OK, durch. Der nachfolgende Text enthält Spoiler, vor dem Lesen wird gewarnt
Nach dem dritten Polychora-Band möchte ich ein Buchzitat bringen, dass meine Gefühle zum Plot der drei Romane ziemlich genau beschreibt: "Ich will das alles nur hinter mir lassen. Will nichts mehr von Quantenmagie und Glitter sehen."
Das grundsätzliche Setting fand ich interessant. Eine in der Milchstraße gestrandete Arche mit verschiedensten Lebensräumen, Schattenvölkern, Zeitabläufen etc. (Btw. noch jemand, der hier sofort an einen Chaotender gedacht hat?). Was mich nicht fasziniert hat, war dieses Handwedel-Zauberzeugs, mit dem man (Schmidt) alles oder auch nichts erreichen konnte. Schon der Psi-Materie-Wunderstoff im letzten Perry-Zyklus war mir zuwider, und der Quantenkram hatte für mich exakt die gleiche Wirkung. Eigentlich hätte es ihn auch nicht gebraucht. Das Setting an sich wäre aus meiner Sicht für eine tolle Atlan-Geschichte gut gewesen. Der entfesselte Stoff, der eine ganze Galaxis bedroht bzw. entvölkert: Das ist etwas ganz anderes, aber diese Zaubermacht in den Händen von Individuen: Nicht meins.
Der Antagonist Schmidt reiht sich für meinen Geschmack nahtlos in die Reihe der eindimensionalen Schurken des Perryversums ein. Absolute Macht korrumpiert absolut, und Schmidt war von Anfang an kein Charakter, dem ich auch nur ein wenig Sympathie entgegen bringen konnte. Ich bin der Ansicht, ein "guter" Gegenspieler ist jemand, bei dem man immer auch sagen kann: Ein wenig hat er ja recht." Dieser Aspekt fehlt mir bei Schmidt vollständig, was die Lektüre von Polychora für mich stellenweise einfach nur ermüdend, langweilig machte. Da wir keine Leiche gesehen haben, fürchte ich bei ihm den berüchtigten Lok'Aurazin-Effekt. Himmel hilf.
Zum Glück gab es auch positive Aspekte der Trilogie, und das nicht zu knapp. Der Wanderer und sein Raumschiff (btw. noch jemand, der bei dem Bild auf P 2 sofort an die Vorlonen gedacht hat?), bei denen man eben nicht sofort wusste, wie die einzuordnen waren und deren Rolle, auch im Abschlussband, lange rätselhaft blieb.
Der Schauplatz einer abgelegenen Orbitalstadt, einer ominösen Sekte, eines Quasi-Kartells, Intrigen, verwegener Ernte-Flüge in eine höllische Atmosphäre: DAS ist der Stoff, aus dem USO-Abenteuer sind, sehr gelungen.
Tipa Riordan im Breitwandformat. Immer wieder lesenswert. Gerade ihre Beziehung zu ihrem Wesir war toll geschildert und erlaubt einen kleinen Blick hinter die Kulissen der beiden. Faun wird mehr und mehr zu einer Haupt-Nebenfigur. Gefällt mir. Ihre Kabbeleien mit Atlans Stellvertreterin waren vergnüglich. Die rotzfreche Smilerin, mit der Dennis Tante Tipa ärgert, hat mir großen Spaß gemacht. Das Orakel nicht zu vergessen. Allerdings wird Tipa offenbar alt. Zunächst wird sie von Schmidt 'reingelegt, dann dreht Falton ihr eine lange Nase (noch jemand, dessen Leiche wir nicht gesehen haben).
Im ersten Band hat mir der Zwerg Tarquosch die Krücke (bei dem ich zuerst an eine Tipa-Maske oder einen Tipa-Roboter gedacht hatte) sehr gut gefallen, leider hat Rüdiger ihn in Band Zwei recht rücksichtslos entsorgt und auch vorher anders geschildert als Achim.
Das Ende des dritten Bandes ist dann überraschend "anders". Nachdem das Thema Polychora recht abrupt, mehr oder weniger schmerzlos und unzeremoniell endet, wird aus dem Roman plötzlich ein "Kolonistenabenteuer", bei dem die in der Unendlichkeit Versprengten sich ein neues Leben aufzubauen versuchen, inklusive einem kleinen Happy-End für einige der (gut geschilderten) Dreadfuls. Und das in einer wenig angenehmen, weil durch Glitter ausgelaugten, (fast) unerreichbar fernen Galaxis. Dieses Setting finde ich spannend, wenn das nicht nach einer Fortsetzung schreit, dann weiß ich auch nicht. Wenn nicht durch einen eigenen Taschenbuchzyklus, dann ja vielleicht in Form von Kurzgeschichten a la Stellaris, die an andere offizielle Produkte angehängt werden. Gern auch als eigenes PR-Extra oder als vertonte Novelle, die einem Extra beiliegt. Oder, wenn (Jung)Autoren dazu etwas schreiben wollen, als Storys bei der Fanzentrale, entweder in der Sol oder im Downloadbereich.
Ein Wort zu den Titelbildern: Erneut großartige Werke von Arndt Drechsler, echte Hingucker. Arndts Bilder würden der Erstauflage auch gut zu Gesicht stehen, wie ich nebenan auch schon mal erwähnt hatte.
Noch was zum Atlan von Götz Roderer allgemein: Michael Marcus Thurner hatte Atlan im letzten Zyklus emotional ziemlich in die Mangel genommen. In dieser Trilogie merkt man davon so gut wie nichts. Nun will ich ganz gewiss keinen Atlan, der bei jeder Gelegenheit ins Heulen gerät. Aber der Atlan von Götz ist mir zu steril. Dinge, die ihm passieren, scheinen völlig an ihm abzugleiten, sie berühren ihn so gut wie nicht. Oh, er sagt die richtigen Dinge, behauptet, dass ihm seine Leute wichtig sind, sinniert kur über Decaree etc. Aber ich habe nie den Eindruck, dass das irgendwie ernst gemeint ist. Das ist bei MMT anders, obwohl teilweise die selben Autoren am Werke sind. Und das gefällt mir einfach besser, weil es Atlan "menschlicher" macht.