Delta von Ägypten, Herbst 435 vor Christus
Bericht Atlan
Die Sonne stand ziemlich hoch. Doch ich hatte keine Mühe, die Mittaghitze zu ertragen, weil die ägyptische Luft infolge der doppelten Nähe zur Wüste und dem mächtigen Nil rein und trocken blieb. Dabei stellte ich fest, dass die Körperfeuchtigkeit auf angenehm kühle Weise verdunstete. Natürlich kannte ich diesen Umstand aufgrund meiner unzähligen Aufenthalte im alten Ägypten, seit den Zeiten von Menes, dem Begründer des Ersten oder Alten Reiches vor etwa zweitausendvierhundert Jahren.
Riancorus in der menschlichen Maske und der Paraprägung des ‚Philippos von Makedonien’, des Leibwächters von Jason und ich dösten unterhalb einer Segeltuchmarkise, die Mittschiffs und über den Eingang zum Unterdeck aufgespannt war, vor uns her. Über Philippos Aufenthalt wusste ich ebenfalls nichts. Nur dass er die Grundausbildung eines ‚Helfers’ oder Akolythen des Ordens des Lichts ebenfalls auf der Tabora abgelegt hatte. Diese Ausbildung bildete die niedrigste hierarchische Stufe innerhalb des OdL.
Wir trugen beide Tuniken aus leichter Baumwolle, die durch breite Gürtel gehalten wurden. An meinem handbreiten ledernen Band, das ich über meiner knappen Tunika, um die Schulter trug, hatte ein Subroboter in unserem Naukratis- Stützpunkt mehrere Geheimtaschen, gefüllt mit Goldmünzen, eingearbeitet.
Bekanntlich pflügte ein umfangreicher Subroboter, der eigentlich ein Mineralsuch- und Bearbeitungsrobot darstellte, den Meeresboden in der Nähe des Sockels der ehemaligen Insel Atlantis, zu der die Azoren gehörten, um. Diese Maschine verarbeitete die dabei entdeckten Rohstoffe. Dabei fielen regelmäßig auch Edelmetallanteile an. Im Laufe von Jahrtausenden wurden daraus große Mengen an Gold, Silber, Platin und aller benötigten Rohstoffen für den umfangreichen Kuppelstützpunkt. Rico konnte mich so bei meinen Exkursionen in der menschlichen Geschichte mit Gold, Silber und allem Nötigen problemlos ausstatten, zumal er in dem Stützpunkt ja noch eine multivariable Automatikfabrik zur Verfügung hatte. Diese nannte er ‚Werkstatt’. Eigentlich handelte es sich bei der ‚Werkstatt’ nur um den Experimentierbereich der automatisch arbeitenden von einer KI geleiteten Fabrik.
Jason weilte derzeit in der letzten Ausbildungsrunde zum Medjay auf der ‚Insel’ Tabora, die laut Rico eine inselförmige Raumzeitfalte im Hyperraum darstellte. Sie wurde von ES errichtet und diente offenbar als Ausbildungsstätte des ‚Orden des Lichts’ (OdL) in seiner Mächtigkeitsballung. Auf der ‚Insel’ gab es anscheinend unterschiedliche parallel existierende Zeitzonen. In einer von ihnen soll angeblich die Zeit hundertmal schneller im Vergleich zum Standardraum verlaufen. Wenn einer dort also 120 Monate lang ausgebildet wurde, vergingen im Standarduniversum nur 36 Tage. Um die lange Ausbildungszeit in dieser Zone auszugleichen, erhielt jeder auserwählte Adept mindestens eine Zelldusche, die auf der Tabora natürlich ebenfalls den Adepten zur Verfügung gestellt wird. Wenn der jeweilige Adept, zum ersten Grad eines ‚Medjay’ oder im zweiten Grad zu einem ‚Paladin’ ausgebildet wurde und im Einsatz für den Orden irgendwo im Machtbereich von ES- Galaxien tätig wurde, bekam er entsprechend seiner Erfolge und seiner daraus resultierenden Wichtigkeit für den Orden, weitere Zellduschen. Manchmal sogar Zellaktivatoren von der ‚Hierarchie des Lichts’ (HdL). Von dieser besaßen weder mein Extrasinn oder ich weitere Informationen.
Ob ich auf der Tabora ebenfalls zum Paladin des Ordens ausgebildet wurde, wusste ich ebenfalls nicht mehr. ES oder der Großmeister des Ordens, vielleicht sogar Rico, könnten mein Gedächtnis sicherlich parapsychisch oder im Falle von Rico mit Technik vom Wanderer jederzeit manipulieren.
„Das ist korrekt“, meldete sich endlich mein Extrasinn wispernd in meinem Kopf. „Auch ich würde es nicht bemerken. Gegen ES und dessen hochstufige Verbündete oder Wandertechnik wäre ich ebenfalls machtlos. Dies obwohl ich dein Unterbewusstsein, wie eine KI die Hard- und Software einer Positronik nutzen kann, würde ich das nie feststellen können. Tut mir Leid, Neb (ägyptischer Ausdruck für Herr) Paladin.
Moment Atlan. Mir sind eben neue Informationen verfügbar. Mit jeder Ausbildungsstufe zum Medjay, Paladin, Meister und Mentor geht jeweils eine parapsychische individuelle Ausstrahlung einher, welche psionisch oder mit entsprechender Technologie, als ‚Aura’ gemessen werden kann. Eine ‚Flamme des Urlichts’ existiert auf der Tabora und verleiht nach einer letzten erfolgreichen Prüfung dem Probanden die Licht-Aura.
Die Dunklen Assassinen und andere Adepten der Dunklen Bruderschaft (DB) können natürlich diese positiven Auren messen oder feststellen. Auch ich kann dies und natürlich gleichfalls die entsprechende Dunkle Auren der DB lesen. Ich kann dir dann diese Auren in entsprechende Empfindungen übermitteln oder es dir einfach wispern.“
Ein kurzes homerisches Gelächter gab der Extrasinn urplötzlich von sich. Wer bei den Hohen Mächten war mein Logiksektor wirklich? Hatten ihn Spezialisten auf der Tabora im Sinne des Licht- Ordens verändert oder gar ein winziges ES- Bewusstseinskorn darin installiert? Würde er mir mehr Hilfestellung im Kampf gegen die Dunkle Bruderschaft geben können, wenn ich es beispielsweise mit Dunklen Psioniker zu tun hatte? Und welche hierarchische Rolle spielte überhaupt ES im OdL?
Mein Zweitbewusstsein schwieg. Wieder meinte ich ein bestimmtes Gelächter zu hören, das ich nur zu gut kannte.
„Es ist sinnlos darüber nachzudenken!“, meinte ich gedanklich zu mir selbst und konzentrierte mich wieder auf meine Mission.
Im neuen bunkerähnlichen Stützpunkt mit einem Hangar in Naukratis, der unterhalb einer Brauerei lag, welche Henket für den Export produzierte und Dosenhenket für die Einsatzagenten des OdL und mir gehörte, lagerten natürlich auch genügend Gold und Silbermünzen. Wir unterhielten diesen Stützpunkt in Naukratis, seit meinen Abenteuern, um die Prophezeiung von Sais.
(Atlan X-Reihe – ab 540 vC).
D.h. wir erbauten ihn im Nachhinein in Naukratis, dem Zentrum des Handels und Kulturaustausches zwischen Ägypten und Hellas. Von hier aus konnte man rasch zu den Brennpunkten des beginnenden Hellenismus reisen, der wohl die nächsten Jahrhunderte am Mittleren Meer kulturell, technisch und wirtschaftlich bestimmen würde.
„Entschuldige, Atlan. Ich weiß nicht ob dir bewusst ist wer dieser Jason ist? Wenn nicht hier noch einige Fakten, die mir nun wieder zugänglich sind“, störte mich mein Logiksektor in meinen Gedanken:
„Als du vor sechsundfünfzig Jahren (491 BC) von Rico wohl im Auftrage des OdL geweckt wurdest, hattest du bekanntlich gleich eine Affäre mit Helena einer halbhellenischen, halb ägyptischen Priesterin in einem Ptah- Tempel in Heliopolis. Diese gebar dann ein Jahr später einen Sohn von dir, Achaios. Da du nach der erfolgreichen Mission gleich wieder in die Azorenkuppel gingst, wurde dein noch ungeborener Sohn dann offiziell in der neuen Familie der Helena aufgenommen. Sie verließ bekanntlich den Tempel, nachdem sie eine Affäre mit dir hatte. Die Priester verwiesen sie praktisch vom Tempel. Helena heiratete dann den aristokratischen Periander aus Aigina, der sich zu dieser Zeit in Ägypten auf einer Bildungsreise befand. Helena gelang es ihm deinen Sohn Periander ‚unterzujubeln’.
Fünfzehn Jahre später (475 BC) starb Helena, die natürlich auch einen ägyptischen Namen besaß, durch einen Anschlag der Dunklen Bruderschaft. Der reiche Ehemann Periander von Aigina suchte vergeblich den Attentäter seiner geliebten Frau und dessen Auftraggeber.
Zehn Jahre später (465 BC) gebar die neue adelige ägyptische Frau von Achaios namens Nefertiri ihren gemeinsamen Sohn Jason. Er ist also dein Enkel, Atlan.
Diese Nefertiri gehörte zu der königlichen Familie von Sais. Ebenso wie deine ehemalige Geliebte Helena. Inaros II, der vor vierundzwanzig Jahren (459 BC) im Kampf gegen die Perser gescheiterte Gegenpharao war beispielsweise ein Cousin von Nefertiri und ein Halbbruder von Helena alias Ptah-Tiri.
Vor neunzehn Jahren (454 BC) starben auch Achaios und Nefertiri gemeinsam bei einem Anschlag der Dunklen Bruderschaft, die ihren lokalen Sitz im Mittelmeer in Naukratis und in Heliopolis hatten, wie die Agenten des OdL inzwischen herausgefunden haben. Wieso die Dunkle Bruderschaft, die Nachkommen von dir verfolgten und umbrachten, konnten die OdL-Medjay inzwischen klären. Weil du Atlan eben als ein Paladin von ES und der Organisation des OdL agierst und Jason bald weiter als fähiger Medjay des OdL tätig sein wird. Das haben unsere Feinde inzwischen herausgefunden.
Jason lebte bis vor zwölf Jahren im Hause seines angeblichen Großvaters Periander auf der Insel Aigina im saronischen Golf. Periander meinte allerdings dass Achaios sein Sohn gewesen wäre und Jason sein Enkel.
Vor zwölf Jahren (447 BC) erhielt Jason die Erbschaft eines verstorbenen angeblichen Verwandten aus Sizilien. Da Rico natürlich über deine Nachkommen, Atlan, genauestens Bescheid wusste, machte er Jason diese finanzielle Schenkung aus deinem gigantischen Kuppelschatz. Auch deinem ermordeten Sohn Achaios machte er seinerzeits eine Geldschenkung, die dessen Unabhängigkeit begründete.
Drei Jahre lang verwickelte sich Jason in Bandenkämpfe in Attika mit der Aristokratenpartei. Er kämpfte für die Demokraten
Danach folgte die fünfjährige (443-438 BC) Verbannung von Jason aus dem Bereich des Attischen Reiches.
In dieser Zeit machte Jason seine Weltreise und den ersten Teil seiner Ausbildung auf der OdL ‚Insel’ Tabora, zum Medjay.
In den folgenden drei Jahren (438-435 BC) agierte Jason als Agent für die ‚Eulen’. Diese kämpfen bekanntlich für Perikles ‚Attisches Reich’ und dessen Ideale. Die ‚Eulen’ sind in Wirklichkeit eine irdische Unterorganisation des Ordens des Lichts (OdL) und dienen den Medjay dazu ihre ersten praktischen Erfahrungen auf der Erde zu sammeln. Im Ordensbereich der Mächtigkeitsballung von ES ist die Erde aus mir noch unbekannten Gründen äußerst wichtig. Irgendwann werden die Informationen darüber in mir sicherlich freigegeben. Dann wenn wir sie benötigen.
Jason wird bald als ‚echter’ OdL-Medjay zurückkehren und für den Orden Missionen durchführen.“
Nun dass Jason mein Enkel ist vermutete ich bereits. Im Moment berührte mich diese Tatsache noch nicht sehr, weil ich natürlich unzählige Nachkommen in den letzten Jahrtausenden auf der Erde hatte. Allerdings schien Jason etwas Besonderes darzustellen, sonst hätte ihn nicht der Wächterorden des Lichts für sich gekrallt. Wenn ich ihn persönlich traf, würde sich meine Gefühlslage sicherlich rasch ändern.
Jetzt musste ich mich allerdings auf meine Mission konzentrieren.
Mein Rucksack, gespickt mit Außen- und Innentaschen, klemmte zwischen meinen Füßen. Den Pfeilköcher samt Hornbogen hatte ich an dem Gepäckstück befestigt. Ein Langdolch an meinem Gürtel vervollständigte meine waffentechnische Ausrüstung.
Philippos alias Rico trug in seiner Rückenscheide das Furcht erregende riesige nordische Breitschwert. Ich wusste, dass er darin einige technische Gimmicks eingebaut hatte, die wohl auf funktionierten, wenn einer dieser verdammten Hyperstürme wieder einmal die 5D-Technik lahm legte. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass es mindestens zwei Ricos gab. Einer zuständig für den Kuppelstützpunkt und damit für meine Missionen in der Erdgeschichte, um die verdammten Barbaren kulturell und technisch endlich voranzubringen. Dann könnte es einen viel weiter entwickelten Rico geben, der mir bei Missionen für den Lichtorden zur Verfügung stand. Wahrscheinlich hatte ‚dieser’ Rico irgendeine hierarchische Ausbildung im Gefüge des Orden.
„Es könnte allerdings auch ganz anders sein“, spöttelte der Extrasinn in meinen Ohren.
Nun, denn! Wir hatten uns nur einen Tag und eine Nacht in der internationalen Hafenstadt Naukratis aufgehalten und unseren Stützpunkt kurz konsultiert.
Anschließend waren wir dann mit der nächsten Flussbarke in Richtung Heliopolis abgefahren.
Unser kurzer Aufenthalt in der quirligen Stadt hatte doch ausgereicht, um einen Barbier aufzusuchen und uns Kurzfrisuren, zuzulegen. Mein langes Haar war ein Opfer des warmen Klimas geworden. Zwischenzeitlich bräunte unsere Haut tief und man konnte uns für griechische Söldner halten, die privat unterwegs waren. Dafür sprach auch unsere Kampfausrüstung. Die Leute hielten vor allem wegen dem großen makedonischen Barbaren –den Riancorus immer noch perfekt verkörperte - Abstand zu uns. Meine Hypnoschulung- Konditionierung auf den griechischen Abenteurer, meinem Enkel ‚Jason von Achernai’ funktionierte noch immer. Kein Grieche, Perser oder Ägypter, würden Riancorus oder mich nicht für ‚echt’ befinden. Wir spielten unsere neue zeitweilige Identität perfekt. Dafür sorgte auch die Psycho-Konditionierung. Sie sorgte auch dafür, dass ich mich oft mehr als Jason statt Atlan ansah.
„Wanderertechnik macht Vieles möglich!“ erinnerte mich mein Extrasinn.
„Wem sagst du das?“ dachte ich.
Bei der Nil-Barke handelte es sich um ein langes, schnittiges Boot aus verstärkten, fest miteinander verflochtenen Schilfrohren. Sie besaß einen Mast und an jeder Seite fünf Ruderer, deren bis auf einen Lendenschurz nackte Körper, das Schiff mithilfe des Nordwinds, rasch gegen die Strömung voranbrachten. Ihre Muskelbepackten Körper glänzten vor Schweiß und Öl. Entsprechend rochen sie, aber daran gewöhnten wir uns in diesem Klima.
Das Segel knatterte im auffrischenden Nordwest und ließ mich einen Blick auf das Leinentuch werfen.
Der hohe Bug des Bootes hatten die Schiffsbauer einem Ibiskopf nachempfunden. Im Heck saß der Steuermann, beide Hände am Ruder. Mittschiffs hatten die Barkenbetreiber die bereits erwähnte Markise angebracht, unter der mehrere Kissen lagen, auf denen die Passagiere ruhten. Im Frachtdeck wurden vor allem Metalle mitgeführt.
Sie gehörten den beiden tyrischen Händlern, die den Frachtraum der Barke gemietet hatten. Offenbar waren sie froh gewesen, dass auch wir das Boot betreten hatten, denn sie hielten uns für wehrhafte Söldner in persischen Diensten. In diesen unsicheren Zeiten, in denen immer wieder Räuber und Rebellen die Frachtschiffe und Karawanen überfielen, sah man positiv gewillte bewaffnete Passagiere immer gern.
Nur unwillig, um unsere Maske aufrecht zu erhalten, hatten wir uns in persischer Sprache unterhalten.
Es war ein belangloses Gespräch gewesen. Rasch hatten die hakennasigen Händler mitbekommen, dass wir an keinem wirklichen Gespräch interessiert waren. Sie setzten darauf ihre Konversation in der punischen Sprache fort. Immer wieder warfen sie Philippos gespannte Blicke zu.
Wir konzentrierten uns auch viel lieber auf die Landschaft, als uns mit den Puniern über Belangloses zu unterhalten. Wir Hellenen hassten dieses Volk, das uns im Handel und auch militärisch arg Konkurrenz machte.
„Du fühlst dich inzwischen zu wohl in deiner hellenischen Rolle, Arkonide.“
Das stimmte, trotzdem vergaß ich nie wer Philippos oder Jason wirklich waren.
Beim Delta handelte es sich um ein riesiges Dreieck mit mehr als einem halben Dutzend Nilmündungsarmen.
Eben durchfuhren wir ein etwa vier Schritte hohes Papyrus-Schilfdickicht, das links und rechts des Nilarmes wucherte.
Einer der Punier sprach mich wegen der Nützlichkeit des Papyrus an und ich tat so, als wäre ich ihm dankbar für seine ‚Belehrungen’.
Nach dem Gespräch konzentrierte ich mich auf das Land, das ich bereits mehr als drei Jahrtausende lang kannte und liebte.
Ständig flatterten Sumpfvögel auf, als die Barke im platschenden Schlag der Ruderer vorbei glitt. Riesige honiggelbe Schmetterlinge gaukelten über das Boot hinweg.
Einige Papyrusnachen mit Jägern näherten sich dem Schilfgebiet. Sie würden keine Probleme haben mit reicher Beute heimzukehren. Sie fingen die Vögel mit großen Netzen.
Auch sonst fand der Unterägypter kein größeres Vergnügen, als mit einem kleinen Boot auf Sumpfjagd oder Fischfang, zu gehen. Neben dem persönlichen Vergnügen sprang dabei etwas Praktisches für den Abendtisch heraus.
Insgesamt war das Delta ein flaches, grünes Land, das von der Sonne durchflutet wurde.
Das Wasser des Nils oder des Hapi, wie der Fluss von den Ägyptern genannt wurde, wirkte grau und an manchen Stellen, dick wie Sirup. Es floss rasch dahin und blieb trotzdem ruhig.
Nun tauchten wieder links und rechts überflutete Felder auf. Nur noch die Dämme, die in die Äcker abgingen, konnten wir sehen. Wir befuhren den Strom zur Zeit der Überschwemmung. Aber die Wässer überfluteten dieses Jahr das Land viel zu niedrig. In Oberägypten würden große Teile, die auf den Schlick angewiesenen Felder nicht bewässert werden können. Eine Hungersnot drohte, ja konnte eigentlich nicht mehr abgewendet werden.
Der Verkehr auf dem Nilarm nahm zu. Schwerbeladene Boote kamen uns entgegen. Sie brachten ihre Erzeugnisse nach Naukratis.
Fischer fingen in Reusen und mit langen Pfeilen, Hechte, Katzenfische, Welse, Buntbarsche und Karpfen, aus dem halb ertrunkenen Schilf, das trotzdem vor Leben barst. Neben den Fischen erkannte ich Enten, Gänse, Zugvögel und hörte das Zirpen von Zikaden, Grillen und Fröschen. Im Nordwestwind sirrten und summten Insekten in großen Schwärmen, die Mensch und Vieh belästigten.
Landstreifen mit Tamarisken und Obstbäumen glitten immer öfters vorbei. Nicht überflutete Wiesen, auf denen Rinderherden, Schafe und Ziegen weideten, nahmen die Aufmerksamkeit des Betrachters in Anspruch, denn sie hatten um diese Zeit einen ausgesprochenen Seltenheitswert.
Demgegenüber tauchen weiter stromaufwärts Kuppen mit malerischen Dörfern aus der Flut auf. Sie sahen aus wie Inseln, in einem zum See gewordenen Delta. In langen Stangenreihen rankten Weinreben, die von den Früchten überquollen, auf den Höhen, rund um die Siedlungen aus den Fluten. Vor allem Kinder waren mit der Ernte beschäftigt.
Der Nordwestwind ließ nach. Fast bewegungslos standen die Rauchsäulen der Herdfeuer in der Luft.
Ein größerer Fahrdamm tauchte aus den Fluten auf. Die Deichbauer hatten ihn sanft gerundet und Gräser wurzelten in ihm. Arbeiter begossen diese Schutzschicht der Oberfläche mit Flusswasser. Andere Männer und Frauen waren damit beschäftigt in feuchten Gräben Schilf anzupflanzen. Normalerweise Arbeiten, die vor der Flut zu erledigen waren, aber die hohe und reißende Strömung des Hochwassers blieb aus. Die Anpflanzungen sollten die Wucht der Strömung brechen, aber dies war in diesem Jahr nicht nötig, so niedrig kam die Flut aus den Bergen von Abessinien, wie Rico und ich längst Dank Satellitentechnik wussten.
Von dieser Hochebene holten wir auch eine braune Frucht, die wir für unseren arkonidischen Kamana (wilde Kaffeebohne) benutzten. Rico verfeinerte die Bohne zu Kamana und einem Gemisch aus irdischem Kamana und aufgeschäumter Milch.
(Anmerkung Autor: Atlan konnte damals natürlich noch nichts von Cappuccino wissen
)
Dattelpalmen umsäumten die Dämme.
Das bebaute Land wurde immer umfangreicher und mit ihm weite Felder, Kanäle und Dämme. An manchen Stellen schaute noch das Land heraus, ein schlechtes Zeichen.
Auf einem überschwemmungssicheren Plateau erhoben sich weiße Mauern, die nicht die Größe von Memphis oder von Naukratis besaßen. Trotzdem wirkten sie im blendenden Licht der Sonne imposant.
On!
Jene Stadt, die sich gemäß der ägyptischen Mythologie, als Erste aus der Großen Flut wieder erhoben hatte.
Die Hellenen nannten die Stadt Heliopolis, nach dem Sonnengott Helios. Die Stadt des Lichts, lag unter dem Zepter des Ré. Vergessen wurde, dass die Siedlung ursprünglich unter dem Zeichen des Lichtgottes Aton gegründet wurde.
Ich war plötzlich hellwach. Auch Rico alias ‚Philippos’ hob angespannt und wachsam seinen Kopf. Irgendwie hatte ich das Vorempfinden, dass der Orden des Licht und sein Widerpart die Dunkle Bruderschaft diese Stadt des Lichtes nutzten. Mein Extrasinn hatte mir vorhin mitgeteilt, dass in der Stadt die DB sogar ein geheimes wichtiges Zentrum unterhielt. Damit konnten wir uns auf irgendetwas Negatives gefasst machen. Rico blickte mich wortlos an. Er besaß wohl ähnliche Befürchtungen. Wahrscheinlich wusste er mehr darüber, was die beiden Organisationen dort wirklich trieben.