R.B. hat geschrieben:Skörld hat geschrieben: zu beliebig, weil zu vielfältig. Jede denkbare Umgebung ist nur eine Breviatur entfernt und jedes denkbare Dings kann direkt hinter der nächsten Ecke warten.
In homöopathischen Dosen verabreicht mag das noch ganz OK sein, aber als (Haupt-)Handlungsstrang?
Das sehe ich genauso. Das Teil ist zu groß. Bei mir kommen Erinnerungen an das Tiefenland hoch, wo Lichtjahre große Städte existieren. Ich weiß noch, dass ich das anfangs ganz interessant fand, aber ich hatte es relativ schnell durch damals. Das würde mit Allerorten genauso passieren. Verschwinden darf diese Stadt nicht, in kleinsten Dosen so alle halbe Ewigkeiten würde das funktionieren, denn im Großen und Ganzen finde ich die Idee eines solchen Konstruktes ziemlich faszinierend.
... mangelnde Fitness Bull's hingewiesen wurde.
Dein Post hat meinen Vorsatz gekippt, endlich mal fertigzulesen, ehe ich kommentiere, aber was soll's. Bin auf S. 12.
Das mit der Beliebigkeit und der Fitness ist mir nämlich auch aufgefallen, Verena Themsens "Die Stunde des Residenten" (PR 2658) habe ich unter anderem wegen Bullys beeindruckender Laufleistung in Erinnerung. Den Unterschied auf die Umprägung des Zellaktivators zurückzuführen, halte ich für allzu dahergeholt. Es geht wohl um den Kontrast zu Toio, so á la Hund und Katze, aber hier ist wieder eine jener nervenden Bruchstellen.
2658 war mir auch durch die vorbildliche Funktionalität der Gegenstände aufgefallen, und die finde ich hier auch, plus der Funktionsgebundenheit der Protagonisten. Sprich: Sie denken über ihre Ziele nach, statt sich in privaten Befindlichkeiten zu wälzen, gleich zu Beginn und auch in den Kratzbürstereien zwischen Bully und Toio. Es geht um Ziele, an denen sich die Gefühle festmachen und denen sie untergeordnet sind, nicht um privaten Kram. Sehr gut!
Ebenso die Gegenstände: Der faltige Bauch als mitgeführter Schreibtisch (vgl. S.5), das Klappern der Kettenglieder auf dem Rücken, als Khuferchosdd sich beim Einfordern der Stadtregeln aufmantelt (vg. S.4), das ist Fantasie, die Sinn macht, weil sie den Erzählfluss stützt.
"Fenderchast" stammt wohl aus dem Exposeé, oder gibt es andere Informationen? Jedenfalls kann man auch hier eine klare Assoziation aufbauen, denn der "fender" ist das "Kamingitter", "chaste" heißt "keusch", und die knackige Charakterisierung als geächtete Feiglinge, die sich durch bürokratische Regelkenntnis mächtig machen, ohne je ein Pisiko einzugehen, die Natürlichkeit fordern, ohne selbst irgendwelche zuzulassen, und die sich als Resultat nicht vermehrern, aber überlegen fühlen, das ist genau der Typ des deutschen Bürokratieausführers, den ich jeden Tag so richtig gut durchhassen kann, vor allem wenn noch der Glaube an die eigene "göttergegebene" (S.5) dazukommt. Kaminsitzerkeuschheit. Hervorragendes Feindbild und subtil genug, um mich anzusprechen.
Beim Entlarven kann Toio so richtig glänzen, indem sie mit ihrer Paragabe Strukturen aufdeckt und emotional abgelöst genug ist, so richtig kritisch nachzubeißen. Sehr gut. Ebenso ihre Abgrenzdiskussionen mit Bully, die eben nicht süß und emotional werden, aber durch eben diese äußerst geschickte Nutzung der Paragabe sehr tief gehen.
Die semimaschinellen klingelnden Elfchen in der an ES und Peter Pan gemahnenden Schmetterlingsform übertreiben es eben auch nicht. Sie sind vom SERUN nicht wahrnehmbar, also ein Gegenmopdell zur "gewohnten", "normalen" Technik, und könnten leicht klebrig geraten, aber durch die gedeckte Präsentation von Gefühlen bleiben sie witzig. Vor allem, wenn sie "durch Sinneseindrücke" (S.7) dazu gebracht werden, sich zu vermehren, in eine "maschinelle Erregung" verfallen und dann ihr Schwarmobjekt nachbauen. Wenn sie dann Bully liebend umflattern und im Chor "unsterblich" sirren (S.8), dann erinnert mich das eben auch an was, ohne zu aufdringlich zu werden *grins*. Wobei ich von "Mos-Chuks" schnell auf "Ma-Chicks" komme mit "mütterlich" und "aufgebrezelte Mädchen".
Mit der durch die oberflächlichen, mechanischen Schwärmer aufgebrachten Vermehrungsthematik haben wir dann im Kontrast eine Vertiefung hin zuBulls Persönlichkeit, in der durchscheint, dass sein Privatleben bislang deshalb nicht so stark präsent war, weil er es eben geheimhielt, um seine Nachkommen vor Paparazzi und Klatsch und Tratsch zu schützen. Dies Anliegen ist logisch in den Roman wie auch in den Serienzusammenhang eingebunden, gefällt mir. Dass er durch seine gewachsene, widerspenstige, authentische Art ein Gegengewicht zur beliebigen Oberflächlichkeit der "anderen" herstellt, sollte meines Erachtens Lebensversicherung genug sein. Also, im Serienkontext. Um die Durchlässigkeit der Ebenen mal selbst abzugehen.
Mit der Beliebigkeit, das ist eben so eine Sache, die ich gerade bei MMT verfolge, weil ich den Eindruck habe, das er mit der Aufhebung der Kausalität spielt. Was sich darin spiegelt, dass er auch in aufeinanderfolgenden Romanen verschiedene Register verwenden kann, und bei mir kommt das so an, als seien ihm die stilistischen Experimente das wichtigste Anliegen, und die Geschichte käme dahinter. Und das mag ich nicht, ich empfinde das als oberflächlich und leer - so wie sein Protagonist sagt: "Wir bieten Ideen an. Verpackungen. Schein statt Sein. Nur damit hat man Erfolg" (S.9). Ist das eine Selbstdarstellung? Aber ich weiß, dass ich eine böse alte Katze bin, und beobachte das einfach mal weiter.
Die Beliebigkeit der Ebenen als aus den Fugen geratene Form der dramatischen Ironie, das allerdings beobachte ich mit besonderer Aufmerksamkeit, und zwar seit der Marianne-Vision im Tod Tekeners, dieser Aufbau stört mich nach wie vor. Hier finden wir mit dem "Stammdatenblatt" (S.5) wieder so eine Illusionsdurchbrechung, die dann innerhalb der Fiktion nachmotiviert wird, indem er das Phänomen der Datenblätter auch in der Bürokratie von Allerorten ansiedelt. Noch kein Kommentar.
Die Welt des Gaizka Arribachea (S.8ff) verstehe ich noch nicht so recht, mit den Sklaven, dem fliegenden Weinbecher, Ablasszahlungen, Parsen, Paraffinkerzen, Wachteleiern, Chaiselongues und politischen Heiraten, Monarchen, Oligarchen und Demokraten. Sie verkaufen "Schein statt sein" (S.8), das fiel mir auf, da ich diesen Kontrast gerade beim Expokraten Montilion als grundsätzliches Kompositionsprinzip sehe, aber wie das hier jetzt reinpasst - dazu muss ich weiterlesen...
Ach ja, Allerorten: Um mal wieder richtig rauszugehen aus dem Trott, habe ich ATLAN 10 und 11 endlich gelesen, und in der Beschreibung der Roboterstadt kam dieses seltene Adjektiv "allerorten" vor, leider finde ich die Tbs jetzt gerade nicht, irgendwo zu Beginn des dritten Drittels. Nur als reine Ortsangabe, hat mich aber trotzdem fasziniert, denn das Wort ist rar und der Kontext passt, so dass ich es jetzt einfach mal als Keimzelle sehe.