Hallo Scrooge,
danke für dein Posting.
Scrooge hat geschrieben: ↑18. Januar 2021, 12:22... Was ich aber seit 2700 schmerzlich vermisse, ist die Fokussierung auf glaubhafte Chaktere bzw. deren Entwicklung. Dabei geht es mir nicht nur um die Charaktere selbst, sondern darum, dass die Dynamik der Handlung zumindest auch sich aus den Handlungsweisen der Charaktere entwickelt. Leider ist es so, dass die Hauptpersonen in erster Linie aus ihrer Funktionalität heraus entwickelt werden. Auf einem Coloniacon während der 2700er-Bänder hat das Wim Vandemaan sogar einmal ganz deutlich formuliert, als es um die Rückkehr von Atlan ging: Atlan müsse eine Funktion haben, sonst mache eine Rückkehr keinen Sinn. Bei einer Endlosserie wie PR ist es natürlich schon so, dass dieser Faktor einbezogen werden muss, ich halte diese Herangehensweise in der Konsequenz, wie das gehandhabt wird, aber für tödlich für die Charakterentwicklung.
Ich hatte hierzu
kürzlich geschrieben (am Ende des langen Postings):
nanograinger hat geschrieben:Meiner Meinung nach liegt allgemein Charakterisierung und Charakterentwicklung bei PERRY RHODAN nicht gerade im Fokus der Erzählung. Die Charaktere der Figuren sind oft an "Archetypen" angelehnt (böse Zungen behaupten, dass das nur ein schönes Wort für "Klischee" ist, aber gut). Vielleicht ist es das, was du als "holzschnittartig" wahrnimmst. Gerade in Figuren wie Donn und Gry werden diese Klischees aber durchbrochen. Donn ist nicht der überlegene Supermann, als die er sich als Mutant fühlen könnte, und Gry nicht der "wirre Professor" oder die Detektorin in Menschenform ohne eigenen Willen.
Übrigens: Wie man an etlichen Kommentaren hier im Forum lesen kann, kommen manche Leser gerade mit den Szenen nicht klar, in denen die (Neben-) Figuren weit mehr als über das "Funktionale" nötig charakterisiert werden. Insofern frage ich mich, ab eine noch tiefere Charakterisierung überhaupt erwünscht ist.
In der dortigen Diskussion ging es um "Nebenfiguren", bei denen die "Funktionalität" noch ein deutlich wichtigerer Aspekt ist, als bei den Hauptfiguren (den Unsterblichen). Was du nun schreibst (und womit der Zusammenhang mit der deiner Meinung nach nicht nachvollziehbaren Motivation quasi aller Handelnden" deines ersten Postings hierzu hergestellt wird), bezieht sich beispielhaft auf zwei Situationen im Mythos-Zyklus (siehe unten) und der Stellungnahme Wim Vandemaans zu Atlans Rückkehr im AT-Zyklus. Hierzu zunächst Folgendes:
Meiner Erinnerung nach ging es bei der Frage einer "Funktion" Atlans darum, dass man von Seiten der Expokraten (damals in Person von WiVa) Situationen vermeiden wollte, dass (angebliche) Hauptfiguren zu "Mitläufern" in der Handlung "degradiert" werden. Das kann man Nebenfiguren zumuten (bspw. der ganzen Besatzung der RT, die in zwei-drei Romanen eine hervorgehobene Rolle spielen, aber ansonsten eben "da" sind und als Nebenfigur nicht in jedem Roman mit der RT erwähnt werden müssen). Leider war das auch oft mit (angebliche) Hauptfiguren der Fall, in alter Zeit bspw. mit dem halben Mutantenkorps, Tifflor, Bull (Adams sowieso) etc., aber auch noch in der Feldhoff-Ära (ich erinnere mich an die Chearth-Mission im MATERIA-Zyklus, als verzweifelt versucht wurde alle Module der GILGAMESCH mit ihren jeweiligen unsterblichen Kommandanten zu beschäftigen).
Die damalige Aussage WiVas hatte also lediglich den Hintergrund, dass man Atlan nicht einfach mit dem Spruch "Hatte keinen Bock mehr auf Wanderer rumzuhocken, was geht denn hier so ab?" zurückkehren lassen wollte, sondern seine Rückkehr mit einer Aufgabe zu verbinden, die seinem Charakter und seinen Fähigkeiten enstpricht. Ganz ähnlich lief es mit seiner Rückkehr aus den JzL ab, als er "mitten im Getümmel" abgesetzt wurde.
Das hat meines Erachtens aber nichts mit der Frage der Charakterentwicklung zu tun. Wie sich Atlans Charakter entwickelt (was angesichts seiner Langlebigkeit und Wichtigkeit für die Serie nur sehr behutsam passieren kann), hat mit den Erlebnissen Atlans in der Handlung zu tun, und damit nur indirekt mit seinen Fähigkeiten und seinen Missionen.
Scrooge hat geschrieben: ↑18. Januar 2021, 12:22
Ich habe den Eindruck, dass die Handlungen der Hauptfiguren lediglich dazu dienen, ein vorab definiertes Handlungskonzept auch in die Umsetzung zu bringen. Mit anderen Worten: Die Akteure agieren deshalb genau so, wie sie agieren, weil sich nur so das definierte Konzept einschließlich der Meilensteine umsetzen lässt. Zumindest ist das mein Eindruck, insbesondere auch in den 3000ern. Zwei Beispiele vom Anfang des Zyklus: Warum verhält sich der eigentlich pragmatisch-zupackende Bull so zaghaft, über all die Jahre hinweg? Antwort: Weil sonst dem Zyklus die gesamte Grundlage entzogen wird. Warum verhält sich Perry so seltsam, wie er sich verhält (Zögern beim Treffen mit Bull, aber er wirft sich ständig ins Getümmel)? Antwort: Damit Spanung erzeugt wird, wie das Treffen Perry/Bull verlaufen wird und damit Neuleser einen aktiven Perry erleben, der ständig in den Einsatz geht.
Nein, das sehe ich nicht so, und das steht so auch nicht in den Romanen.
Dass Perry in den Einsatz geht, ist immer der Fall, unabhängig ob Anfang, Mitte, oder Ende eines Zyklus. Die Gründe für die Vorgehensweise Perrys am Zyklusanfang (3000-3005) sind in den Romanen jeweils klar beschrieben. Dass nicht sofort nach Rudyn geflogen wird, wird gerade auch mit der Unsicherheit bzgl. Bull, insbesondere seines "Chaotarchen-ZAC" begründet (davon abgesehen, dass die RT dringend reparaturbedürftig ist, die Cairaner vielleicht genau dort auf ihn warten etc.).
Was Bullys Reserviertheit gegenüber Perry angeht, so wird auch das in Band 3013 und 3014 beschrieben. Neben der offensichtlichen Frage, ob Rhodan wirklich Rhodan ist (und vor allem auch unbeeinflusst), hat Bully (meines Erachtens unbegründet) ein schlechtes Gewissen, weil er Perry eben keine "aufgeräumte Galaxis" präsentieren kann. Was Bully in all den Jahren wirklich geleistet hat, wissen wir ja gar nicht (mit der Ausnahme von Band 3045), wir sehen nur das Ergebnis. Wie das zu bewerten ist, kann man als Leser gar nicht sagen, es ist unerzählte Geschichte.
Es wird ja hier oft und gerne von "Nachvollziehbarkeit" geschrieben oder "nachvollziehbares Handeln" gefordert. Dabei wird aber gerne die Bedeutung des Begriff vermischt mit dem, was man als Leser vielleicht gerne erzählt bekommen hätte. Natürlich will man als Leser möglichst schnell wissen, wie die Lage in der Galaxis ist und warum das alles so kam. Das hat aber mit "nachvollziehbarem Handeln" der Akteure nur wenig zu tun, denn diese müssen in ihrer fiktionalen Welt Risiken abschätzen, die Möglichkeiten evaluieren etc. bevor sie eine Entscheidung treffen, mit der sie dann auch "leben" müssen.
"Nachvollziehbares Handeln" bedeutet für mich, dass ich mich in die Figur hineinversetze und beurteile, ob es Gründe für das Handeln gab. Es heißt aber nicht, dass ich (als Leser auf der Couch), das genauso gemacht hätte. Im hier diskutierten Fall hätte ich wahrscheinlich wie Perry gehandelt (der übrigens alle wesentlichen Aktionen voher mit seinen KollegInnen bespricht), mit einer Ausnahme: Ich hätte den Serun anbehalten áls er sich in Band 3003 schlafen legte.
Scrooge hat geschrieben: ↑18. Januar 2021, 12:22
Zwei willkürlich herausgegriffene Beispiele. Ich weiß, das ist ein lediglich subjektiver Eindruck, doch dieser hat sich seit 2700 stark verfestigt. So langweilig die übergreifende Handlung bei Feldhoff und Anton für mich zT war - beide haben stärker und nachhaltiger die Charakterentwicklung in den Mittelpunkt gerückt und für die Handlung stärker die Intentionalität der Akteure berücksichtigt (Beispiel: Die Suche von Alaska Saedelaere nach Samburi Yura). Mein Wunsch für die Zukunft wäre also, die Handlung stärker aus den Handlungsweisen der Akteure heraus zu entwickeln und weniger die Funktion jedes einzelnen Akteurs zu betonen.
Was Charakterentwicklung angeht, so gibt es in der ganzen PR-Serie einen extremen Sonderfall, und das ist Alaska Saedelaere. Das liegt daran, dass er der personifizierte Außenseiter ist, der zwar durchaus auch mal wichtige Rollen für die Handlung übernimmt, aber eben sehr früh (Band 433, Kytoma) seine eigene Motivation entwickelt und seiner Funktionalisierung damit überwindet (seine Funktionalisierung: mit dem Cappin-Fragment ausgestattet, um Ribald Corello entgegentreten zu können). Auch wenn für mich die Suche nach Samburi Yura nur ein Abklatsch seiner Suche nach Kytoma ist, so erhielt er sich selbst im Neuroversum-Zyklus seinen Willen, der ihn endgültig zum fliegenden Holländer machte.
Aber alle anderen Unsterblichen (von Dao-Lin H'ay abgesehen, die immer noch geparkt ist) sind zu sehr mit der Geschichte der Menschheit verbunden, als das eine Abkoppelung ihrer Geschichte (und damit auch ihrer Entwicklung) von der großen Handlung möglich ist. Bull kümmerte sich zeitweise um seine Familie, was bspw. hier im Forum nicht bsonders gut ankam (soweit ich erinnere). Ähnlich war es bei Tolot als "Kindermädchen".
Angeblich soll es in diesem Zyklus auch um "Loyalität" gehen. Ich bin gespannt, ob das wirklich Bully betrifft (was wg. der Chaotarchen-Prägung seines ZAC der offensichtliche Tipp wäre) oder jemand anderen. Hier wird man (hoffentlich) Charakterentwicklung an einer Hauptfigur beobachten können. Ich muss aber kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass auch noch die kleinste gefühlte Abweichung zum individuellen LeserInnenkanon Ablehnung der Art "Das ist nicht mehr meine Serie, wenn ..." auslösen wird (zugespitzt formuliert).