Kurz vorweg, schöner Roman (Atlan und der Linguide, Nr. 1559) von Marianne Sydow, der sich angenehm lesen ließ und viel Wert auf Charakterisierungen legte, obwohl Atlan vielleicht etwas zu agressiv geschildert wurde. Jedenfalls war es ein interessanter intellektueller Diskurs zwischen Atlan u. Aramus Shaenor, wobei die Linguiden wesentlich besser geschildert wurden, als bei anderen Autoren zuvor. Nicht so gut gefallen hat mir die Geheimniskrämerei des Nakken am Ende. Zu deutlich erkennt man, dass die Nakken nur so unkooperativ und fremdartig sind, weil man damit eine evt. schneller fortschreitende Handlung und Aufklärung verzögern kann. Der Roman erinnert manchmal in der Art seiner Zusammenfassungen an die Arbeitsweise von KHS. Nun gut, MS hat in Nr. 1559 die Fähigkeit der Linguiden noch einmal genauer beschrieben (S.14):
Die Linguiden taten nichts anderes, als gewissermaßen in dieses Bild hineinzugreifen und einige dieser Kristalle zu drehen, so daß nun andere, bisher nicht oder nur teilweise sichtbare Facetten an die Oberfläche kamen.
Indem die Linguiden das taten, veränderten sie das Bild, das ihr >>Opfer<< sich von der Welt gemacht hatte.
Da lebende Wesen die Eigenart haben, zu glauben, daß ihr Bild von der Welt die Realität ist, konnte man mit Fug und Recht sagen, daß die Linguiden imstande waren, die Realität zu ändern.
Und sie benutzten dazu kein anderes Hilfsmittel als das gesprochene Wort.
Niemand wußte, wie sie das machten - nicht einmal sie selbst schienen sich ihre seltsame Fähigkeit erklären zu können.
Man wußte jedoch, was es nicht war:
Es hatte nicht das geringste mit irgendwelchen Psi-Kräften zu tun.
Die Fähigkeit der Linguiden wirft einige schwierig zu beantwortende Fragen auf:
Wie wird diese "Realität" auf andere Wesen übertragen und manifestiert?
Finden die auf diese Weise überredeten Opfer nicht irgendwann in ihre eigene Realität zurück?
Darauf geben die Autoren aus gutem Grund keine Antworten. So wie es im Roman beschrieben wird, ist es gleichbedeutend mit dem Einzug der Magie in die Science Fiction.
astroGK hat geschrieben:
Es sind keine argumentativen Überredungskünste, sondern Veränderungen der Wahrnehmung bei anderen. Der Linguide (dämlicher Name übrigens, das Blödeste am sonst genialen Zyklus) "sieht" die Vorstellungswelt des Anderen und beeinflusst diese. Durch die Änderung der Sichtweise, ändert sich auch das Bewußtsein. Wird einem Wort eine andere Bedeutung hinterlegt, was offenbar die Gabe der Linguiden ist, dann wird die andere Person dazu gebracht, den Sachverhalt anders zu interpretieren als vorher. Werden vorher z.B: Zahlen als Verkaufsimpuls gedeutet, sind sie dann allmählich Kaufsignal. Dazu geht der Linguide her und unterlegt dem bisherigen Verkaufsargument einen drohenden Beigeschmack, den die andere Person nur auf der unbewußten Ebene wahrnimmt (etwa durch Körpersprache). Das Kaufargument dagegen wird positiv besetzt. Somit werden die Zahlen wie durch einen Filter gesehen, der nach der Beeinflussung durch die Linguiden einen Kauf bewirkt.
Es geht also immer um die mit Wörtern verbundenen Gefühlskontext. Wird dieser verändert, bekommt alles ein ganz neues Gewicht. Ähnlich wie es im krassesten Fall bei Psychopathen abläuft. Die normale Welt wird mit einer unheilvollen Bedeutung belegt, es werden Fakten völlig anders interpretiert,eine nicht vorhandene Bedrohung wird dazu erdacht und es kommt zur akuten Psychose. Wahnvorstellung sagt man dazu. Linguidische Friedensstifter können beliebig vom ursprünglichem Weltbild abweichende Vorstellungwelten in in fast jedem Intelligenzwesen in jeder Form erzeugen. Das ist ihr einzigartiges Können, dass sich auf ihre ebenso einzigartige Herkunft gründet, die später erklärt werden wird. Und die gleichzeitig auch ihre größte Schwäche verursacht.
Ja, meine Kritik richtet sich, wie erwähnt, nicht grundsätzlich gegen die Wirkungsweise, sondern gegen die Plausibilität bzw. Legalität dieser Fähigkeit der Linguiden.
Betrachten wir einmal folgendes Szenario der galaktischen Händler. Diese Händler, Springer, Mehandor oder wie auch immmer, besitzen, so nehmen wir einmal an, eine gewisse Marktmacht bei speziellen Rohstoffen u. Nahrungsmitteln. Wurde diese Marktmacht den Springern nicht durch die Arkoniden verliehen? Nun, durch Kontrakte, Marktmacht, Verknappung u. Spekulation werden die Preise von den Springern für diese Rohstoffe o. Erzeugnisse künstlich hoch gehalten, worunter einige unterentwickelte Zivilisationen zu leiden haben.
Die Linguiden werden angerufen und vermitteln. Sie "beschwatzen" die Händler. Den Händlern wird von den Linguiden der Kopf "gewaschen" und diese senken reumütig die Preise und stellen die Spekulationen ein. Könnten sich diese Händler in diesem Augenblick von außen betrachten, so wären sie entsetzt, denn es war ihr freier, selbstbestimmter Wille diesen Profit zu machen. Sie würden niemals zugunsten anderer auf 90% Profit u. Wohlstand verzichten. Sie würden Zeter und Mordio schreien, von krimineller Gehirnwäsche und Suggestion reden, ihre Thermoblaster zücken. Das, was die Linguiden machen, ist nichts weiter als eine nett umschriebene Gehirnwäsche bzw. Beeinflussung des freien Willens. Ein Zwang, welcher nicht der ursprünglichen freien Selbstbestimmung der Händler entspricht und damit illegal bzw. kriminell ist. Ein Wandel in der moralischen Gesinnung würde nur funktionieren bzw. wäre legal, wenn er freiwillig erfolgen würde. Das wird im Linguiden-Zyklus ausgeklammert. An dieser Stelle muss man einmal auf einen Zusammenhang zwischen Literatur und der Fähigkeit der Linguiden hinweisen, was evt. so beabsichtigt war. Aufgabe der Literatur ist es unter anderem, durch Worte Mitleid zu erzeugen, wodurch Menschen gebessert werden sollen. Das Gefühl für bestimmte Zusammenhänge verändert sich dadurch. Das ist sehr genau das, was die Linguiden im positivsten Fall erreichen können: Mitleid zu induzieren. Aber dass muss freiwillig geschehen. Man kann niemandem zum Mitleid zwingen. Zum freien Willen gehört leider auch dazu, sehenden Auges Böses zu tun, sich Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen. Ich denke, die Autoren waren sich dieser Problematik bewußt, weshalb sie unbedingt vermeiden wollten, die Fähigkeit der Linguiden wie eine Beeinflussung aussehen zu lassen. Das, was die Fähigkeit der Linguiden aber ausmacht, entspricht im positivsten Fall unserem Mitleid, nur unter Zwang. Und der Zwang macht diese Fähigkeit illegal bzw. anfechtbar. Niemand würde eine unter diesen Bedingungen ausgehandelte Abmachung akzeptieren. Damit die Fähigkeit der Linguiden funktioniert, muß diese Problematik ausgeklammert werden.
In diesem Sinn entspricht die Fähigkeit der Linguiden der klassischen Fähigkeit eines Mutanten, eines Suggestors, der sein "Opfer" auch glauben macht, dass es seine ureigenste Entscheidung war. Diesen Eindruck wollten die Autoren aber aus verständlichen Gründen um jeden Preis vermeiden ("Es hatte nicht das geringste mit irgendwelchen Psi-Kräften zu tun."). Genau so gut könnte man auch eine galaktische Polizeitruppe aus Suggestoren aufstellen, um Probleme zu lösen. Das wäre aber nicht akzeptabel.
Und hier kommt der Treppenwitz des Linguiden-Zyklusses. In der Fähigkeit der Linguiden spiegelt sich interessanterweise auch das Verhältnis Autor - Leser wieder, was möglicherweise die Quelle der Inspiration war. Denn der Autor möchte gerne, dass seine propagierte Realität, seine mehr oder weniger plausible Fiction, zur Realität des Lesers wird, wobei er versucht dieses Ziel durch möglichst geschickte, intelligente Wortwahl oder Auslassung, also eine Manipulation, zu erreichen. In diesem Sinne sind die Linguiden bzw. ihre Fähigkeit auch gleichzeitig ein Spiel mit einer sogenannten Metaebene, sozusagen eine Art linguidische Manipulation der Autoren.
P.S: Schöne Innenillustration des Blues von JB in Nr. 1559.