frage, weil er gleich darauf ebenfalls einschlief.
Auf dem Gysera
Mit dem ersten Morgenlicht wurde Bully wach. Hatte er nicht eben einen Alptraum gehabt? Wie ein Morgenhauch entschwand er aus seinen Gedanken. Bull schüttelte sich kurz und konzentrierte sich auf die Gegenwart, nicht auf verlorene Träume…
Er packte kurz seinen Schlafsack auf der eingebauten Matratze zusammen und versuchte lautlos den morgendlichen Bannock zu machen, das war er gewohnt in Wildnis-Ausflügen. Allerdings spürte er den spöttischen Blick von Lavenia im Rücken. Er hatte sie wie üblich mit seinen nicht eben lautlosen Aktivitäten geweckt. Er war schließlich kein lautlos agierender Indianer. Lav kannte Bullys morgendliche Survival- Routine natürlich längst. Dies war die wohl zwölfte Mission in NGC 5023 mit Bully als Anführer. Auch die anderen regten sich, während Bully mit routinierten Griffen das Feuer wieder entfachte und die Pfanne herausholte. Auf einer Felsplatte legte er völlig konzentriert auf sein Vorhaben, die Zutaten aus dem Gepäck zurecht. Er vermengte auf dem flachen Felsen die Zutaten und gab das letzte gefilterte Wasser langsam dazu. Die Hauptzutaten, wie Mehl, Backpulver und Salz hatte er längst auf der Atlantis im richtigen Verhältnis gemischt und in Kunststoffbehälter an einer Vakuummaschine getütet. Jeder Missionsteilnehmer erhielt immer einen größeren Vakuumbeutel, so dass die Zutaten lange Missionstage reichen sollten. Dadurch ersparte man Zeit in der Wildnis.
Bully knetete den Teig solange bis sich eine feste Kugel bildete.
Der backende Solarmarschall achtete darauf, dass der Teig nicht zu trocken wurde. Wenn dieser Umstand eintreten wollte, gab er noch einen kleinen Spritzer Wasser dazu. Bully, als erfahrener Bannock-Bäcker, achtete strikt darauf, dass der Teig nicht an den Fingern klebte. Wenn dies geschah, gab Bully noch ein wenig Mehl in die Teigmasse. Im nächsten Schritt rollte er die Teigkugel in der Pfanne zu einem Fladen aus. Der Teig breitete sich dann etwa daumendick in der Pfanne aus. Nach etwa sechs Minuten wurde das Bannock-Brot knusprig gebacken und auf die andere Seite gewendet und es in etwa der gleichen Zeit und derselben Hitze zu Ende gebacken.
„Bully bitte passe auf, dass du auch alles richtig bäckst“, meinte Cari sarkastisch, der sich an dem morgendlichen Treiben kaum beteiligte, da die Missionskollegen ihn nicht ließen. Sie meinten er wäre zu penibel und ein Androide verstände zu wenig davon.
„Am besten, du übernimmst jetzt jeden Morgen, das Bannock backen, Cari“
„Wieso sollte ich“, meinte Cari spöttisch. „Ich bekomme von den beiden Pfannen, die du für alle bäckst ja sowieso nur einen kleinen Teil. Wenn ich die Bäckerei übernehmen würde, würdest du mir trotzdem nur einen kleinen Anteil zugestehen, Solarmarschall. Schließlich bin ich auch nur ein Mensch, aber du scheinst das immer wieder zu vergessen!“
Alles lachte und Bully achtete darauf, dass während des Backvorgangs, das Fladenbrot goldbraun gebacken und nicht zu dunkel wurde. Der Solarmarschall machte insgesamt soviel Fladenbrot, das es für alle reichte, wenn sie ihren Brotkonsum einschränkten. Wer noch Hunger hatte knabberte eben an einem Stück Trockenfleisch oder notfalls an einem Brocken Nahrungskonzentrat, welches man auch wie Schokolade essen konnte.
Wenn es eilte, griffen sie lediglich auf das Ellwen- oder ein vakuumverpacktes Raumfahrerbrot zurück. Bully bestrich sowohl das Reisebrot der Ellwen, das Raumfahrer oder sein eigenes Fladenbrot mit Pemmikan und ließ es sich zu einem USO-Standard-Kaffee schon am frühen Morgen schmecken.
Wenn es nicht allzu eilte, wurde dieses Morgenritual vom Missionsteam Reginald Bull ausgiebig gefrönt. „Soviel Zeit muss sein“, dachte Bully der das ‚La Dolce Vita’ auch auf Wildnistouren oft lebte und verdrückte den letzten Bissen Bannock.
Danach fuhren sie gestärkt und frohgemut den Gysera hinunter. Haldir erklärte ihnen, dass er einer der größten Flüsse auf Abjinos wäre. Die ersten drei Tage legten sie so etwa einhundert Kilometer zurück. Sie durchfuhren eine eintönige menschenleere Ebene, auf der sie kaum was sehen konnten, das sie interessierte. Auch Menschen siedelten nach dem Großen Sterben während des Zweiten Krieges gegen die Finsternis hier nicht mehr. Die Überlebenden konnten sich die besten Siedlungsplätze auf dem wieder fast entvölkerten Abjinos aussuchen. Trotzdem überlebten immer einige Exemplare jedes Volkes und hatten sich wieder vermehrt. Warum nur immer diese Entvölkerungen und Neuaufbaue? Nun die Erinnerungen der ältesten Völker, wie der Zeut-Ellwen, reichten 500.000 Abjinos-Jahre zurück. War es hier ähnlich wie draußen in der Galaxis NGC 5023? Ersetzten diese Kriege und die anschließenden Megasterben das Vitalenergie-Aussaugen der Hikons? Sorgte dieses spezielle interdimensionale Planetenumspannende Feld nicht nur für ein Nichtfunktionieren der Hochtechnik, sondern wirkte es auch als ein Feld, das den gleichen Effekt wie die Vitalenergieabsaugeinrichtungen der Hikons hatte? Saugte das Feld die Vitalenergie oder gar Bewusstseine der Sterbenden auf und konservierte sie für einen bestimmten Zweck? Bully erschrak über diese schrecklichen Gedanken, die ihn plötzlich plagten. Was zum Kuckuck war auf diesem Planeten los? Nur das jahrhundertlange mentale Training des Unsterblichen sorgte dafür, dass er rasch diese destruktiven Gedanken eliminierte und er seinen mentalen Block gegen was auch immer verstärkte.
Am Morgen des vierten Tages änderte sich die Landschaft. Der Gysera machte nun eine große Schleife und bog dann in ein hügliges Land hinein.
Haldir nannte die nördliche Biegung und die dortigen Hügel, die Brauen Lande. Nun fuhren sie durch hohe Schluchten. Die Hänge reichten bis dicht ans Wasser heran und ließen kaum eine Landung der Boote zu. Der Fluss machte einen neuen großen Bogen und das Wasser wurde reißender. Das hatte den Vorteil, dass sie schneller vorankamen und nicht mehr so viel paddeln mussten.
Haldir erklärte, dass sie weiter unten um einige Stromschnellen herumlaufen mussten, weil sie unpassierbar wären. Doch im Moment ging es noch, und so fuhren sie bis tief in die Nacht hinein, bis sie zu der südlichen Biegung kamen. Hier wurden die Hügel niedriger und sie konnten die Boote an Land ziehen und eine Ruhepause einlegen.
Bis hierher war die Fahrt gefahrlos verlaufen. Haldir versicherte ihnen, dass dies auch so bleiben würde bis zur Grenze von Gorlan. Doch ab da bestand dann die Gefahr von Derros überfallen zu werden. Derro waren hässlich aussehende mit einem schweineähnlichen Gesicht versehene, allerdings kompakte und kampfkräftige humanoide Kreaturen, die aus dem Dunklen Gebirge kamen und das Land von Ost Nacras verwüstet hatten. Sie bedrängten die letzten freien Gorlan- Menschen und vertrieben die Bewohner. Zwar patrouillierten die Ritter von Gorlan durch das Land, aber sie konnten nicht überall gleichzeitig sein.
Am anderen Tag erreichten sie ein neues Gebirge, das Mounir Dhal. Auch hier waren die Wände der Schluchten hoch und reichten oft bis ans Wasser. Erst bei den Unath, riesigen Statuen zweier Könige der alten Kadoren, den Vorfahren der Gorlaner, würden sie rasten können.
Hinter den Riesenstatuen lagen die Raurosfälle, die sie nicht befahren konnten. Hier würden sie die drei Boote nacheinander über die Nordtreppe nach unten tragen müssen.
Danach würde der Weg bis nach Thonor frei sein, und sie würden schließlich dichter bewohntes Gebiet erreichen, wie etwa die Pelennor-Felder, die unterhalb der Festung Gorlan lagen. Haldir erzählte viel von der Festungsstadt und die USO-Spezialisten konnten es kaum erwarten, sie mit eigenen Augen zu sehen.
[Anmerkung Autor: PP-Stichwörter: Dagor, Psioniker, Feuerfrauen, Raumschiff der Ahnen, Neuarkoniden, Gonzo]