Salut Richard,
Richard hat geschrieben: ↑30. Januar 2021, 07:11
Da du das Internet als "Ziemlich neues soziales Umfeld" ansprichst ... Nach wieviel Jahren/Jahrzehnten wird es denn deiner Ansicht nach dann gewissermassen ein "Standardumfeld"?
Wenn sich ein allgemeingültiger Verhaltens- und Machtkonsenz gebildet hat. (Ich gehe davon aus, dass wir beide davon ausgehen, dass wir ungesetzliches Verhalten im Internet nicht in diesen Verhaltenskonsenz miteinbeziehen.)
Da das Internet groß und in seiner Art und Weise vielfältig ist, wird das wahrscheinlich noch ziemlich lange dauern. Darum werden in virtuellen Orten, wie z.B. diesem hier, auch durch "Machthabende" (das Wort meine ich ganz neutral, bitte) Verhaltenskonventionen festgelegt. Und ich als Nutzer dieses Raumes muss entscheiden, ob ich mich diesen Konventionen beugen möchte oder nicht. Als Beispiel: Als vor vielen Jahren bestimmt wurde, dass die User dieses Forums eine Kopie ihre Ausweises einschicken sollten, um am Forum teilnehmen zu können, habe ich mich entschieden, dass ich an dieser Konvention nicht teilhaben möchte und habe das Forum verlassen. Du selbst sprichst ja auch von Konsequenzen: "Aber auch das Internet ist kein rechtsfreier Raum und es gibt - zumindest teilweise - auch Konsequenzen. Auch hier haben wir schon Leute wegen ihres Verhaltens ermahnt, verwarnt, auf Vorschau gesetzt, auf gewisse Zeit oder auch dauerhaft gesperrt." - Die Frage, die sich stellt ist aber, basieren diese Konsequenzen auf den zuvor festgelegten Konventionen oder auf persönlichen Sichtweisen? Aber dieser Frage müssen sich dann die "Machthabenden" stellen, nicht die User. Und ich bin auch unsicher, ob ich soziales Fehl- oder fragwürdiges Verhalten so leicht mit dem Begriff "rechtsfrei" verbinden mag.
*Für mich* ist das keinso getrenntes Medium [...]
Ich stimme dir dahingehend absolut zu, dass das Medium/ soziale Feld "Internet" sich nicht vom realen Leben entkoppeln lässt. Daher auch meine Analogie zum "konfirmierten Fußballer": Als Menschen bewegen wir uns ständig in unterschiedlichen sozialen Feldern bzw. Umfeldern. Jedes davon hat eigene, mal allgemeiner und mal präziser definierte Verhaltens- und Machtkonventionen. Als Mensch interagiere ich mit diesen Konventionen, mal mehr und mal weniger glücklich. Bewegst du dich im sozialen Feld "Arbeit", bist du an andere Konventionen gebunden, und du verhältst dich auch anders, als bewegtest du dich im sozialen Feld "Sport". In den letzten Jahren sind viele Politiker gestürzt, weil sie sich im sozialen Feld "Wissenschaft" falsch verhalten hatten und dieses Verhalten für das soziale Feld "Politik" nicht akzeptabel ist. Man kann das ein bisschen auch in den Romanen
Le Rouge et le Noir oder in Manns
Felix Krull (gut, das ist ein Schelmenroman, aber dennoch) nachvollziehen.
Daher auch meine ursprüngliche Meinung, dass ich es zu einfach finde, Verhalten in Internet und Reallife so einfach zueinander zu beurteilen. Du kannst das natürlich so machen, wenn du magst, es ist natürlich letztendlich deine Entscheidung, die ich dir nicht madig machen werde.
Und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, kommen dann noch individuelle Faktoren hinzu. Dazu einmal ein radikal-konstruiertes Beispiel: Was machst du, wenn dich ein Mod-Kollege wegen des belegbar extremen Fehlverhaltens eines Foristen (z.B. beleidigend, laut, unflätig, launisch) anspricht. Du kennst diesen aber persönlich und weißt, dass der gerade von seiner Frau verlassen wurde, den Job verloren hat und die Kinder nichts mehr mit dem zu tun haben wollen: Zeigt er sich jetzt endlich in seiner wahren Gestalt hier? - Ich weiß, es ist ein extremes Beispiel, aber es dient auch nur zur Veranschaulichung, dass neben den Konventionen allgemeiner sozialer Felder auch noch individuelle Umstände zu einer "gut/böse-Beurteilung" beitragen können und das m.E. nicht immer so einfach zu trennen ist.
Ich hoffe, ich war nicht zu verquast mit meinen Erläuterungen. *zwinker*
lg
Ten.