Inside Totenstille

Alles rund um die Miniserie PERRY RHODAN - Atlantis
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Tostan
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Inside Totenstille

Beitrag von Tostan »

Einer alten Tradition folgend gibt es auch zu »Totenstille« einen Hintergrundbericht.

Gleich vorweg: Der Beitrag enthält Spoiler – ich empfehle daher, den Band davor zu lesen.

Wenn man für PERRY RHODAN nach einem Fremdexpo schreibt, gibt es mehrere spannende Momente.
Der erste ist, wenn man gefragt wird.
Das zweite, wenn man die Gesamthandlung liest.
Der dritte, wenn die E-Mail mit dem Expo eintrudelt. Und natürlich habe ich diese Mail sofort geöffnet und gelesen. Zeitgleich hat mein Hirn gerattert und bereits nach Möglichkeiten gesucht, die Handlung entsprechend umzusetzen.
Nachdem ich fertiggelesen habe, habe ich spontan eine Datei in Papyrus geöffnet und das erste Kapitel geschrieben. Sehr zu meiner Freude war der Einstiegssatz perfekt. Es gab nämlich schon Manuskripte, da habe ich zwei Stunden oder länger am Einstiegssatz gefeilt, bevor ich auch nur eine weitere Zeile schreiben konnte.
Nach der ersten Szene folgte auf dem Fuß die zweite und dann musste ich mich zwingen, aufzuhören, denn es war 1:30 Uhr und mein Wecker wirft mich für meinen Brotjob um 6:00 aus dem Bett.

Unser Expoautor, Ben Calvin Hary, überließ es mir, die erzählende Figur zu wählen und mir war sofort klar, dass es zum Großteil Atlan sein musste – auch weil die Hauptstory fast ausschließlich an Bord der TOSOMA spielt.
Damit durfte ich Atlan zum ersten Mal als Autor führen und das war ein riesengroßer Spaß. Ich plädiere daher für eine Nachfolgeserie zur ATLAN-Miniserie Traversan. Wer dafür ist, kann das gern als Antwort posten.
Erstaunt war ich, wie praktisch ein Extrasinn für den Autor ist. Vor allem, da ich mit der zweiten Hauptfigur, Kinco da Trohnar, auch die Chance auf einen zweiten Extrasinn hatte, den ich bewusst zynischer angelegt habe.

Einen schrägen Moment gab es vier Tage, nachdem ich mit dem Band begonnen hatte. Da sind die russischen Friedenstruppen (Achtung Ironie!) in die Ukraine einmarschiert. Den ganzen Tag jagte in meinem Brotjob zu dem Thema eine Videokonferenz die andere, dazwischen musste ich panische Kunden beruhigen. Zu Hause musste ich mich dann der Frage stellen, ob wir Jodtabletten wegen der Atombomben-Drohung kaufen sollen (ein skurriler Moment, dachte ich doch, seit dem Ende des Kalten Krieges ist dieser Schwachsinn erledigt) und ab 23:00 Uhr sollte ich Tausende von Maahks töten. Da habe ich innegehalten und einen Abend Pause gemacht.
Im Gespräch mit Ben darüber haben wir festgestellt, dass die Gründerväter in dieser Hinsicht trotz Kalten Krieges keine Hemmungen hatten. Und den Lesern gefiel dieser Teil der Handlung, nämlich Krieg, Kampf und Tote gemischt mit pfiffigen Geheimeinsätzen und Plänen ja offenbar sehr, sonst wäre die Auflage nicht durch die Decke gegangen und wir hätten längst keine RHODAN-Serie mehr.
Aber vielleicht sind wir als Menschheit einfach nur bescheuert. Welchen Grund gäbe es sonst, dass sich Computer-Kriegsspiele oder Horrorfilme (Wieso fürchtet man sich freiwillig?) so großer Beliebtheit erfreuen? Und das, während im echten Leben Menschen im Krieg durch Bomben zerfetzt werden?
Aber ich schweife ab.
Jedenfalls habe ich meine moralischen Bedenken für die Sache geopfert (ja, so einer bin ich) und habe mit der Tastatur gemordet. Alles für die Unterhaltung der Leser, nicht wahr?
Dennoch wollte ich in diesem Kriegs- und Kampf/Raumschlacht-Band die Absurdität des Krieges einfließen lassen.
Und da habe ich mich an drei Bücher erinnert, die ich gelesen habe. Sie handeln von posttraumatischen Belastungsstörungen im Allgemeinen und bei Soldaten im speziellen. Damit war die Nebenhandlung automatisch fixiert. Ich wollte über PTBS schreiben, in die einer der Soldaten rutscht. Die dafür eigens eingeführte Figur Kinco da Trohnar war rasch gefunden.
Habe ich zumindest gedacht.
Denn Schreiben ist manchmal ein seltsamer Prozess, verweigern doch gelegentlich Figuren die Aufgabe, die ihnen der Autor zugedacht hat. So auch Kinco da Trohnar, denn er hat sich geweigert, eine PTBS zu kriegen (Zitat: »Das ist etwas für Schwächlinge!«)
Wie man anhand des Zitats schon erkennen kann, war er von Anfang an das genaue Gegenteil. Ein beinharter Militarist, dem der Sieg über alles ging. Und er war ein Kotzbrocken, den Atlan zwar in der der anfänglichen Szene zurückgestutzt hat, aber naja ...
Also musste ich mir in Punkto PTBS etwas anderes für ihn einfallen lassen, das sich jedoch aus der Figur heraus entwickeln musste.
Was sich hier aufgrund seiner Geschichte von Kinco aufdrängte, war, dass er Kameradschaft lernen durfte. Und sein privates Problem, das sich seit dem Tod seiner Mutter durch sein Leben zieht, durfte er auch beackern. Dennoch musste ich wegen ihm zwei geplante Szenen zum PTBS eindampfen. Aber wie hieß es so schön in jedem Schreibcamp?
»Kill your darlings!«

Wer das Thema vertiefen möchte, hier die Bücher
»PTBS das unsichtbare Leid« – Catri Tegtmeier & Michael A Tegtmeier
»Wenn der Krieg nicht endet« – Leah Wizelmann
»Battle Fatigue« – Andrea A. Patrick

Bei der Todesszene von Rowena habe ich mich an dem Bestseller »So sterben wir« von Roland Schulz orientiert. Ein interessantes Sachbuch für alle, die mehr Klarheit über die letzten Momente des Lebens haben wollen.

Wie immer hat mir Peter Dachgruber mit technischen Ratschlägen und Details ausgeholfen. Danke an dieser Stelle an ihn. An dieser Stelle verweise ich auf die PROC-HP, da erscheint am 19.07.2022 ein Interview mit ihm.

Ein interessantes Detail zum Thema »Überarbeitung«.
Ursprünglich hieß mein Einstiegssatz:
»Alle Energien in den Schutzschirm!«, brüllte ich und versuchte, den Alarm in der Zentrale der TOSOMA zu übertönen. »Kurzstrecken-Nottransition auf mein Kommando!«

Mit Uwe Anton, der mal kurz in den Band hineingesehen hat, entspann sich am Wochenende des Colonia Cons folgendes Gespräch:

Uwe: Roman, da musst du »schrie« statt »brüllte« nehmen.
Roman: Babys schreien, Männer brüllen.
Uwe: Löwen brüllen, Menschen schreien.
Roman. Okay, angenommen du bist wütend, und zwar so richtig. Lässt du dann eher einen Schrei oder einen Brüller los?
Uwe: Ich schreie den anderen an.
Roman: Ja, aber du brüllst los.
Uwe: Ich kann auch losschreien. Und abgesehen davon: Wenn er es nur versucht, dann heißt das doch, dass er es vermutlich nicht schafft. Es hört ihn also keiner.
Roman: Das ist ein Argument, denn die nächste Frage ist: Versucht er es nur oder macht er es auch?
Damit ändere ich in:
»Alle Energien in den Schutzschirm!«, übertönte ich den Alarm in der Zentrale der TOSOMA. »Kurzstrecken-Nottransition auf mein Kommando!«
Uwe: Na schau, geht doch.

Uwe hat die Datei dann wieder geschlossen, sonst hätte ich bei dem Tempo und dem Interpretationsspielraum jeden Satzes meinen Rückflug nach Wien um drei Wochen verschieben müssen.

Übrigens stand der Titel »Totenstille« für mich nach Lesen des Expos sofort fest. Klaus N. Frick hat mich bei unseren E-Mails zur Titelfindung kurz verunsichert, da er »Operation Methanlicht« vorgeschlagen hat, das ich im Untertitel hatte. Zugegeben, dieser Titel hätte auch etwas gehabt, aber letztendlich bin ich bei »Totenstille« geblieben.

Musikalisch war ich diesmal zweigeteilt. Im Schreibprozess lief »Linkin Park«, im Überarbeitungsprozess »Bullet For My Valentine«. Kurz habe ich für den Titel mit dem Gedanken gespielt »Der letzte Kampf« als Übersetzung des Liedtitels »The Last Fight« zu nehmen. Ich habe den Gedanken aufgrund von bestimmten Assoziationen jedoch verworfen.
Von Linkin Park jedoch habe ich in der letzten Szene auch einen Liedtext eingebaut. Der erste, der mir eine pm mit der Stelle schickt, kann den signierten Band 9 sein Eigen nennen. Oder sich auf die Schulter klopfen, falls ihn das nicht interessiert.

Ich hoffe, ihr habt euch mit dem Band gut unterhalten und verweise für weitere Hintergrundinfos auf das Interview, das die Autoren, die Testleser und ich mit mir geführt haben. Ja, die Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen. Wann hab ich schon mal die Möglichkeit, etwas über mich zu erfahren ..?

https://www.proc.org/interview-mit-roma ... -atlantis/
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Ce Rhioton
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Re: Inside Totenstille

Beitrag von Ce Rhioton »

Stichwort Krieg, Kampf und Tote: Das ist auf den ersten Blick tatsächlich widersprüchlich. Eigentlich sollte man meinen, dass Krieg in der Realität dazu führt, dass man davon in der Spannungslektüre möglichst wenig lesen wollte.

Allerdings ist das wohl ein psychologisches Phänomen. Die Hilflosigkeit der Gewalt im realen Leben haben wir im Roman nicht - dort können unsere Protagonisten (also wir, die "Guten") sich gegen ungerechtfertigte, feige Gewalt (in dem Falle die "Bösen") zur Wehr setzen und (wenn auch durch mögliche tragische Verluste und Tote) am Ende dann doch triumphieren.

Und das ist meiner Meinung nach der entscheidende Unteschied: Im Roman haben wir (unsere Helden) das Schicksal in der eigenen Hand, es gibt Gewinner und Verlierer - im realen Leben letztlich nur Verlierer.
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