nanograinger hat geschrieben:Rainer Nagel hat geschrieben:nanograinger hat geschrieben:Es hat einen Proteststurm gegeben (auf der LKS), die Sache wurde fallen gelassen und WiVo hat offen seinen Fehler eingestanden.
Hast du da Bandnummern parat? Wäre ganz interessant für ein Projekt, das nicht mehr allzu weit weg ist .
Leider habe ich die Bände nicht griffbereit, aber das müsste logischerweise im Zeitraum PR1015-1025 gewesen sein. Ich erinnere mich relativ gut daran, weil ich mit 1014 in die EA einstieg und mich über die Leserbriefe zu diesem
Robert W. G. Aerts wunderte.
Rainer Stache spricht aber in seinem Buch die Sache an als Beispiel, wie die Autoren manchmal in ihrer Utopieentwicklung sich auf totalitären Wege "verirrten"und wie die Reaktion der Leser via Leserbriefe eine schnelleKorrektur hervorrief, inklusive Eingeständnis von WiVo, diesen Aspekt nicht weiter zu verfolgen.
Beim wochenendlichem Kellerbesuch habe ich ein bisschen in den alten Heften gestöbert und kann nun etwas mehr dazu sagen.
Vorneweg: Die Formulierung "Proteststurm" ist etwas übertrieben, es ist aber trotzdem ein ungewöhnliches Beispiel für Leser-Autor Rückkopplung.
Der erste veröffentlichte kritische Beitrag findet sich in einem über die Romane PR 1039 und 1040 abgedruckten langen (sehr kleiner Font) Leserbrief eines Michael Adrian unter dem Titel (!) >>GEGEN eine "gute Welt"<<. Dass dies so spät nach dem Anlass PR 1007 kam, hat sicher mehrere Gründe. Offensichtliche Gründe ist die damals längere Druckvorlaufzeit und die Tatsache, dass Band 1000 und der 80er Weltcon viel Platz auf der damals nur zwei Seiten starken LKS eingeräumt wurde. Aber WiVo hat wohl auch nicht gleich den ersten kritischen Brief zur Sache veröffentlicht, was sich an seinem Vorwort zum Leserbrief von Michael Adrian zeigt.
Dort schreibt er in PR 1039, dass die Figur des Robert W. G. Aerts "die Gemüter bewegt", und dass "zahlreiche" Leser zum Thema geschrieben haben, mit "kontroversen Meinungen". Er schreibt auch, dass er das "nicht anders erwartete". Den Brief von Michael Adrian veröffentlicht er, weil es den "Tenor" dieser Leserbriefe gut abbilden würde.
Der Leserbrief selbst beginnt mit einem Zitat aus PR 1007: "Negative psychische Entwicklungen werden bereist im Kindesalter erkannt und korrigiert." Adrian erläutert dann, dass diesem Satz das "Erstaunen" der beschriebenen Personen zugrunde liegt, dass es im Jahre 424 NGZ noch
"Menschen mit bösen Grundzügen geben kann". Der Leser ist wiederum überrascht, weil in unserer Gesellschaft Kriminelle, die bewusst und vorsätzlich massive Ungesetzlichkeiten begehen (bewaffneter Raub im vorliegenden Fall), gang und gäbe sind.
Adrian stellt dann aber die entscheidende Frage: "Nehmen wir die im Zitat erwähnte Prozedur als gegeben hin. Ist sie aber auch wünscheswert?
Nein! (Fettdruck im Original). Im Rest des Leserbriefes auf 1039 führt er recht klar aus, warum dies in der Tat wohl die richtige Antwort auf diese Frage ist. Später formuliert er eine weitere Frage: "Hat der Mensch ein Recht auf Bosheit?". Hier gibt er keine klare Antwort, führt aber wiederum aus, dass hier gesellschaftliche Interessen mit individuellen Rechten wie Freiheit kollidieren und endet mit der Feststellung, dass solche Eingriffe in die Persönlichkeit von Menschen (und schon gar im "Kindesalter") nicht vorgenommen werden dürfen.
In PR1040 nimmt WiVo in einem Vorwort dann Stellung zum ersten Thema Robert W. G. Aerts, aber nicht wirklich zum Leserbrief: Er meint zunächst, dass er die Diskussion der Leser nicht beeinflussen wolle, aber dass der Charakter differenzierter zu sehen sei. Er sei ähnlich der Gangster der frühen amerikanischen Krimis der "Schwarzen Serie" gewählt, was ihn in 424 NGZ in jedem Fall zum Anachronismus machen würde. Aber "dass mit Aerts als letztzem Vertreter seiner Art auch das Böse abgeschafft sei", wäre ein von WiVo verschuldetes "Mißverständnis", "weil ich die Figur und Handlung nicht genügend ironisiert habe." Er geht also mit keinem Wort darauf ein, dass das 'Böse abschaffen' angeblich durch Eingriffe im Kindesalter erfolgen würde. Die totalitäre Dimension des Ganzen bleibt von ihm unerwähnt.
Im zweiten Teil des Leserbriefes versucht dann Michael Adrian ein Kompromisslinie zu finden, in der er etwa vorschlägt, dass die "Ausschaltung" des "negativen Grundzuges" nur bei potenziell "gemeingefährlichen" Personen durchgeführt wird, während bei geringerer krimineller Veranlagung der Eingriff eine freiwillige Entscheidung bei der Volljährigkeit der Personen sein sollte. Dieses "Modell" konterkariert recht stark sein starkes und im Großen und Ganzen stringentes Plädoyer gegen diese "Eingriffe", aber das ändert nichts an seiner vorigen fundamentalen Kritik, die in einem sehr lesbaren und sachlichen Ton vorgetragen ist.
Dass dies auch polemischer geht, zeigt ein Leserbrief eines Peter Dorn in PR 1042, der sich zunächst über die LKS als solches aufregt, weil angebliche "konstruktive Kritiker" ihre "aufdringlich-pädagogischen Ambitionen wie ein Schimmelpilz in die Handlung der Hefte hineinwuchern." Aber auch die Autoren bekommen ihr Fett ab. In PR 1018 überlegt sich seiner Meinung nach Kurt Mahr >>Hohlklingendes über ein "Naturgesetz" der individuellen Interessen, die in die Schuld führen. Weh, weh! Da fällt mir ein, dass sie bereits einen Schritt weiter sind. Ihre visionäre Schilderung des "letzten Verbrechers" ist geradezu ein anthropologischer Ulk.<<
Weiter habe ich nicht gesucht, aber es gab möglicherweise auch Reaktionen auf den Leserbrief von Michael Adrian.
@Mods: Falls ihr dieses Posting in einen anderen Bereich verschieben möchtest, habe ich nichts dagegen, aber es ist eine Antwort auf die Frage von Rainer Nagel in diesem Thread.