Welch ein Meisterwerk ist der Mensch! Wie edel durch Vernunft! Wie unbegrenzt an Fähigkeiten! In Gestalt und Bewegung wie bedeutend und wunderwürdig! Im Handeln wie ähnlich einem Engel! Im Begreifen wie ähnlich einem Gott! Die Zierde der Welt! Das Vorbild der Lebendigen!
(William Shakespeare, Hamlet)
Als in den 200er Bänden die Meister der Insel als Hauptgegner der Terraner gegenständlich wurden, war es diese Entdeckung, die den Protagonisten (und wohl auch den Lesern) für einen Moment den Atem nahm: Die bösen Meister waren unsterblich, trugen lebensverlängernde Zellaktivatoren, genauso wie die Helden; verschieden in der Form, aber doch nahezu gleich in ihrer Funktionsweise.
Bisher war die Unsterblichkeit ein Exklusivrecht einer kleinen Gruppe von (Haupt)Handlungsträgern gewesen und zugleich die höchste Legitimation von gut, richtig und sittlich. Denn eines ist die Unsterblichkeit nicht in der PERRY RHODAN Serie und eines ist sie nicht in der Begriffswelt des Lesers: beliebig. Selbst wenn einzelne Aktionen der unsterblichen Protagonisten vielleicht moralisch fragwürdig waren, blieb dennoch die Gewissheit, dass deren Handlungen letztendlich doch im Dienst eines größeren Guten standen, der Zweck heiligt die Mittel - für den Prinzen muss manchmal die Kröte geschluckt werden.
Zu Beginn wurde die Unsterblichkeit von ES verliehen: in Form von Zellduschen als temporäre Unsterblichkeit, später durch die Aktivatoren, wodurch die Träger relativ unsterblich waren. Natürlich ein sündiger Gedanke für eine Science-Fiction Serie: ES wurde als Hüter über die Unsterblichkeit zu einem Charakter in fast göttlicher Position, immer wieder durch homerisches Gelächter, gutmütigen Spiegelfechtereien, unter denen hauptsächlich Reginald Bull zu leiden hatte, und Rhodans Anrede „Freund“ in eine scheinbare Egalität und Gleichberechtigung gerückt.
Die Hauptfigur Perry Rhodan wurde, zu nächst als Verwalter der Zelldusche und dann als Verteiler der Aktivatoren, als Figur moralisch überhöht, ein Primus inter Pares der Unsterblichen und dadurch in die Nähe der Superintelligenz ES gerückt.
Nun tauchten die Meister der Insel auf und statt der gewohnten Sittlichkeit, die an die Unsterblichkeit geknüpft war, erfuhr der Leser die Pervertierung unsterblicher Gütesiegel: den Schatten wo auch Licht ist, bewusstes Handeln der Verkommenheit, wo bisher moralisch-sittliche Gewissheit stand.
Nur eine kläglich geringe Anzahl von Heften hatten die Meister der Insel, die sie als tatsächliche Handlungsträger zeigten und dennoch haben sie als Gegner der Menschheit nach über vierzig Jahren immer noch eine hohe „Beliebtheit“. Denn mit ihrer brutalen Schreckensherrschaft und ihres unmoralischen Egoismus’ stellen sie das dunkle Gegenbild zu den unsterblichen Protagonisten dar: Unsterblichkeit kann pervertiert werden.
Woher stammt nun die Unsterblichkeit der Meister der Insel? Peter Terrid bot mit dem PR-Taschenbuch „Schmied der Unsterblichkeit“ eine noch heute geliebte Version von der Erringung der Unsterblichkeit durch die Tefroder an.
Darin ist es tefrodischer Forschergeist, dem es gelingt ein energetisches Feld, das auf lokalem Gebiet Unsterblichkeit erzeugt in einem Gerät zu binden, welches autark die Unsterblichkeit sichert und es ist tefrodische Machtlust, welche diesen Prozess von Beginn an pervertiert. Noch dazu bot er mit dem Forscher Selaron Merota das Bild des guten Wissenschaftlers an, der am Ende seines Schaffensprozesses die moralischen Konsequenzen seiner Arbeit erkennt, aber als guter Mensch letztendlich scheitert.
Sowohl Entstehung der Zellaktivatoren als auch die Nutzung der Unsterblichkeit zu letztendlich egoistischen Zwecken sind hier zutiefst menschliche Phänomene. Ganz im Sinne eines aufgeklärten Geistes ist es der Mensch selbst, der sich zur Unsterblichkeit legitimisiert. Sowohl im Sinne der Erschaffung der lebenserhaltenden Geräte, als auch in der Sicherung der eigenen Unsterblichkeit durch planerisches Handeln, ist das ewige Leben messbar, planbar und berechenbar. Es ist nichts weiter nötig, als technisch-naturwissenschaftliches Können und der Intellekt, dieses Können auf und für seine Weise zu nutzen.
Dies ist letztendlich Science-Fiction in ihrer ureigensten Weise. Indem das „Wunder der Unsterblichkeit“ zu einer technisch nachvollziehbaren Erklärung heruntergebrochen, die Machtsicherung der Meister der Insel psychologisch-charakterlich profiliert wird, entspricht es der mittlerweile klassischen Definition der Science Fiction, die anstrebt, das Wunderbare, das Fremde, das Fantastische mithilfe „der Science“ – rekurrierend auf die Wissenschaft der Leserrealität oder auf eine texteigene Wissenschaft Bezug nehmend – zu erklären.
Jedoch tilgt Terrid in seinem Taschenbuch zugleich etwas aus, das im Perryversum gerne als „Sense of Wonder“ wahrgenommen wird. Wenn man dieses „sich wundern können“ nicht allein als affektive Leserreaktion auffasst, welche einen Überraschungseffekt mit weit geöffnetem Mund produziert – im Sinne eines „Ich staune, also wundere ich mich“ -, sondern versucht, „Sense of Wonder“ als etwas Konzeptionelles in der Science Fiction zu begreifen, so ist es die Schlussfolgerung, dass „Sense of Wonder“ jenes Element in der Science-Fiction darstellt, welches sich der letztendlichen und vollständigen Erklärung der Handlung durch die "Science" verweigert.
Aber hier ist die tefrodische Unsterblichkeit und die Machtergreifung der Meiser der Insel messbar, planbar, berechenbar. Konzeptionell ist die Unsterblichkeit der Meister der Insel frei vom „Sense of wonder“.
Zusätzlich sichert Terrid hier die moralischen Pole der Unsterblichkeit zwischen den „rhodan’schen“ und den „tefrodischen“ Unsterblichen. Denn nur für die Meister der Insel gilt, dass sie sich ohne eine moralisch höhere Instanz zur Unsterblichkeit legitimisieren und nur für die Meister der Insel gilt in diesem Zusammenhang ihre menschliche Fehlbarkeit. Und auch wenn sie rein handlungstechnisch abwesend sind, bleibt die sittliche Größe von ES und Perry Rhodan im Kontrast zu den Meistern erhalten: ES’ Wahl bleibt richtig, Rhodans Handlungen bleiben gut.
Marianne Sydow bot in „Blick in die Zeit“ nun einen anderen Zugang zu der Unsterblichkeit der Meister der Insel. Hier ist es nicht tefrodischer Forschergeist, welcher die Unsterblichkeit erschafft, sondern es ist die gleiche Legitimation, die Perry Rhodan zu Beginn der Serie ausgewiesen hat: Nermo Dhelim folgt den Aufzeichnungen seines Volkes und entdeckt den Planten Wanderer, analog zu Rhodans und Crests früherer Suche nach dem ewigen Leben. Und wie Rhodan und seine Begleiter als Zeitzeugen und mit Entsetzen feststellen müssen, ist es ES selbst, der für die Verleihung der Zellaktivatoren an die Meister der Insel verantwortlich ist, jene moralische Instanz, die bisher sicherte, dass sich hinter der Unsterblichkeit letztendlich das Gute und Richtige verbarg.
Das Brilliante an diesem Entwurf ist ein Vielfaches. Zunächst sorgt Sydow (und natürlich das Exposé-Team) dafür, dass die bisherige Bindung von Bild und Gegenbild, „rhodan’sche“ und „terfrodische Unsterblichkeit“, enger geknüpft wird. Die Geschichte der „Meister der Insel“ und die Geschichte der Terraner ist eine gemeinsame, noch gemeinsamer, als es bisher durch die lemurische Vergangenheit den Anschein hatte. Es ist eine gemeinsame Geschichte der Unsterblichkeit, welche auch die unsterblichen Imperatoren der Arkoniden und letztendlich die nun unsterblichen Friedensstifter der Linguiden beinhaltet.
Der große Bogen, der so erzählt wird, ist das Streben einer Superintelligenz nach Frieden, Ordnung und Sicherheit in der ihr eigenen Mächtigkeitsballung. Ein hehres Ziel, welches die ES zunächst erneut moralisch erhöht. Die Unsterblichkeit der Tefroder, Arkoniden, Terraner und Linguiden dient einem Zweck. Analog zu Rhodans Berufung durch die Kosmokraten beruft ES Hilfsvölker, die im seinem Sinne der Ordnung und Rechtschaffenheit zu dienen haben. Die Träger der Unsterblichkeit sind austauschbar, aber die Unsterblichkeit an sich ist es nicht.
Dies führt zu einem außergewöhnlichen Spannungsfeld. Jedwede Unsterblichkeit durch Zellaktivatoren hat einen gemeinsamen Ursprung: Tefroder, Arkoniden, Terraner und nun Linguiden sind von ES bestimmt. Und hier klinkt sich der „Blick in die Zeit“ in die Geschichte der Unsterblichkeit ein.
Die Träger der Unsterblichkeit sind bei weitem nicht austauschbar. . Es ist die Instanz ES selbst, welche jede Form von Erkenntnis und Warnung ignoriert und es ist ES selbst, welcher die Saat für eine jahrtausende anhaltende Form der Schreckensherrschaft legt. Sowohl die Terraner als auch die Meister der Insel sind von der selben Instanz zur Unsterblichkeit legitimisiert worden – Bild und Gegenbild stammen vom selben Initiator!
Doch während Tefroder und Arkoniden in einem fast darwin’schen Prozess ihre Unsterblichkeit verlieren oder vergessen, sind die Terraner im Verlust der Unsterblichkeit besonders: sie wird ihnen von der Moralinstanz ES aberkannt. Vor dem Hintergrund des gewalttätigen und perversen „Gegenbild“ der Meister der Insel eine umso perfidere Handlungsweise. Leser und Protagonisten bilden hier eine „Wissenseinheit“, ihnen sind die Ausmaße und die Fragwürdigkeit von ES Handlungen bewusst.
Verglichen zum terrid’schen Band ist der Mensch in der Erschaffung der Unsterblichkeit hier weitaus weniger selbstbestimmt, weniger aufgeklärt, weniger autark – doch was hier tatsächlich in Frage gestellt wird, ist nicht der menschliche Geist. Vor dem Hintergrund der Unsterblichkeit zeigt sich schnell wieder die Gier einer Mirona Thetin und Rhodan bleibt weiterhin die moralisch stabilere Gestalt. Was hier in Frage gestellt wird, ist die Legitimationsinstanz ES selbst. Ausgerechnet jene Macht, welche die Träger der Unsterblichkeit auswählt, ist sich der Konsequenzen, die aus der Verleihung der ZAen entstehen, nicht bewusst, ist quasi „beratungsresistent“. Statt wie Terrid ES als moralische Macht des Guten und Richtigen aufrecht zu erhalten, lassen Sydow und Mahr/Vlcek ES stürzen und hinterfragen sein Urteil als Berechtigung zur Unsterblichkeit. Das Ergebnis ist paradox. Obwohl „Blick in die Zeit“ die Erlangung Unsterblichkeit des Menschen stärker von dem Urteil einer höheren Macht abhängig macht, ist es genau dieses Urteil das sich als fragwürdig erweist und den Menschen somit in seiner Position stärkt. Denn eines ist dennoch gleich geblieben – es ist der Mensch, der aus seiner Unsterblichkeit einen sittlichen oder verwerflichen Lebensentwurf gestaltet. Und damit wird Rhodan (und mit ihm die unsterblichen Protagonisten) als Figur aufgewertet. Obwohl die Urteile ES’ fragwürdig sind, zeigt Rhodan trotzdem eine würdige Haltung, bestätigt dadurch die Instanz ES in ihrem Urteil und nicht mehr umgekehrt. Das ist die wahre Emanzipation, die tatsächliche Aufklärung der Protagonisten.
Wieviel raffinierter und komplexer ist Sydows Entwurf doch im Vergleich zu Terrids wissenschaftsorientierter und linearer Gestaltung. Und noch eines kommt hinzu. Zwar wird auch hier die Herkunft der tefrodischen Unsterblichkeit erklärt, das Geheimnis offen gelegt, aber die paradoxe Situation um den Zustand von ES lässt alles doch noch mit einem leichten Fragen zurück. Ist ES nicht der Zeitlose? kann er das nicht ändern?, geschieht es, weil es geschah?, ist es Pararealität oder doch nicht? ... So ganz erschließt sich die Handlung nicht, so ganz verweigert sie sich der abschließenden Erklärung – der „Sense of Wonder“ um die Unsterblichkeit der Meister der Insel bleibt erhalten.
Und als Dreingabe gibt es noch ein weiteres Rätsel: Wie kann ein Objekt eine negative Stangeness haben, wenn die Wissenschaft sagt, dass Strangeness nicht negativ sein kann? Auch hier zeigt der Linguiden-Zyklus wieder einmal, dass er nicht bloß plump reproduziert, sondern Geschichte auch weiter erzählen und mit neuen Rätseln zu füllen vermag.
Ein außergewöhnlich guter, aber auch ein außergewöhnlich kontroverser Roman. Und über die Brillanz Marianne Sydows als Autorin muss hier kein weiteres Wort verloren werden, die ist schon selbstverständlich geworden!