An Bord der ORION
SolAb Commander Lionel Thartin und SolAb-Agent T’Ronin, beide Mitglieder des SolAb-Kommandos 1 (S-1) wichen ihrem Chef Allan D. Mercant, der sich die ganze Zeit in der Hauptzentrale aufhielt, nicht von der Seite. Hier wurden die hereinkommenden Daten gesammelt und analysiert. Schließlich stand eines fest: Sie befanden sich nicht mehr in der normalen Zeit.
Irgendein Ereignis oder Umstand musste bei der Explosion des Mondes diese tachyonisch- terminale Schockwelle ausgelöst haben. Und die hatte sie einige Jahrhunderte in die Vergangenheit geschleudert. Die Station unter ihnen stand noch, auch wenn sie nicht mehr bewohnt zu sein schien.
„Und was schlagen Sie nun vor, Solarmarschall?“, USO-Commander Bond blickte Mercant gespannt und ein wenig hilflos an.
Es war wie immer. Jeder erwartete von Mercant dass er auf Anhieb eine Lösung fand. Doch er liebte das irgendwie. Wie hatte er es vermisst, wieder wirklich aktiv in das Geschehen eingreifen zu können. Natürlich würde ihm das sein ausgeprägter Selbsterhaltungstrieb und seine Leute nicht auf Dauer erlauben. Doch hin und wieder war es einfach notwendig. Auch dafür, weil er seine Agenten oft in Himmelfahrtskommandos schickte. Allerdings mussten sie jetzt einen Weg zurück nach Hause und in ihre Relativ-Gegenwart finden, da war durchaus ein wenig mehr ‚Action’ drin, als sonst in seinen Kommandostellen oder Spezial-Raumschiffen.
Bevor Mercant etwas sagen konnte, meldete sich der Kommunikationsoffizier: „Wir erhalten eine Nachricht von der Oberfläche des Planeten, Sir. Major Hazard meldet, dass sich General Tekener als Geisel dem hiesigen Condos Vasac Kommando zur Verfügung gestellt hat.“
„Er hat was?“, fragte Mercant entgeistert zurück und seine gute Laune war schlagartig verschwunden. „Tekener, was soll das!“ flüsterte er leise vor sich hin.
„Anscheinend hielten sich in der unterirdischen Anlage einige Leute der calurischen Condos Vasac, also CV-Kommandos, welche Philipp Tyler unterstehen, auf. Sie nahmen vier Wissenschaftler des Historischen USO-Korps problemlos gefangen und drohten damit sie zu töten, wenn General Tekener sich ihnen nicht ausliefert.“
„Also spielt dieser Dummkopf wieder den Helden“, sagte Mercant mehr zu sich selbst, aber Bond schaute ihn seltsam an. „Nun Commander, Helden und Idealisten handeln oft wider der Vernunft. Landen Sie bitte die ORION. Wir sehen, was wir machen können. Die Situation hat sich geändert. Die Leute der Condos Vasac sind genauso in der Zeit gestrandet wie wir. Eine zeitlich begrenzte Zusammenarbeit wird wohl unerlässlich sein“, schlug Mercant nun mit entschlossener Stimme vor. Denn eigentlich konnte er Bond keine Befehle geben, aber der USO- Commander überließ ihm gerne als Solarmarschall der IUFS (Interstellarunion of Free States –Anmerkung Autor: Manchmal vergesse ich die Bezeichnungen einfach. Am besten würden wir bei Solaren Imperium, wie zu Beginn der Serie bleiben.
) und der SolAb, die Initiative. Urplötzlich erscholl aus der Richtung der Ortungsgeräte ein nervenaufreibendes Ping, Ping, Ping. Alle Köpfe der Zentrale-Besatzung drehten sich genervt in Richtung der Geräte.
„Wir werden ortungstechnisch anvisiert“, meldete der Ortungsoffizier ernst und unwohl im Hauptinteresse der sonstigen Offiziere zu stehen. Die ORION glitt währenddessen weiter in die Atmosphäre ein.
„Was? Von wo aus?“, erkundigte sich Commander Bond ernst.
„Von der Station aus, Sir!“
„Energieschilde hoch, Dichte erhöhen. Schirme dreifach überlappen! Landeanflug fortsetzen. Und dann rufen Sie die verdammte CV!“, befahl Commander Bond wütend und mit Stentorstimme seinen Untergebenen zu.
„Ja, ja… wohl, Sir!“
Die ORION hatte die Atmosphäre inzwischen schon durchdrungen und näherte sich der Oberfläche. Da zischte die erste Drohne auf sie zu, verpuffte aber wirkungslos am Schildsystem. Die alten Liduuri hatten dafür gesorgt, dass sie durch ihre eigenen Waffen nicht auf Anhieb bedroht werden konnten, indem ihre Schilde eine extreme Energiedichte aufwiesen. Ihre Abwehrfrequenzen reichten weit in den Hyper- und Subraumbereich (Linearraumbereich) hinein. So verpufften die ersten Energietorpedos wirkungslos. Nach einigen weiteren vergeblichen Treffern hörte der Beschuss schließlich auf.
„Diese Idioten!“, entfuhr es dem Solarmarschall. „Die CV ändert sich nie.“
„Sie antworten endlich auf unsere Anrufe, nachdem sie erkennen, dass sie gegen die dreifach gestaffelten Energieschirme eines liduurischen Superschlachtschiffs nicht ankommen!“
„Auf den Hauptschirm!“ befahl Commander Bond extrem ungehalten.
„Das hätte ich mir ja denken können“, sagte Mercant seufzend, als er das Gesicht erkannte. „Warum schießen Sie auf uns, Miss de Silva. Haben Sie noch nicht bemerkt, dass wir uns nicht mehr in unserer Zeit befinden?“
„Solarmarschall, Sie?“ Man konnte sehen, dass sie gegenüber Mercant Respekt besaß.
„Tekener sagte so was, aber …“
„Kein aber! Es gibt nur eine Möglichkeit, wenn wir wieder zurück in unsere Relativgegenwart wollen: Zusammenarbeit. Ich schlage einen streng befristeten Waffenstillstand vor. Geben Sie General Tekener umgehend frei, sonst lernen sie mich kennen!“
„Erst, wenn ich mich davon überzeugt habe, dass Sie wirklich die Wahrheit sagen“, erklärte Theresa ungewohnt freundlich. Die Umstände zwangen sie wohl gegen ihre Natur zu handeln und zu kooperieren. Und dies auch noch mit den USO-Leuten oder der Solaren Abwehr, ihren erklärten und gefährlichsten Todfeinden.
„Verdammte Terraner, egal ob von der USO oder der SolAb!“ hörte Mercant Theresas wütende Stimme aus dem Äther, wohl an ihre Leute gerichtet. De Silvas Grimm erfüllte Mercant mit einer großen Genugtuung.
„Dann kommen Sie waffenlos, ich betone o h ne W a f f e n, an Bord. Wir zeigen Ihnen dann alle Daten über die tachyonische Schockwelle. Über den Äther möchte ich diese nicht an sie vermitteln. Wer weiß, wer alles mithört. Wir sind schließlich in einem für uns völlig fremden Terrain. Sie erhalten freies Geleit und meine persönliche Garantie für Ihre Freiheit. Aber wenn wir eine verborgene Waffe finden, dann lernen sie ihre ‚liebsten’ Todfeinde wirklich kennen, Miss de Silva!“, erklärte der Solarmarschall und Chef der SolAb mit einer harten und höhnenden Stimme.
„Ihnen vertraue ich, Solarmarschall“, kam es ein wenig und vor allem völlig unüblich kleinlaut von dem CV-Commander zurück. „Außerdem haben wir noch Tekener und ihn gebe ich erst frei, wenn ich mich davon überzeugt habe, dass Sie die Wahrheit sprechen, Terraner. Und denken Sie daran, ich könnte ihrem Tek immer noch schmerzhafte Verletzungen zufügen, auch eine Sekunde vor unserer Kooperation. Denken Sie daran, Solarmarschall. Keine Tricks!“
Einige Augenblicke herrschte Stille im Äther. Mercant kochte und stand kurz vor der emotionalen verbalen Explosion. Sehr ungewohnt für ihn. Er galt nicht von ungefähr, als harter und emotionsloser Typ. Normalerweise! Dann endlich hörte er:
„Also gut, ich komme an Bord des Schiffes. Übrigens ein netter Name für eine uralte Retro-Science Fikton Serie. Ihr Terraner hattet schon immer eine lebhafte Fantasie und ein Faible für interstellare Realitäten, selbst als die Masse eurer Mitbürger noch glaubten, allein im Universum zu sein“, höhnte Theresa. Allerdings schwang eine Portion von unwillkommenem Respekt gegenüber den terranischen Newcomern in der galaktischen Zivilisation mit.
„Das Monstrum kennt sogar alte terranische Retro-Videoserien!“ stöhnte Mercant in Gedanken. Auch er liebte diese deutsche Serie, die er als Sammler-Videoedition in englischer Sprache von seinem Vater, einem SciFi-Fan, geschenkt bekam. Was hätte er sich darüber gefreut, wenn er es noch mitbekommen hätte, dass sein Sohn einmal den interstellaren Raum real und nicht nur virtuell bereisen würde.
Quinto Center
Lyra lief in schneller Gangart in ihren hohen und weichen roten Lederstiefeln nachdenklich den langen Gang entlang, Sie verließ eben die Krankenstation, wo Chefmediziner Professor Doktor Eric Manoli sie untersucht hatte, weil sie sich schon seit Tagen unwohl fühlte. Tek, der Schuft hatte sie deswegen nicht auf die neue Mission mitgenommen. Doch nun ergaben sich für sie und Ronnie ganz neue Perspektiven. Zwar kam es nicht ganz unerwartet, aber trotzdem musste sie sich erst an den Gedanken gewöhnen.
Ohne es zu wollen, war sie unbewusst nach einem längeren Marsch, inklusive Laufbändern und durch Nutzung von diverser Lifte auf der Viertelebene über dem Habitats-Deck gelandet, den sie und Tek immer besuchten, um alleine zu sein. Die anderen wussten das zwar, doch sie respektierten stillschweigend, dass dies ihr Balkon war, der sich langgezogen über dem Habitatsdeck, als durchsichtiges Band aus einem transparenten Material hinzog.
Von hier aus hatte man einen fantastischen Blick nach unten und über die riesige Habitatszone mit dem Meer und der Landschaft. Unter ihr schlug das Wasser in sanften Wellen an den Strand der Landfläche.
Eine sanfte Brise wehte über das Meer, dessen Größe, von der holografischen Projektion der Anlage zusätzlich generiert, schier unendlich zu sein schien. Die Illusion war so perfekt, dass sie sogar die Düfte von Blumen roch und den salzigen Geschmack des ‚Meeres’ auf ihrer Zunge spürte, obwohl dasselbe nur eine kleine tatsächliche Fläche einnahm. Das Habitat besaß nämlich auch Landschaftsformen, wie leicht bewaldete Parkflächen, Berge, Flüsse und selbst an den Rändern Gebirge. Die Bewohner von Quinto Center vermissten so keine planetaren Gegenden, denn durch die holografischen Erweiterungen der Landschaften, nahmen diese für die getäuschten Sinne, fast planetare Dimensionen an.
Lyra wusste nicht, wie lange sie dort auf dem Promenadenvierteldeck über der Habitatszone auf einer gemütlichen Bank inmitten einer lauschigen Gebüschzone saß und durch das transparente Material direkt unter ihr das Strandleben beobachten konnte.
Eine leise Stimme schreckte sie auf. „Hier bist du also. Ich habe dich schon die ganze Zeit gesucht. Deine Freunde meinten, wenn du sonst nirgends zu finden bist, sollte ich es hier versuchen. Dich per Kom-Modul anzurufen, wollte ich nicht. Wer weiß wer alles mithört.“
Lyra blickte Vanessa nachdenklich an. In ihrem Verhalten entpuppte sie sich wirklich als Ronnies Mutter. Körperlich sah sie ihm so ähnlich, wie Mann und Frau es nur sein konnten. Zumindest bevor Tek, seine Pockennarben bekam. Noch immer war Vanessa eine wunderschöne und äußerst attraktive Frau mit gebildeter und hochkultuereller Ausstrahlung. Wenn Ronald neben ihr stand, hielt man sie eher für seine etwas ältere Schwester, als seine Mutter.
Vanessa war genau wie Lyra, als Terranerin eine Nachkommin der Uralten oder Liduuri und viel älter, als sie aussah. Die calurische (Lyra gehörte zu einem anderen Klan der Calurier mit traditionellen Werten eines anderen Planeten) und nun auch die terranische Biotechnik und Medizin mit ihren Bio-Updates sorgten dafür. So konnte auch eine Terranerin über zweihundert Jahre alt werden und verlangsamt altern. Calurier sogar dreihundert Jahre. Alle sieben Jahre mussten diese Bio-Updates in einer Spezialklinik bei Terraner wiederholt werden. Aber was tat man nicht alles, um verlangsamt zu altern und möglichst lange jung zu bleiben!
„Ja, ich komme immer hier her, wenn ich nachdenken will“, antwortete Lyra.
Vanessa nickte grüblerisch und blickte über das virtuell erweiterte Meer und den Badebetrieb am Strand durch den transparenten Kunststoff auf dem sie standen. „Es ist schön hier. Du musst nachdenken?“
„Ja, aber ich möchte noch nicht darüber reden.“
„Schon gut“, Vanessa warf ihr einen abwägenden Blick zu. „Es hängt mit Ronnie zusammen?“
„Ja, aber wie ich schon sagte …“
„ „… du willst nicht darüber sprechen.“
Ein kleiner Getränke- und Versorgungsautomat schwebte summend heran. Die Frauen tasteten sich ihren geliebten Cappuccino und jede einen süßen Snack der zum Kaffee passte. Die fliegende Maschine, ein Produkt des neuen technokratischen Zeitalters schwebte wieder davon. Für Lyra normal, für Vanessa, welche noch das frühe einundzwanzigste irdische Jahrhundert kannte, war dies noch immer eine besondere Erfahrung. Aber darüber zu sprechen lohnte sich nicht, die Szene hatte Alltagswert, wenn auch außerhalb von Quinto Center durch Nutzung ihrer Pay-Mikromoduls auf ihrem modischen Multiarmband.
Vanessa beschloss, während sie den Cappu schlürften und das süße Stück aßen, das Thema zu wechseln. „Und wie geht es dir sonst?“
Ein durchdringender Blick traf Vanessa. Ahnte sie etwas? Oder hatte Eric etwa geplaudert? Doch das konnte sie sich nicht vorstellen. Manoli war an seine ärztliche Schweigepflicht gebunden.
„Es geht mir gut, danke.“
„Lyra, es tut mir wirklich leid, dass du durch unsere Familie so viel durchmachen musstest. Man wollte dich schließlich umbringen.“
„Das ist doch nicht deine Schuld. Und was eure Familie angeht: meine Familie besteht auch nicht gerade aus Heiligen.“
„Aber niemand in deiner Familie wollte dich umbringen, so wie Philipp, seinen Sohn Tek umbringen lassen wollte, und mich wohl auch.“
„Das nicht, aber gäbe es eure Familie nicht, dann hätte ich auch Ronnie nie kennen gelernt. Aber ich verzeihe ihm nicht so schnell, dass er mich zurückgelassen hat. Sie haben sich schon lange nicht mehr gemeldet, und ich beginne, mir Sorgen zu machen.“
„Das brauchst du nicht. Ich habe mit Lordadmiral Atlan gesprochen. Es ist eine ganz gewöhnliche Routinemission.“
„Das sind sie am Anfang alle, und dann enden sie meist in einer Katastrophe. Oder noch Schlimmeren.“
Vanessa musste lächeln. „Noch Schlimmeres, als eine Katastrophe?“
„Nun ja, du weißt schon, was ich meine.“
„Ja, ich habe schließlich jetzt in meiner neuen Tätigkeit, als geheimdienstliche Beraterin des Lordadmirals, als Spezialistin für die Calurier, alle Missionsberichte gelesen. Doch warum hat Ronald dich nicht mitgenommen?“
„Das ist das, worüber ich nicht sprechen möchte. Noch nicht!“
„Aha! Aber wir könnten trotzdem etwas Nützliches unternehmen und den Spion suchen. Was hältst du davon?“
„Wir beide? Aber das könnte gefährlich werden.“
„Du vergisst wohl, dass ich viele Jahre meinen Mann bespitzelt habe, ohne dass er etwas davon bemerkt hat. Zudem habe ich eine geheimdienstliche Ausbildung. Warum wohl hat mich Atlan zu einer Spezialberaterin über die Calurier gemacht? Zudem war mein Vater ein hohes Tier, damals bei der CIA. Das waren noch Zeiten, die du dir nicht vorstellen kannst. Die terranische Menschheit bekämpfte sich selbst und hielt sich für die einzige Intelligenz im Universum.“ Sie lachte schallend, als Lyra ihr Gesicht verzog, wahrscheinlich über die Dummheit der früheren Terraner.
In diesem Moment aktivierte sich Lyras fingernagelgroßes Kom-Mikromodul auf ihrem Multi-Armband und man rief sie in die Zentrale. Vanessa schloss sich ihr an.
„Wir haben gerade eine Nachricht von der ORION erhalten“, teilte ihnen Atlan mit, als sie die Zentrale erreichten. „Sie besuchen den Planeten, wo das Team 1 des Historischen Korps ist. Und da wurden sie gleich von Tek um Hilfe gebeten.“
„Um Hilfe?“, fragten Vanessa und Lyra fast gleichzeitig. „Was ist denn passiert?“
„Nichts Gefährliches“, beruhigte Atlan die beiden Frauen schnell. „Sie sollen ihnen nur Unterstützung bei einer Suche geben. Hier!“
Vanessa nahm die kleine handliche nur wie ein Smartphone große Kybernetik in die Hand, die Atlan ihr mit einem langen undefinierbaren Blick auf sie reichte und las die Meldung. Anschließend reichte sie das Gerät an Lyra weiter, die die Daten ebenfalls studierte.
„Lyra und ich, wir haben uns übrigens auch nützlich gemacht.“
„So?“ Der biologisch unsterbliche und trotzdem körperlich nur Anfang Vierzig alte Arkonide sah die beiden Frauen neugierig an. Auf Vanessa ruhte der Blick abermals etwas länger. Vanessa und Lyra erstickten fast an seiner mentalen Aura. Wer mochte der Fremde wirklich sein? Vanessa konnte nicht anders, sie blickte immer wieder, wenn es der Lordadmiral nicht zu bemerken schien oder vorgab es nicht zu sehen, den mysteriösen Arkoniden kurz an. Seine Libidoausstrahlung war ebenfalls beachtlich. Nur wenige Frauen konnten ihm widerstehen. Ob sie dazu gehörte, konnte sie noch nicht definitiv für sich klären.
„Ja, wir haben nach dem Spion auf der STARDUST II gesucht und wissen auch schon, wer es ist“, sagte Vanessa mit einem verschmitzten Lächeln.
Überraschst blickte Lyra Vanessa kurz an, doch sie sagte nichts.
„Sie wissen, wer es ist?“ Wieder der wissende leicht spöttische Blick des Unsterblichen, der Vanessa durch und durch ging. Sie musste etwas Abstand von ihrem neuen Chef wahren. Er suchte, seit sie in Quinto Center weilte, sehr oft ihren Rat. Auch in Restaurants. Atlan war wie sie ein Feinschmecker und besaß eine hohe kulturelle Lebensart, ebenso wie seine neue Beraterin bezüglich des Volkes der Calurier, die einst heimlich unter den irdischen Menschen lebten und sie vor der Allianz der Nichthumanoiden beschützte. Bis eine kleine Minderheit der Calurier zum Feind, in Gestalt der Condos Vasac überlief. Die CV trat die Nachfolge der Goldenen, der Führer der offiziell aufgelösten Allianz an. In der CV organisierten sich jetzt alle Feinde der Liduuri-Nachkommen, die es nicht akzeptierten, dass plötzlich Frieden zwischen den ehemaligen feindlichen Lagern herrschen sollte.
Vanessa dachte weiter nach. Noch war ihr Verhältnis zu dem Lordadmiral nicht mehr, als höchstens gute Gespräche bei einem vorzüglichen Essen. Was würde Tek tun, wenn es mehr werden würde? Vanessa straffte sich innerlich. Nein, unmöglich! Sie stellte sich wieder der Realität. Ihre Überlegungen mochten nur ein paar Sekunden gedauert haben.
„Nun ja, sagen wir so, wir haben eine Ahnung und müssen es nur noch beweisen.“
„Wer?“
„Ich werde keine Verdächtigungen in den Raum werfen, ohne es beweisen zu können“, sagte Vanessa so laut, dass es alle in der Zentrale hören konnten.
Ein leichtes Lächeln überzog Lyras Gesicht. Sie ahnte, was Vanessa vorhatte. In kürzester Zeit würde das Gerücht die Runde machen, dass der Spion der mysteriösen und attraktiven Spezialberaterin des Lordadmirals bekannt wäre.
„Vanessa, was Sie und Lyra da machen, ist sehr gefährlich. Sie sollten es uns mitteilen“, sagte Atlan.
„Nein, Herr Lordadmiral, noch nicht. Erst müssen Lyra und ich noch etwas überprüfen, und dann werden wir es öffentlich machen“, Vanessa nahm Lyra am Arm. „Komm, mein Kind, wir haben noch viel Arbeit vor uns.“ Vanessa spürte es, wie ihr Atlan nachstarrte. Es war mehr als berufliche Neugier und sie spürte es in jeder Faser ihres sehr weiblichen Körpers.
„Verflucht!“ dachte sie. „Das fehlte mir noch.“
Im Flur flüsterte Lyra ihr augenzwinkernd zu. „Hast du bemerkt, dass dir der Lordadmiral nachschaute, und wie!“
„Kein Wort mehr, Lyra!“ Diese lächelte nur.
„Nun gut, das ist deine Sache. Du bist erwachsen.“ Vanessa blickte die Jüngere etwas verärgert an, während Lyra fortfuhr:
„Unser Vorgehen gegen den Spion wird aber sehr gefährlich. Der Spion wird uns verfolgen und versuchen uns daran zu hindern, ihn zu verraten. Er wird uns töten wollen.“
„Darauf hoffe ich, und dabei werden wir ihn entlarven.“
„Ich glaube jetzt zu wissen, woher Ronnie seine Waghalsigkeit hat“, meinte Lyra kopfschüttelnd. „Aber ich bin dabei. Doch wir sollten Han einweihen. Er war nicht an Bord der STARDUST II, also kann er nicht der Spion sein.“
„Hoffen wir es. Han verfolgt mich sowieso auf Schritt und Tritt, seit Tek ihm aufgetragen hat, auf mich aufzupassen.“
Lyra sah sich unauffällig um und sah Han in der Tat in einiger Entfernung stehen. Darauf hatte sie gar nicht geachtet. Sie winkte ihn heran, und die Drei entwickelten ihren gefährlichen Plan.
An Bord der ORION
CV-Commander Theresa de Silva hatte sich alle Daten sehr genau angesehen, und kam zu dem Schluss, dass sie nicht angelogen wurde. Sie waren tatsächlich in der Vergangenheit gestrandet. Und wenn sie wieder zurück in ihre Relativgegenwart wollte, musste sie wohl oder übel mit dem verhassten Todfeind eine gewisse Zeit zusammenarbeiten.
Solarmarschall Mercant hatte sein Wort gehalten, und sie wieder unbehelligt von Bord gehen lassen. Widerstrebend gab sie den Befehl, Tekener unbeschädigt frei zu lassen. Nun, für den Anfang wenigstens. Sobald sie wieder in ihrer Zeit weilten, wollte sie sich Tekener erneut vorknöpfen. Und dann half ihm nicht einmal mehr eine solche tachyonische Schockwelle wie vorhin.
Zusammen mit Tekener und drei ihrer Leute ließ sie sich auf den Planeten via Fiktivtransmitter, teleportieren. In den terranischen SciFi-Medien, war dieser Vorgang vorweggenommen worden. Sie nannten es im 20. irdischen Jahrhundert ‚Beamen’. Erstaunlich diese Fantasie von irdischen Schriftstellern.
Auf dem Planeten warteten schon der Solarmarschall, Lionel Thartin, T’ Ronin und einige USO-Spezialisten auf sie.
„Und wie soll es nun weiter gehen?“, fragte Theresa und blickte ihre Feinde an, mit denen sie jetzt notgedrungen vorerst zusammenarbeiten musste.
„Wir bilden zwei Gruppen“, antwortete Mercant.
„Lassen Sie mich raten, Sir! Eine erforscht die wiedererstandene Stadt und die andere sieht nach, ob es auf dem Mond schon diese geheime Forschungsstation gibt“, sagte Tekener, der Theresa nun wie er meinte, heimlich hasserfüllt musterte. Aber er hielt sich zurück. Noch!
Mercant blickte ihn spöttisch an. „Sehr scharfsinnig, General. Von der ORION aus, ist schon eine Gruppe zum Mond gestartet. Wir untersuchen die Stadt mit den pilzförmigen Hochhäusern. Sie sieht verlassen aus, aber vielleicht gibt es noch Bewohner im Untergrund. Es muss doch einen Grund gegeben haben, warum die Stadt aufgegeben wurde. Es sieht nicht so aus, als ob ein Angriff stattgefunden hätte. Die Gebäude sind alle unversehrt.“
Rasch wurden zwei Gruppen gebildet, die sich daran machten, die Gebäude zu untersuchen. SolAb-1 unter Commander Thartin (S-1) führte die erste und Tekener die zweite reine USO Gruppe an.
Mercant hatte sich Tekener angeschlossen. Tek hegte den Verdacht, dass der Solarmarschall ihn heimlich prüfen wollte. De Silva und ihre drei Leute folgten Teks Gruppe. Theresa dachte sicherlich nicht daran, ihre mutmaßliche Beute aus den Augen zu lassen.
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Als Teks Gruppe auf das erste Pilzhochhaus zuging, bemerkte niemand die Gestalt, die alles beobachtet hatte und nun das Versteck verließ. Fremde waren aufgetaucht, die eine Gefahr bedeuten konnten. Vielleicht auch der alte Feind, der nun versuchte zu beenden, was er vor Jahrzehnten nicht geschafft hatte. Das Wesen eilte zu einem im Boden verborgenen Eingang, um die Gemeinschaft zu warnen.
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Tekener blieb unter dem Pfeiler des Pilzes stehen und blickte hinauf. In schwindelnder Höhe verbreitete sich das Gebäude und bildete so die ungewöhnliche Pilzform. Aber auch der Pfeiler wies immer wieder Fenster auf, die bezeugten, dass auch in der Säule Wohnungen lagen. Einige Fensterscheiben waren zerbrochen, andere machten einen unbeschädigten Eindruck.
Es gab einige Eingänge, wovon die meisten noch fest verschlossen waren. Das Material konnte er nicht defininieren. Es schien sehr widerstandsfähig zu sein.
Einer von Theresas Männern hatte sich etwas von ihnen entfernt und kam nun auf sie zugelaufen. „General, auf der anderen Seite gibt es einen beschädigten Eingang. Dort könnten wir das Gebäude betreten.“
Tek blickte den Mann scharf an. „Cain, nicht wahr?“
Der CV-Mann nickte irritiert, weil der Befehlshaber der Todfeinde, seinen Namen kannte.
„Schön, führen Sie uns hin“, meinte Ronald Tekener freundlich.
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Mercant hatte mit Absicht Tek das Kommando überlassen. Vielleicht ahnte der General den Grund, denn er hatte sich ihm angeschlossen, um ihn zu prüfen. Bisher hatte er meist sehr gute Beurteilungen des ehemaligen Agenten von Homeland Security gelesen, auch wenn er manchmal die Tendenz hatte, Befehle zu ignorieren und eigenwillig zu handeln. Tek war eine Zeitlang der beste Mann des legendären und leider getöteten Niko Quinto, des Chefs der MarSec, des marsianischen Geheimdienstes, gewesen.
Nun bot sich Mercant die Möglichkeit, Tekener in Aktion zu erleben, und das wollte Allan sich nicht entgehen lassen. Er ahnte wieso der unsterbliche Arkonide und Gründer der USO, Atlan da Gonozal, den ehemaligen Star-Agenten von Homeland und MarSec zu seiner Nummer Zwei machte und ihm zu einem USO-General beförderte.
Atlan selbst war Mercant immer noch etwas suspekt, auch weil er angeblich aus einem parallelen Universum stammte. Allans Vater, der SF-Fan hätte es ihm geglaubt, Mercant selbst, der jetzt in einer ‚SF-Realität’ lebte hatte damit seine Probleme. Sie waren alle trotz ihrer Qualitäten einfach überfordert. Die galaktische Realität erlebten sie wie staunende Kinder, welche in einer Wunderwelt spielten. Selbst die führenden Terraner hatten Probleme damit, obwohl sie es sich nie ihrer Umwelt eingestehen würden. Ergo würde der misstrauische Geheimdienstler Mercant alle seine beiden Augen auf den Geheimnisvollen aus einem parallelen Universum ausrichten und ihm genau auf die Finger sehen. Da war er mit Adams, Bully und Perry Rhodan d’accord. ‚Ihr’ Atlan war ja im Endkampf mit Andros umgekommen. Jetzt mussten sie sich mit diesem Anderen Atlan herumplagen, der eine weit stärkere mentale Ausstrahlung besaß. Adams sagte ihm einmal, er wäre ein ‚Ritter der Tiefe’, was immer das sein mochte. Sein Vater, der SF-Fan und auch er Allan, kannten nur die virtuellen Jedi-Ritter. (
)
Der CV-Mann Cain führte sie um das Gebäude herum. Auf der anderen Seite lag der beschädigte Eingang. Die Tür war zur Hälfte zerstört worden. Und nun bemerkten sie zum ersten Mal die Spuren eines Kampfes. Eine große Hitze hatte die Torhälfte regelrecht verdampft. Die Brandspuren konnten sie an den Rändern noch deutlich erkennen.
Tekener befahl seiner Gruppe den Eingang zu sichern, und ging zusammen mit den ersten Leuten hinein. Hinter dem Tor befand sich eine große leere Halle. Was auch immer hier einmal gestanden hatte, schien komplett weggebracht worden zu sein.
Auch an den Wänden sah man noch die Spuren eines Kampfes. Am anderen Ende gab es einen Treppenaufgang, und daneben ein Loch in der Wand. Die Treppe war blockiert. Hier konnten sie nicht nach oben.
Tek warf einen Blick in das Loch. Dahinter befand sich ein leerer Schacht.
„Ein Aufzugschacht“, Mercant war neben Tek getreten und hatte ebenfalls einen Blick in das Loch geworfen.
„Ja, Sir! Wir können nun entweder nach oben oder nach unten klettern.“
„Was schlagen Sie vor?“
„Nach unten! Wenn es noch Bewohner gibt, haben sie sich garantiert nach unten zurückgezogen. Oben wären sie zu angreifbar. Und wer weiß, was sich alles im Untergrund befindet. Vielleicht gibt es komplette Bunkeranlagen. Ich denke da an das Volk der G’nome, die ebenfalls größtenteils unter der Erde leben.“
Mercant nickte zustimmend und dachte an deren steinernen Städte im Untergrund ihrer Heimatwelt. Ganz im Sinne der zwergischen Städte im Herrn der Ringe oder in dem Videogame World of Warcraft. Er hätte sich ebenfalls so entschieden. „Und wie kommen wir hinein?“
Tek beugte sich nochmals nach vorne. Der Schacht war vollkommen leer, sowohl nach oben als auch nach unten. Eine Leiter gab es auch nicht.
„Wir besorgen uns Seile und klettern hinunter.“
Als nächstes holte Tekener einen Konzentratriegel aus seiner Tasche und warf ihn hinein. „Kalup würde das als Verschwendung bezeichnen“, meinte er grinsend, als sie den Riegel mit einem hohen Schokoladegehalt nur Sekunden später aufschlagen hörten. Kalup liebte Schokolade, deshalb wohl auch seine etwas korpulente Figur.
„Das kann nicht tief sein“, meinte Ronda.
Die Seile waren schnell herbeigeschafft und sicher oben festgebunden. Außerdem wurde die S-1 über den Fund informiert.
„Ich gehe als erster hinunter“, sagte der junge USO-Spezialist Don Redhorse. Don Redhorse war Mescalero vom Mars und besaß als Häuptlingssohn einen Apachennamen: Sakende.
Er war ein persönlicher Freund Atlans aus der Zeit dessen Marsabenteuer und war zur USO übergewechselt. Erst vor kurzem hatte er seine Ausbildung in einer terminalen Zone auf dem Ausbildungsdeck von Quinto Center abgeschlossen. Dort verging die Zeit einhundertmal schneller, sodass die USO-Spezialisten dort ein mehrjähriges Training in nur einem knappen Monat Standardzeit abschlossen. Auf dem Ausbildungsdeck, das USTRAC genannt wurde, es verlief über die gesamte Fläche des Planetoiden stand auch ein Physitron. Jeder der es ausbildungsmäßig zum Ausbildungsdeck schaffte, erhielt zuerst einmal eine Zelldusche, um die etwa sieben Ausbildungsjahre auf USTRAC ohne Verlust von Standardzeit, zu absolvieren. Jeder voll ausgebildete USO-Spezialist erhielt deshalb noch ein Zeitverlängerungsgeschenk von 55 Jahren. Falls er sich in seiner tätigen Zeit als USO-Agent bewährte, erhielt er weitere Zellduschen. Dies war ein unglaubliches Argument, um als USO-Spezialist möglichst erfolgreich zu sein.
Niemand hatte etwas dagegen einzuwenden und so sicherten sie oben Don Redhorses Kletterpartie ab. Das Seil war lang genug. Niemand vertraute im Zeitalter der galaxienweiten Hyperstürme, einer abgespeckten Version eines manuellen Antigravantriebs als Rückenpack. Außerdem liebten viele Terraner immer noch das prähypertechnische Zeitalter, ohne Supertechnik. Vor allem die abenteuerlichen Typen, Frauen wie Männer, das spielte keine Rolle. Man konnte ihnen auch den Hang zum Survival nicht absprechen. Es gehörte auf USTRAC zu einem sehr wichtigen Ausbildungsinhalt. USO-Spezialisten mussten in fast jeder Umwelt überleben können.
„Ich bin unten“, rief Don Redhorse bald darauf hinauf. „Es müssen etwa dreißig Meter sein.“
Die ORION und auch die anderen Gruppen waren informiert worden, dass sie sich in den Untergrund begaben. Schließlich wusste man nicht, ob der Funkverkehr nicht zusammenbrach, wenn sie tiefer gingen.
Tekener kletterte als nächster hinunter. Nacheinander kamen die anderen herab. Zwei Soldaten blieben zu ihrer Sicherheit oben.
Don Redhorse und Ronda hatten sich inzwischen schon auf Erkundigung begeben. Was sie sahen, erstaunte sie immer mehr. Es gab nicht nur ein Tunnel sondern unzählige davon. Eine Abzweigung folgte der nächsten. Ein wahres subplanetares Labyrinth tat sich vor ihnen auf.