Die Barke fuhr gemächlich auf den Kai vor den Mauern zu. An den Ufern herrschte reger Betrieb. Priester und Priesterinnen, eines offensichtlich kleinen Tempels stellten sich zu einem Zug auf. Sie hoben ihre Klappern, Flöten, Kuhhörner, Zimbeln und Tamburine und machten damit Krach.
In der Zwischenzeit legte unser Papyrusboot am Kai direkt vor den Priestern mit ihrer Veranstaltung an.
Ich stand auf und schulterte meinen schweren Rucksack. Rico folgte meinem Beispiel, sein Gepäck bestand aus einem schlichten allerdings riesigen Seesack. Riancorus in der Maske des Makedoniers ‚Philippos’ rückte sein Rückenscheid mit dem riesigen Schwert zurecht.
Dann verließen wir die Barke. Zwischen uns bedurfte es keiner Worte.
Die Menschen machten uns respektvoll Platz. Vor allem ein riesiger schwer bewaffneter ‚Barbar’ stellte eine potenzielle Gefahr dar, also ging man uns aus dem Weg.
Ich blieb stehen und begaffte neugierig den Umzug. ‚Philippos’ folgten sofort meinem Beispiel.
Leicht begleitete weibliche und männliche Tänzer umkreisten in einem sich steigernden Rhythmus einen Heiligen Schrein, der irgendeinem Gott gewidmet war. Offenbar sah sich die Priesterschaft veranlasst für ihren Kult zu werben. Überall galt wohl, dass Rasseln zum Handwerk gehört!
„Komm Philippos!“ Wir verließen den Hafenbereich mit seinem Kai, den Gasthäusern, Lagerschuppen und Bordellen.
Wir hatten als OdL- Agenten einen Anlaufpunkt in der Stadt.
An dem Westtor wurde wir von den Wachen: einem Offizier und drei Soldaten, aufgehalten.
Der drahtige hoch gewachsene Hauptmann, trug eine Lederkappe, halbhohe Lederstiefel und einen Kriegsrock mit Bronzeschnallen. Über seiner nackten Brust verliefen zwei breite Ledergurte. Sein Gesicht hatte das Wetter gegerbt, die Wangen eingefallen, die Augen wirkten verkniffen, was von dem ständigen grellen Sonnenlicht herrührte. Der muskulöse Oberkörper war mit Narben übersät. Er trug kunstvolle Kupferarmbänder und sein Gürtel verzierten Silberplättchen. In einem verzierten Scheid steckte ein mittellanges Schwert. Seine Männer kleideten sich ähnlich, allerdings nicht so reich geschmückt. Sie hielten im Gegensatz zu ihrem Offizier Schild und Speer in den Händen.
„Seid ihr privat unterwegs?“ wurden wir in holpriger persischer Sprache und hellenischen Akzent vom Hauptmann gefragt.
„Ja, im Moment sind wir ohne Anstellung und möchte die Gelegenheit für Studien benutzen.“
Die vier Wächter blickten uns neugierig und gleichzeitig verständnislos an, als wir unser Vorhaben bekundeten.
„Du sprichst mit einem hellenischen Akzent“, meinte er und blickte mich gespannt an.
„Richtig. Ich wuchs in Salamis auf“, log ich ohne schlechtes Gewissen. Viele Hellenen aus dieser Stadt arbeiteten inzwischen freiwillig für das persische Weltreich. Es gab dort mehr als in der kargen Heimat zu verdienen. Unzählige Griechen arbeiteten inzwischen als Söldner in persischen Diensten. Die Gold-Dareiken flossen in diesem Beruf reichlich.
„Verstehe, ich stamme übrigens aus Kition auf Cypros. Wir Hellenen haben es in dieser punischen Stadt nicht leicht und wandern deshalb in Scharen aus!“ Ich nickte verständnisvoll.
„Du bist Bogenschütze?“
„Darauf kannst du wetten!“
„Nun, wir suchen ständig gute Krieger.“
„Später. Ich habe in Heliopolis einen Schwur zu erfüllen. Einige Wochen Pause tun mir gut.“
„Natürlich. Wenn, deine hm, spirituelle Zeit vorbei ist, dann melde dich bei mir. Ein außergewöhnlicher Partner, dein Barbar. Ein Makedonier?“ Ich nickte. Die Makedonier galten bei ‚echten’ Hellenen als Barbaren, obwohl sie sich selbst als einen griechischen Stamm ansahen. Die übrigen Hellenen bezweifelten das sehr, zumal wir ihr ‚griechisch’ kaum verstanden. Eigentlich handelte es sich um eine thrakisch-griechische Mischsprache. Ob sich die bäuerlichen Makedonen je veränderten? Sie galten immerhin als tapfere Krieger, wenn sie ihre Hütten verließen. Bildete man sie zu Hopliten aus, übertrafen sie meist normale hellenische Hopliten an Kampfkraft und Ausdauer.
„Ich kaufte ihn einst als Sklave. Er war karthagoscher Gladiator. Inzwischen ist er längst ein freier Mann und dient mir freiwillig.“
Der Offizier nickte und blickte den ‚Barbaren’ respektvoll an. Seine Männer folgten seinem Beispiel.
„Mein Name ist Aios.“
„Freut mich, ich bin Jason!“ Wir fassten uns an den Handgelenken.
„Ein seltener Name, heutzutage.“
„Stimmt, die Zeit der achäischen Helden ist vorbei!“ bestätigte ich grinsend, „und trotzdem immer noch legendär.“ Wir grinsten uns wissend an. Griechen waren immer stolz auf ihre Legenden, selbst wenn sie für die Perser arbeiteten.
„Hm, wie wäre es, mit einer kleinen Kostprobe, deiner Schießkunst? Dort auf der Holzrückwand des Schuppens ist eine Blume gezeichnet. Wir benutzen sie oft als Zielscheibe.“
„Von mir aus!“
Mit einer routinierten Bewegung nahm ich blitzschnell den Bogen vom Rucksack und einen Pfeil aus dem Köcher. Das Auflegen und Ziel anpeilen vollzog sich in einer einzigen fließenden Bewegung. Drei Pfeile wurden mit einer unglaublichen Geschwindigkeit in das Ziel etwa fünfzig Schritte entfernt, gejagt. Sie lagen nur einen halben Finger von einander entfernt. Ich hätte sie auch in das gleiche Loch schießen können, aber zu auffällig wollte ich meine Dagor- Bogenkunst nicht demonstrieren.
Trotzdem reichte die Vorführung aus, um ihre Münder offen stehen zu lassen.
Philippos klatschte zustimmend, ganz wie es ein ‚Klient’ zu tun hatte, wenn sein ‚Patron’ eine Glanzleistung zeigte.
„Hervorragend, wie der OdL- Androide den makedonischen Barbaren spielt!“ lobte mein Extrasinn mit wispernder Stimme in meinen Ohren.
Riancorus spielte seine Rolle wirklich hervorragend.
Nach einigen Augenblicken der Stille, die ich nutzte, um den Bogen wieder an den Platz am Rucksack zu befestigen, blickte mich Aios nachdenklich an.
„Du bist ein Meisterschütze! Vergleichbares habe ich nur ein, zweimal gesehen. Du wärst uns mehr als willkommen!“
„Nach meiner spirituellen Auszeit!“
„Gut, sobald du deinen Schwur erfüllt hast, kannst du dich jederzeit bei mir melden. Ich bin zurzeit für die Sicherheit der Mauern in Heliopolis verantwortlich. Wenn ich allerdings einen Schützen wie dich anheure, dann können wir bald nach Naukratis oder Nomos Kanopos verlegt werden. Natürlich mit höheren Gehalt.“ Er grinste, als er das sagte.
„Ich denke daran, Aios!
Wir nickten uns zu und ich verabschiedete mich auch von Aios drei Männern durch ein kurzes freundliches Lächeln. Es schadete nie zu lächeln. Sie blickten uns mit einer Mischung aus Respekt und Furcht nach. Der Mann mit dem schnellen und sicheren Bogen und dem großen Barbaren mit dem riesigen Breitschwert kamen ihnen nicht ganz geheuer vor. Vielleicht sagte ihnen auch ihr Instinkt, dass wir mehr waren, als wir vorgaben zu sein. Ihr Hauptmann würde das gleiche vermuten. Ich hatte es am nachdenklichen Blick von Aios gesehen.
Wir durchschritten etwas nachdenklich das Stadttor.
Die Hauptstraße wurde von eleganten Wohnhäusern, Geschäften und Tempeln, die nur mit der Stirnseite auf die Straße zeigten, gesäumt. Immer wieder unterbrachen Palmen, die Ordnung der Allee. Hochbeladene Fuhrwerke von Schulterschaukelnden Ochsen gezogen, knirschten vorbei. Links konnten wir die Front mit dem Vorhof und den gewaltigen Pylonen des Rè-Tempels erkennen. Eine ganze Schlange von Gläubigen hatte sich davor versammelt und begehrte Einlass. Ihnen standen nur bestimmte Bereiche der Gesamtanlage zur Verfügung. Aber die Priester verlangten ‚Geschenke‘, um sie hereinzulassen. Für sie handelte es sich um ein großes Geschäft. Immerhin hatten die persischen Eroberer darauf verzichtet, die Tempelbibliotheken zu vernichten, sie waren die best Ausgestatteten im Großreich der Asiaten. In den Papyrusrollen und Tontafeln der Tempel lag das Wissen eines uralten Volkes. So etwas vernichteten die Sieger nicht.
„An diesem ‚Wissen’ hast du nicht unerheblich mitgewirkt“, wisperte der Extrasinn in meinen Ohren. „Ich habe mir in meiner erweiterten Form, einen Namen zugelegt, Erhabener.“ Das letzte Wort kam spöttisch.
„Ich nenne mich jetzt das ‚Para’“, kam es spöttisch und ging in ein kurzes homerisches Gelächter über. Das ‚Gefäß’ meines Kopfes wirkte dabei wie ein hallender Klangkörper.
„Verflucht“, dachte ich. „Hat sich in dich jetzt wirklich ein paramentales bewusstes Samenkorn von ES gesenkt, wie ich schon eine Weile vermute?“
„Das wüsste ich aber. Im Übrigen kümmere dich um das Außen und damit um deine Mission.“
Das tat ich zähneknirschend und ärgerte mich nicht zum ersten Mal über die unglaubliche Macht, welche ES oder der Orden auf ihre Agenten ausübten. Das machten selbst Superinteliigenzen oder Organisationen, die vorgeblich im Licht wandelten.
Verhältnismäßig wenigen Menschen begegneten wir zur Mittagshitze. Man ging langsam, möglichst rasch in die schattigen, kühlen und schmalen Quergassen hinein, oder verkroch sich vor der Hitze in den wesentlich kühleren Häusern aus Lehmziegeln oder in die Säulenhassen, in denen Händler ihre Waren auch um die heiße Tageszeit anboten.
Die fensterlosen Häuser oder deren kleine schmale Öffnungen lagen hoch oben an den Wänden. Aber immerhin konnte so frische Luft und ein wenig Licht in die meist hohen Gebäude kommen.
Nicht einmal die Wasserverkäufer gingen in der Mittagshitze ihrem marktschreierischen Gewerbe nach. Mein Mund fühlte sich längst wieder trocken an. Ein kurzer Blick auf Philippos bestätigte mir, dass wir so schnell wie möglich Wasser besorgen mussten. Auch seine von morphogenetisch aktiven Bionaniten erzeugte und deshalb jederzeit veränderbare fleischliche Hülle bedurfte des Nasses.
Wir erreichten einen Platz, an dem ein Brunnen stand. Mehrere Passanten labten sich an dem köstlichen Nass, aber als wir den Platz erreichten, suchten sie rasch das Weite.
Philippos zuckte mit den Schultern, grinste über die Furcht der Einheimischen und schöpfte mit den Handflächen aus dem Trog einige Schlucke Wasser und ich folgte seinem Beispiel. Wir löschten unseren Durst auf diese Art nur langsam. Aber jeder Schluck zeigte sich als ein wahrer Labsal für unsere ausgetrockneten Körper.
„Lass uns eine Herberge suchen.“
„Das ist kein Problem. Ich habe die Adresse eines Helfers oder Akolythen des Lux Filii Dei, der in On eine hervorragend sortierte private Buchhandlung betreibt und auch Unterkünfte an Ordensmitglieder gegen Silber vermietet“, informierte mich Rico.
„Lux Filii Dei ist das nicht ein Ausdruck der italischen Hochsprache, die sich rund um diesen aggressiven latinischen Stadtstaat Rom auf der italischen Halbinsel herausbildet?“ fragte ich mäßig interessiert.
„Exakt, wir im Orden nennen diese Sprache Latein. Sie wird in zweihundert Jahren für mehr als zweitausend Jahren die führende Bildungs- und Wissenschaftssprache auf Larsaf III werden“, meinte Phillipos alias Rico locker.
„Seit wann besitzt der Orden hellseherische Potentiale? Psionische Fähigkeiten dieser Art sind äußerst selten und nicht sehr konkret“, spottete ich.
„Da du dieses Wissen vom Orden sowieso wieder vergisst, kann ich dir diese Informationen ruhig geben. Es existiert nur solange, wie du es für die Mission benötigst, Deine Andeutungen sind durchaus richtig. Es gibt zwei Ricos. Der eine ist der hoch entwickelte Roboter, welcher dich in deinen Missionen, als Hüter der Menschheit begleitet und für den Kuppelstützpunkt zuständig ist. Der andere bin ich, ein Biodroide aus den Werkstätten vom Wanderer. Mein KI-Kern war zum Zeitpunkt, hm, meiner ‚Zeugung’ eine Kopie von dem damaligen Rico. Dieser KI-Kern eignete sich hervorragend als Ausgangspunkt meines Bewusstseins. Er war auch speziell auf dich ausgerichtet.
Ich besitze zudem Morphingfähigkeiten, dank hoch entwickelter biologischer Naniten in mir. Aber das weißt du ja bereits. Und ja, ich bin ein Eingeweihter des Ordens. In der Hierarchie des Lux Filii Dei nehme ich inzwischen die Position eines ‚Mentors’ ein. Ich bin dir also hierarchisch übergeordnet. Dank deines phänomenalen Überlebenspotentials und deiner Kampferfahrung nehme ich allerdings deine Missionsanweisungen klaglos hin.“
Der OdL- Rico kicherte als er das sagte. „Nun zu deiner Frage, wieso der OdL weiß, wie sich die Menschheit auf Larsaf III in den nächsten fünftausend Jahren entwickelt. Als Großmeister des Ordens fungiert natürlich ES innerhalb seiner Mächtigkeitsballung. ES besitzt in sich offenbar einen Chronisten, der sich innerhalb einer Zeitschleife bewegt. ES verfügt damit über alle Informationen hinsichtlich der nächsten fünftausend Jahre was seine Mächtigkeitsballung angeht. Er stellt uns daraus Häppchenweise nur kurzfristig existierende Informationen zur Verfügung. Auch das zeitweilige Wissen darüber, welcher Staat, die nächsten tausend Jahre und kulturell noch ein Jahrtausend länger vorherrschen wird. Rom wird sich zum größten kulturellen und militärischen Imperium in der bekannten Geschichte von Larsaf III entwickeln.“
„Schwer vorstellbar“, meinte ich, „aber es spielt ja sowieso keine Rolle wieso, denn ich werde diese Information in absehbarer Zeit wieder vergessen.“
„Stimmt, nach Ende dieser Mission“, grinste Rico. „Folge mir, bitte.“
Er sagte es und ging voraus. Ich folgte ihm etwas grollend. „Verfluchte Geheimniskrämerei dieser Organisationen. Egal ob vom Licht oder der Dunkelheit!“
Das ‚Para’ lachte kurz homerisch in meinem Bewusstsein. „Was für ein junger Narr du immer noch bist!“ spottete es wispernd in meinen Ohren.
Ich setzte mich langsam in Bewegung, „Junger Narr, …verfluchte SI’s“, grollte ich gedanklich, was das Gelächter in meinem Kopf noch einen Moment verlängerte.
Wir tauchten in ein Gewirr aus Gassen, Ständen, Kiosken und Läden hinein. Hier wimmelte es von Menschen. Ein Gemisch aus Gerüchen, Dampf und Rauch von den Kochstellen, umwehte uns rasch. Im Schatten des Irrgartens aus Lehmziegelmauern, versuchten wir den Weg in den engen Gassen hindurch zu finden. Man machte uns respektvoll Platz. Nicht einmal Taschendiebe wagten sich heran, als der ‚Barbar’ zwei, dreimal die Menschen anfauchte, die uns zu Nahe kamen
Was mir an diesem Markt auffiel, war die große Zahl an Läden und Kioske, die Papyrusbögen, aber auch fertige Bücher anboten. Am liebsten hätte ich tagelang darin herumgestöbert. Riancorus, der OdL-Name, des Wesens das sich mir als Rico nunmehr Rico II vorstellte, wohl noch mehr. Dessen wahre Heimat würde wohl die ‚Insel’ Tabora in der Raumzeitfalte des Lux Filii Dei sein. Angeblich gab es dort unterschiedlich verlaufende Zeitebenen. Das Bewusstsein von Rico II konnte demgemäß bereits für ihn reale Jahrtausende oder noch viel mehr in meiner ‚Standardzeit’ umfassen. Anders konnte ich mir auch nicht erklären, wieso Rico II bereits ‚Mentor’ im Orden sein konnte.
Ich konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass er eigentlich einen anderen Namen besaß, allerdings Dank seiner körperlichen Konstitution und deren Möglichkeiten sich gerne persönlich in Missionen einmischte. Der Großmeister ES der lokalen Ausrichtung des Ordens in seiner Mächtigkeitsballung akzeptierte diese Eigenart eines seiner wichtigsten Helfers wohl mit seinem ihm eigenen Humor…
Aber wir alle mussten unsere Rolle spielen. Die Suche nach Helena ließ uns wenig Zeit. Wir wussten, dass Ihr erstes Ziel Heliopolis gewesen sein könnte. Dass wusste ich aus ihrem Brief an Jason. Dieser Brief beinhaltete auch die Option, dass ihre ‚Entführung’ in Wirklichkeit eine Flucht aus Athen gewesen sein könnte. Anders ausgedrückt, eine Flucht von Theseus, ihrem Ehemann. Was war dies für ein Ungeheuer? Ein Dunkler aus der Bruderschaft? Griff diese Dunkle Bruderschaft nach Helena? Wollten sie die Frau zu einer der ihren machen? Sehr wahrscheinlich, sonst hätten sie sie längst getötet. Fragen über Fragen.
Ich fluchte leise in mich hinein. Diese Kämpfe der ‚Hohen Mächte’ untereinander. Und dabei wollten sie für uns ‚Niederen’ immer moralische Vorbilder sein. Ich fluchte stärker in mir und das ‚Para’ schwieg.
Immerhin ein Anlaufziel, den Apollotempel von On, hatten Philippos und ich.
Im Tempel wollte ich nicht unbedingt wohnen. Wir beide liebten die Unabhängigkeit, zumal in der Fremde.
An einem Stand kaufte ich zwei Wasserflaschen, die bequem an unserem Gürtel Platz fanden. Ich ließ mir die beiden Lederbehälter mit dem nassen Element füllen und gab Philippos eine der Flaschen, die er rasch an seinem Gürtel befestigte. Ich folgte seinem Beispiel. Die Sommerhitze in der überfüllten Stadt wurde um die Mittagszeit fast unerträglich. Vielleicht sollten wir oben ohne herumlaufen. Ich nestelte an meiner Tunika herum.
„Wir sollten das lassen Atlan. Ich schwitze lieber, als dass ich mich mit einem Sonnenbrand herumschlagen muss. Meine fleischliche Hülle verträgt die Sonne auch nicht so gut. Und meine Bio- Naniten möchte ich nicht unnötigerweise einsetzen“, flüsterte mir Riancorus zu. „Ich hasse Verschwendung und Unachtsamkeit“.
„Du hast Recht, Rico oder wie immer du wirklich heißt. Leiden wir eben!“
Der Biodroide ging weiter kommentarlos allerdings mit einem Grinsen in seinem perfekt ausgearbeiteten Gesicht voran. Irgendwann standen wir plötzlich vor einem hohen mehrstöckigen Haus. Im Unterstock hatten die Hausbesitzer einen kleinen Bücherladen untergebracht. Ich zögerte nicht lange und ging hinein. Riancorus folgte mir schweigend, In der kleinen Bibliothek entdeckten wir im Moment keinen weiteren Interessenten. Der Besitzer döste vor sich hin. Es handelte sich um einen typischen Ägypter: glatzköpfig, kleingewachsen, dunkle Augen. Der Bibliothekar trug eine knielange Tunika und sah auf, als er uns erblickte.
„Kann ich etwas für Sie tun, ihr Herren?“ fragte er schläfrig. Er blinzelte uns an. Seine Augen weideten sich plötzlich vor Überraschung.
„Tausend Jahre sind wie ein Tag, wenn man dem Lux Filii Dei angehört“, sagte er.
„Riancorus entgegnete: „Der Parthenon ist auch nicht an einem Tag erbaut worden“, und kurz darauf spöttisch: „Die Terraner werden ebenfalls eines Tages Kamana herstellen.“
Damit fielen die entsprechenden Stichwörter, die Eingeweihte des Ordens untereinander zur Erkennung austauschten. Kamana spielte für die Mitglieder die gleiche Rolle, wie später für die Terraner der verwandte Kaffee
„Was für ein skuriller Code“, dachte ich.
Wir erkannten uns allerdings vor allem an unseren Auren. Ich trug eine des Paladins, Rico die eines Mentoren und der Ägypter, die eines Akolythen. Wir konnten unsere Auren unbewusst erkennen.
„Haben Sie ein Zimmer für einige Tage, zu vermieten?“ fragte Rico. Der Akolyth des OdL musterte uns lange und nachdenklich.
„Eure Tarnung als reisende hellenische Söldner ist gut!“ Er grinste. Ich nickte und nestelte einige Goldmünzen aus einer meiner Gürteltaschen. Der Mann nahm sie schweigend entgegen, als wäre es eine Nebensächlichkeit. Er bot ja auch eine Serviceleistung.
„Wir wollen für einige Tage die Stadt bestaunen und haben hier eine Mission zu erfüllen.“
„Du bist ein Paladin und dein Begleiter ein Gelehrter des Ordens, in einer Tarnung als Leibwächter. Nicht schlecht. Wie kann ich Euch sonst noch helfen? Viele Gelehrte oder Schüler beider polaren Richtungen kommen nach Heliopolis. Die große Zahl an Tempel, Schulen und Bibliotheken machen aus On, eine einzige riesige Lehranstalt, sowohl für die Jünger der Dunkelheit, wie des Lichts. Die Stadt hat sich auf die unzähligen Pilger und Gelehrte eingestellt, die jährlich hierher kommen. Manche Wissbegierige bleiben Jahre, andere ihr Leben lang. Einige Tage? Gut Kein Problem.“
Plötzlich fühlte ich eine negative Ausstrahlung. Riancorus ging es wohl ähnlich, weil er mich warnend anstieß. Wir gingen in Habachtstellung.
Ein weiterer Kunde betrat den Raum. Seine scharfen raubtierartigen Blicke taten mir regelrecht weh. Automatisch fuhr meine rechte Hand zum Dolch, der natürlich noch einige technische OdL- Gimmicks besaß. Auch Riancorus nahm eine Habachtstellung ein.[/spoiler